Verwaltungsrecht

Keine Flüchtlingseigenschaft bei Verfolgung durch die russische Mafia

Aktenzeichen  W 6 K 17.31078

Datum:
22.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3
AsylG AsylG § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1

 

Leitsatz

Der ukrainische Staat ist willens und in der Lage, seinen Bürgern Schutz zu gewähren, wobei lückenloser Schutz bei lebensnaher Betrachtung nicht möglich ist und nicht erwartet werden kann. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da der Bescheid des Bundesamts vom 23. Februar 2017 nicht rechtswidrig ist und die Kläger dadurch (schon deswegen) nicht in ihren Rechten verletzt sind (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG (1.). Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG bzw. auf die Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (2.).
1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, i.S. des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung i.S. des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 -, BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 -, BVerwGE 1979, 143 f.).
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 -, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Schutzsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 -, Buchholz, § 108 VwGO Nr. 147).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da es schon an einer gezielten und gegen die Kläger gerichteten Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a AsylG fehlt.
Entgegen den Darstellungen in der Klagebegründung wurde der Kläger zu 1) nicht von Polizisten oder Männern in Polizeiuniformen entführt und geschlagen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger präzisiert, dass es sich hierbei um Männer handelte, die maskiert waren und Militärhosen trugen. Ebenso wenig kann ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen der politischen Meinung des Klägers zu 1) und etwaigen Äußerungen derselben. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er während der Zeit des politischen Umbruchs in der Ukraine im Jahr 2014 unzufrieden mit den Zuständen in seinem Land war. Als Beispiel nannte er eine Begebenheit, die er als neutraler Wahlbeobachter Ende des Sommers 2014 selbst miterlebt hatte, gab dann aber später an, dass sich danach die Lage beruhigt hatte, bis er aus dem Nichts im September 2015 von Unbekannten gekidnappt und in den Wald verschleppt wurde (vgl. Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, S. 3). Der Kläger zu 1) hat zu keinem Zeitpunkt substantiiert vorgetragen, dass er sich in irgendeiner Weise politisch engagiert oder betätigt hätte, sodass auch nicht ersichtlich ist, weshalb er mit seinen Äußerungen hätte auffallen können. Die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Wiedergabe der Aussagen der Entführer gegenüber dem Kläger zu 1) vermögen keinen Zusammenhang mit etwaigem politischem Engagement oder Meinungsäußerungen des Klägers zu stützen. Insofern ist die Aussage, dass der Kläger zu 1) aufgrund seiner persönlichen Meinung entführt worden wäre, eine nicht belegbare Behauptung, die aus Sicht des Gerichts nicht zutrifft. Hinsichtlich des zur Gerichtsakte gegebenen Fahndungsaufrufs, nach welchem der Kläger zu 1) als „Politiker und Aktivist“ gesucht wird, ist anzumerken, dass dieses keinerlei Anzeichen dafür aufweist, dass es von einer offiziellen Stelle bzw. Behörde stammt. Gerade in Anbetracht der schlichten Aufmachung hinsichtlich Layout und Inhalt, handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um ein selbst erstelltes Werk, dem folglich kein Aussagegehalt zukommt.
Nach Würdigung der Gesamtumstände, insbesondere unter Beachtung der Angaben des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung, ist das Gericht überzeugt, dass es sich bei der Entführung des Klägers zu 1) um einen kriminellen Akt gehandelt hat. Diese Annahme wird ferner gestützt durch die Angaben im Auszug aus den medizinischen Daten vom 17. Januar 2017 (Chirurgisch-orthopädische Gemeinschaftspraxis Hösbach), in der es heißt, dass der Finger des Klägers zu 1) von der Russischen Mafia abgeschnitten worden sei. Zu Praktiken der Organisierten Kriminalität passt auch der von der Klägerin zu 2) geschilderte Vorfall, bei dem sie von zwei maskierten und in schwarz gekleideten Männern überrascht und mit einem Messer bedroht worden und ihr mitgeteilt worden sei, dass ihr Mann das nächste Mal nicht mit dem Leben davon kommen werde.
Da es sich hierbei um Straftaten handelt, die von Kriminellen begangen wurden, hätte den Klägern der Weg zur Polizei offen gestanden (vgl. § 3e AsylG). Nach allgemeiner Auskunftslage ist der ukrainische Staat willens und in der Lage, seinen Bürgern Schutz zu gewähren, wobei lückenloser Schutz bei lebensnaher Betrachtung nicht möglich ist und nicht erwartet werden kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht hierzu auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, denen es sich anschließt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Soweit im Rahmen der Klagebegründung vorgetragen wurde, der Kläger sei zum Wehrdienst einberufen worden, und die Kopie eines Einberufungsbescheides vorgelegt wurde, ist dies nach Würdigung der Gesamtumstände nicht glaubhaft. Zum einen widersprechen die Umstände der vermeintlichen Einberufung der allgemeinen Auskunftslage, nach der die Einberufungsbefehle ausschließlich persönlich oder an der Arbeitsstelle ausgehändigt werden. Folglich ist es wenig glaubhaft, dass der Einberufungsbefehl im alten Briefkasten der Kläger eingeworfen wurde. Darüber hinaus konnten die Kläger nicht angeben, zu welchem Zeitpunkt dieser Einberufungsbefehl gekommen sei, ebenso wenig auf welchem Weg und von wem konkret er den Klägern übermittelt worden ist. Diese Umstände lassen bereits erheblich am Wahrheitsgehalt dieser Aussage zweifeln. Zum anderen ist sowohl die Tatsache, dass es nur eine kleinformatige Kopie des vermeintlichen Einberufungsbescheids gibt, als auch die Qualität der vorgelegten Kopie hinsichtlich der Lesbarkeit wenig geeignet, dem Dokument einen Anschein an Echtheit zu verleihen.
Nachdem schon die weiteren Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes gemäß § 3 AsylG nicht gegeben sind, ist das Vorliegen des Art. 16a Abs. 1 GG ebenfalls zu verneinen.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg auf subsidiären Schutz berufen.
Die Ausführungen der Kläger vermögen eine subsidiäre Schutzberechtigung nicht zu begründen; stichhaltige Gründe i.S. von § 4 AsylG wurden nicht vorgebracht. Im Übrigen sind auch keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ersichtlich. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im angegriffenen Bescheid Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG), und im Übrigen auf die obigen Ausführungen verwiesen (vgl. 1.).
Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass die Kläger nicht plausibel darlegen konnten, welche Gefahren oder Bedrohungen sie im Falle ihrer Rückkehr befürchten; ebenso wenig sind solche ersichtlich. Die Kläger sind hinsichtlich der Bedrohung durch kriminelle Akteure an die Strafverfolgungsbehörden der Ukraine zu verweisen, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG.
3. Daher sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung in die Ukraine rechtmäßig. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung bestehen keine Bedenken. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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