Verwaltungsrecht

Keine landesweite Verfolgung von Christen in Nigeria

Aktenzeichen  W 10 K 17.33732

Datum:
22.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 14413
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3e Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Christen haben in Nigeria keine landesweite Verfolgung wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder durch Anschläge von Islamisten (z.B. der islamistischen Terrororganisation Boko Haram) zu befürchten. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3 Der Zugang psychisch kranker Personen zur medizinischen Versorgung und die Verbesserung der geistigen Gesundheit werden durch die Wahrnehmung solcher Erkrankungen in der nigerianischen Gesellschaft erheblich erschwert. Psychisch Kranke werden stigmatisiert, weil derartige Erkrankungen auf den Einfluss übernatürlicher Kräfte bzw. darüber verfügender Wesen wie Hexen oder Geister zurückgeführt oder als gottgegeben angesehen werden. (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandeln und entscheiden darf (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.
Der Kläger hat weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, noch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote und Herabsetzung der Frist des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist daher insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Dem steht bereits entgegen, dass der Kläger aus mehreren sicheren Drittstaaten im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG eingereist ist (§ 26a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG).
2. Dem Kläger steht auch die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG nicht zu.
Rechtsgrundlage der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist vorliegend § 3 Abs. 4 und Abs. 1 AsylG (BT-Drs. 16/5065, S. 213; vgl. auch § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, soweit er keinen Ausschlusstatbestand nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt. Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Die §§ 3 ff. AsylG setzen die Vorschriften der Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie – QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S. 9) im deutschen Recht um.
a) Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK (BGBl. 1952 II, S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Die für eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG relevanten Merkmale (Verfolgungsgründe) sind in § 3b Abs. 1 AsylG näher definiert. Gemäß § 3b Abs. 2 AsylG ist es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Maßgeblich für die Beurteilung, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb des Heimatlandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der dem Maßstab des „real risk“, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei der Prüfung des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) anwendet (vgl. EGMR, U.v. 28.2.2008 – 37201/06, NVwZ 2008, 1330 Rn. 125 ff.; U.v. 23.2.2012 – 27765/09, NVwZ 2012, 809 Rn. 114), entspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) ist die Furcht des Ausländers begründet, wenn bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; VGH Baden-Württemberg, U.v. 3.11.2016 – A 9 S 303/15 -, juris Rn. 32 ff.; Niedersächsisches OVG, U.v. 21.9.2015 – 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30).
Wurde der betroffene Ausländer bereits verfolgt oder hat er einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten bzw. war er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht und weisen diese Handlungen und Bedrohungen eine Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund auf, greift zu dessen Gunsten die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie – QRL, Amtsblatt-Nr. L 337, S.9), wonach die Vorverfolgung bzw. Vorschädigung einen ernsthaften Hinweis darstellt, dass sich die Handlungen und Bedrohungen im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 15). Die Vorschrift privilegiert den betroffenen Ausländer durch eine widerlegliche Vermutung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Eine Widerlegung der Vermutung ist möglich, wenn stichhaltige Gründe gegen eine Wiederholung sprechen. Durch Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte davon befreit, stichhaltige Gründe dafür vorzubringen, dass sich die Bedrohungen erneut realisieren, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.
Dem Ausländer obliegt gleichwohl die Pflicht, seine Gründe für die Verfolgung schlüssig vorzutragen. Das bedeutet, dass ein in sich stimmiger Sachverhalt geschildert werden muss, aus dem sich bei Wahrunterstellung und verständiger Würdigung ergibt, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung droht. Dies beinhaltet auch, dass der Ausländer die in seine Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse, die geeignet sind, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen, wiedergeben muss (vgl. OVG Nordrhein – Westfalen, U.v. 2.7.2013 – A 9 S 303/15 -, juris Rn. 59 f. mit Verweis auf BVerwG, B.v. vom 21.7.1989 – 9 B 239.89 -, InfAuslR 1989, 349 (juris Rn. 3 f.); B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38 (juris Rn. 8); B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 225 (juris Rn. 2)).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen steht dem Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil er auf zumutbaren internen Schutz bzw. auf eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG zu verweisen ist. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Der von dem Kläger zunächst in der Anhörung beim Bundesamt vorgetragene Sachverhalt der Tötung seiner Freundin und der daraus resultierenden Gefahren der Strafverfolgung, gegebenenfalls der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe, ist nicht glaubhaft. Der Kläger hat selbst vor dem Bundesamt sowie im Zuge des gegen ihn im Bundesgebiet eingeleiteten Strafverfahrens eingeräumt, dass er diesen Sachverhalt erfunden habe, um sich Vorteile im Asylverfahren verschaffen.
Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, er befürchte landesweite Verfolgung durch eine Geheimgesellschaft, welche versucht habe, ihn als Nachfolger seines verstorbenen Vaters zu rekrutieren, führt auch dieser Vortrag nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zum einen hat das Gericht bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags, da der Kläger ihn ohne ersichtlichen Grund zunächst verschwiegen und sein Asylbegehren mit einem völlig anderen, wie sich herausstellte frei erfundenen Vortrag zu begründen versuchte. Erst nachdem er erkannte, dass er sich mit dem ursprünglichen Vortrag einer Strafverfolgung auch im Bundesgebiet aussetzte, hat er diesen Vortrag widerrufen und stattdessen die Bedrohung durch die Geheimgesellschaft vorgetragen. Davon war in der ursprünglichen Anhörung beim Bundesamt jedoch keine Rede. Bereits dieser Umstand spricht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags, weil er zeigt, dass der Kläger bereit ist, seinen Vortrag situationsgerecht anzupassen.
Unabhängig davon teilt das Gericht jedoch nicht die Einschätzung des Klägers, er sei einer landesweiten Verfolgung durch die Geheimgesellschaft in Nigeria ausgesetzt. Dem Kläger steht in anderen Landesteilen Nigerias eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (interner Schutz) i.S.d. § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln über die Lage im Bundesstaat Nigeria sowie einschlägiger Rechtsprechung besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Das Risiko, von potentiellen Verfolgern landesweit aufgefunden zu werden, ist gering, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 Quadratkilometer aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Nigeria, Stand: 7.8.2017, S. 49, 61). Die Freizügigkeit ist nicht eingeschränkt. Nach Art. 41 der Verfassung der Bundesrepublik Nigeria von 1999 steht es jedem Nigerianer frei, sich überall in Nigeria niederzulassen (vgl. VG Minden, U.v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – juris Rn. 15). Allerdings kann die Umsiedlung bzw. Niederlassung in einem anderen Landesteil mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich einzelne Personen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung familiärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: Oktober 2018, S. 16).
Von dem Kläger ist jedoch vernünftigerweise zu erwarten, dass er sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederlässt. Der Kläger ist nach seinen eigenen, nicht weiter überprüfbaren Angaben im Bundesstaat Edo im südwestlichen Nigeria geboren und hat sich noch nie in einem anderen Landesteil aufgehalten. Dennoch würde ihm zumindest in einer nigerianischen Großstadt, beispielsweise in der Hauptstadt Lagos nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Geheimgesellschaft droht. Es ist dem Kläger auch zumutbar, sich dort niederzulassen, auch wenn er dort ohne nähere Ortskenntnisse zurechtkommen müsste. In Anbetracht der persönlichen Situation des Klägers geht das Gericht nicht davon aus, dass es diesen im Falle der Rückkehr nach Nigeria nicht möglich wäre, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Zum einen hat der Kläger eine gute Schulbildung (12 Jahre Schulbesuch mit dem Abschluss Abitur) und verfügt über Berufserfahrung als Rechtsanwaltsgehilfe sowie aufgrund seiner früheren Tätigkeit in einem Sportwettbüro. Zum anderen wäre der Kläger nach der Einschätzung des Gerichtes auch nicht völlig auf sich alleine gestellt, weshalb ihm trotz seiner depressiven Erkrankung nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter unzumutbaren Bedingungen droht. Denn der Kläger verfügt noch über familiären Rückhalt in Nigeria. Dort leben eigenen Angaben zufolge noch ein Onkel sowie drei Schwestern, mit denen er auch noch in Kontakt steht. Dass diese Familienangehörigen auch bereit sind, den Kläger zu unterstützen, hat sich bereits dadurch gezeigt, dass eine seiner Schwestern ihm Unterlagen aus Nigeria hat zukommen lassen, insbesondere das Attest des Psychiatrischen Krankenhauses in Benin City. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die noch lebenden Familienangehörigen den Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria auch weiter unterstützen würden. Außerdem ist der Kläger der Landessprache Englisch mächtig, dass er sich im Alltagsleben verständigen kann, was sich schon daran zeigt, dass die Anhörung beim Bundesamt in dieser Sprache ohne Probleme durchgeführt werden konnte. Es ist somit nicht ersichtlich, dass es dem Kläger gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung nicht möglich sein wird, in einem anderen Landesteil Nigerias seinen Lebensunterhalt – wenn auch auf niedrigem Niveau – zu sichern.
Der Kläger hat in Nigeria auch keine landesweite Verfolgung wegen seiner Religionszugehörigkeit oder durch Anschläge von Islamisten (z.B. der islamistischen Terrororganisation Boko Haram) zu befürchten. Derartige Anschläge finden nicht landesweit statt, sondern hauptsächlich im Norden und Nordosten Nigerias, während es im Süden nur zu vereinzelten Anschlägen kommt (vgl. etwa Lagebericht, a.a.O., S. 5 und S. 10; OVG NRW, B.v. 14.7.2015 – 11 A 2515/14.A, B.v. 27.4.2015 – 11 A 2087/14.A – jeweils juris m.w.N.; VG Würzburg, U.v. 5.10.2018 – W 4 K 17.32551 – juris; VG München, U.v. 9.11.2018 – M 21 K 17.42545 – juris Rn. 29). Verfolgte Personen können, wie zahlreiche durch Islamisten wie die Terrorgruppe Boko Haram bedrohte Christen, in andere Landesteile umziehen. Sie sind dabei keinen besonderen Einschränkungen unterworfen. Zudem dominiert im Südwesten Nigerias, anders als z.B. im stark muslimisch geprägten Norden des Landes, keine bestimmte Religion. Zwar sind viele der dort lebenden Menschen Moslems oder praktizieren traditionelle Religionen. Daneben bekennt sich aber auch eine große Zahl der dort lebenden Menschen zum Christentum (vgl. dazu VG Minden, U.v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – juris Rn. 17 m.w.N.). Der Kläger würde somit als Christ zumindest im Südwesten Nigerias, der für ihn auch tatsächlich erreichbar sein wird, keiner religiösen Minderheit angehören. Es ist nicht ersichtlich, dass er dort aufgrund seiner Religionszugehörigkeit diskriminiert würde oder in anderer Weise gefährdet wäre. In den dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, vor allem in dem Bericht des Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Bundesrepublik Nigeria finden sich zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass für Christen im Südwesten des Landes in absehbarer Zeit eine ähnlich bedrohliche Situation entstehen könnte wie in anderen Landesteilen. Die südwestlichen Bundesstaaten sind bislang von den regelmäßig im Norden bzw. Nordosten Nigerias vorkommenden Angriffen der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram ebenso weitgehend verschont geblieben wie von (sonstigen) religiös motivierten Auseinandersetzungen größeren Ausmaßes. In der Region gibt es seit Jahrhunderten ein friedliches Zusammenleben zwischen Christen und Moslems. Mischehen zwischen Angehörigen beider Religionen sind häufig (vgl. zu allem VG Minden, U.v. 14.3.2017 – 10 K 2413/16.A – Rn. 20 ff.; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, a.a.O., S. 13 f.; EASO, Country of Origin Report, Nigeria – Country Focus, June 2017, S. 53).
3. Dem Kläger steht des Weiteren die begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG nicht zu.
a) § 4 Abs. 1 AsylG setzt die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 2 – 2, ABl. L 304 v. 30.9.2004, S. 12 – 23) – Qualifikationsrichtlinie a.F. (QRL), jetzt Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, ber. ABl. 2017 L 167 S. 58) -, insbesondere deren Art. 15 ff. im deutschen Recht um. Diese bilden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes – zu den Vorläuferregelungen des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG – einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – DVBl. 2011, 1565 f.; BayVGH, U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30427 – juris). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG gilt als ernsthafter Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
b) Dem Kläger droht in Nigeria nicht die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe wegen der angeblichen Tötung seiner Freundin (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Denn er hat im Zuge des Asyl- und Strafverfahrens eingeräumt, dass er seinen diesbezüglichen Vortrag frei erfunden hat, um sich Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen.
c) Dem Kläger droht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit die Gefahr eines ernsthaften Schadens durch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.) zum internen Schutz gemäß § 3e AsylG verwiesen, der gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG auch im Rahmen der Zuerkennung des subsidiären Schutzes Anwendung findet.
4. Außerdem steht dem Kläger kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zu.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Aus § 60 Abs. 5 AufenthG folgt, dass ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes besteht, wenn dem Kläger im Zielstaat der Abschiebung eine solche verbotene Behandlung mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit (real risk) droht.
(1) Wie ausgeführt, droht dem Kläger jedenfalls keine landesweite Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung im Sinne des Art. 3 EMRK. Vielmehr steht ihm in anderen Landesteilen Nigerias eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, welche nicht nur gemäß §§ 3e, 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. des subsidiären Schutzes, sondern auch der Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entgegensteht (BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 36; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 60 AufenthG Rn. 2). Auf die Ausführungen hierzu unter 2.) wird verwiesen.
(2) Des Weiteren folgt aus der EMRK kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht allein nicht aus, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe der Aufenthaltsbeendigung zwingend entgegenstehen, wobei solche humanitären Gründe auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein können (vgl. BVerwG; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff. unter Verweis auf EGMR, U.v. 28.5.2008 – Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42; U.v. 28.6.2011 Nr. 8319/07, Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris Rn. 17 f.). Von einer derart ernsthaften Versorgungslage in Nigeria kann jedoch keine Rede sein. Nigerias Haupteinnahmequelle stammt mit etwa 80% der Gesamteinnahmen aus der Öl- und Gasförderung. Zudem sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet. Die Industrie (Zentren im Südwesten, Südosten und Norden) leidet an Energiemangel und an Defiziten bei der Infrastruktur. Weiterhin leben ca. 70% der Bevölkerung am Existenzminimum. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner betrug im Jahr 2016 nach Angaben der Weltbank 2.178,00 US-Dollar, ist aber ungleichmäßig zwischen einer kleinen Elite und der Masse der Bevölkerung verteilt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O., S. 23). Im Gegensatz zum Nordosten Nigerias, wo wegen der anhaltenden Sicherheitsgefährdungen eine humanitäre Krisenlage besteht und etwa 5,2 Millionen Menschen zeitweise auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen waren (vgl. Lagebericht, a.a.O., S. 10/11), ist daher die wirtschaftliche Lage im Südwesten des Landes wesentlich entspannter. Somit ist zwar die wirtschaftliche und soziale Lage in Nigeria insgesamt schwierig und den vorhandenen sozialen Netzwerken sowie familiären Bindungen kommt eine hohe Bedeutung bei der Sicherung des Lebensunterhalts zu (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amts, a.a.O., S. 18). Das erkennende Gericht hat aber, wie ausgeführt, keine durchgreifenden Zweifel daran, dass dem Kläger im Anschluss an eine Rückkehr in die Bundesrepublik Nigeria gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Erforderlich und ausreichend ist insoweit, dass er durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu seinem Lebensunterhalt Notwendige erlangen kann. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, die nicht den überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder auf dem Bausektor, ausgeübt werden können (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; OVG NRW, U.v. 17.11.2008 – 11 A 4395/04.A – juris Rn. 47). Es ist nicht feststellbar, dass der Kläger eine diesen Anforderungen genügende Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, nicht vorfinden bzw. nicht nutzen können wird. Insoweit wird auf die Ausführungen unter 2.) verwiesen, um eine nochmalige Wiederholung zu vermeiden.
b) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
(1) Hinsichtlich krankheitsbedingter Gefahren für Leib oder Leben werden die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes durch die Regelung in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG konkretisiert. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Dabei ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Des Weiteren liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Die Sätze 2 bis 4 des § 60 Abs. 7 AufenthG wurden durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 390 – sogenanntes Asylpaket II), in Kraft getreten am 17. März 2016, neu gefasst. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18) können lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hindern. Damit gibt der Gesetzgeber im Wesentlichen den Stand der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung geltenden Fassung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG a.F. wieder (vgl. Koch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 19. Edition 15.8.2016, § 60 AufenthG Rn. 40). Danach ist erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris Rn. 15). Letzteres hat der Ausländer durch die Vorlage eines aussagekräftigen (fach-)ärztlichen Attestes glaubhaft zu machen.
An die Substantiierung von Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet sind dabei wegen der erhöhten Missbrauchsgefahr strenge Anforderungen zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung muss daher ein solches fachärztliches Attest gewissen Mindestanforderungen genügen. Dazu gehört, dass sich aus dem Attest nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss geben über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – juris Rn. 15; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15). Ein solches Attest hat der Kläger trotz gerichtlicher Aufforderung mit Fristsetzung bis zur mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 2 AsylG) nicht vorgelegt. Vorgelegt wurden vielmehr lediglich Medikationspläne, aus welchen lediglich hervorgeht, dass der Kläger neben Medikamenten zur Behandlung seines Diabetes mellitus und der Folgeerkrankungen auch Medikamente zur Behandlung von Krankheitsformen des psychiatrischen Fachgebietes einzunehmen hat.
Des Weiteren geht das Gericht davon aus, dass dem Kläger in Anbetracht seiner persönlichen Umstände, insbesondere des vorhandenen familiären Rückhalts, eine dem maßgeblichen Standard in seinem Herkunftsland (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG) entsprechende Behandlung seiner Erkrankungen zugänglich wäre und dass er sich auch die notwendigen Medikamente beschaffen könnte.
Zwar liegt das nigerianische Gesundheitssystem nach manchen Stellungnahmen sogar noch unter dem afrikanischen Durchschnitt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Behandlung von psychischen Erkrankungen, Auskunft der Länderanalyse, 10.11.2017, S. 2 ff.), wenngleich in den letzten Jahren deutliche Fortschritte erzielt worden sein sollen, welches insbesondere auf die Zunahme der Anzahl privater Praxen und Kliniken mit gut ausgebildeten Ärzten zurückgeführt wird (Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand 10.12.2018, S. 22). Signifikant für den schlechten Versorgungsstandard ist, dass Nigeria im Jahr 2015 in der weltweiten Bewertung der Gesundheitssysteme durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den viertletzten Platz (197 von 200) einnahm (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.) Zum einen bestehen hinsichtlich der Zugänglichkeit der Versorgung große Unterschiede zwischen vermögenden und weniger vermögenden Personen, zum anderen erhalten die meisten Personen – selbst bei Zahlungsfähigkeit – nicht die benötigten Gesundheitsdienstleistungen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.). Das staatliche Gesundheitssystem ist bei einem jährlichen Anteil von fünf bis sechs Prozent des Staatshaushaltes (Stand 2015) chronisch unterfinanziert, weshalb Korruption dort weit verbreitet ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 3 ff.). Des Weiteren können Streiks in öffentlichen Krankenhäusern die Versorgung zusätzlich einschränken (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 4). Nigeria kennt keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz, welcher die erforderliche medizinische Versorgung auch im Falle von Erwerbs- bzw. Vermögenslosigkeit abdeckt. Die bestehende allgemeine Kranken- und Rentenversicherung greift nur für Beschäftigte im sog. formellen Sektor (d.h. demjenigen Teil der Volkswirtschaft, welcher im Gegensatz zur informellen Wirtschaft durch formalisierte Beschäftigungsverhältnisse geprägt ist, also statistisch – im Bruttoinlandsprodukt – und steuermäßig erfasst wird und in den Geldkreislauf eingebunden ist). Die meisten Nigerianerinnen und Nigerianer arbeiten hingegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 4 ff.), weshalb ihnen eine Krankenversicherung nicht zugänglich ist. Leistungen der Krankenversicherung kommen damit nur etwa 10% der Bevölkerung Nigerias zugute (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, allerdings in der Regel unter europäischem Standard. Es bestehen sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden. Auch in staatlichen Krankenhäusern müssen die Behandlungen jedoch selbst bezahlt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 4 ff.).
Hinsichtlich der Versorgung psychisch Kranker ergibt sich aus den Erkenntnisquellen zunächst, dass der Anteil der Psychiater/innen an der Gesamtzahl der Ärzte in Nigeria gering ist. Demnach kam im Jahr 2014 ein Psychiater auf eine Million Menschen (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 8). Der Zugang psychisch kranker Personen zur medizinischen Versorgung und die Verbesserung der geistigen Gesundheit werden durch die Wahrnehmung solcher Erkrankungen in der nigerianischen Gesellschaft erheblich erschwert. Psychisch Kranke werden stigmatisiert, weil derartige Erkrankungen auf den Einfluss übernatürlicher Kräfte bzw. darüber verfügender Wesen wie Hexen oder Geister zurückgeführt oder als gottgegeben angesehen werden (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Demzufolge werden psychisch Kranke pauschal als gefährlich, verdächtig, instabil, unzuverlässig und selbstmordgefährdet wahrgenommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Behandlungen durch traditionelle und religiöse Heiler sind üblich und werden von Betroffenen teils aus Unwissen, teils wegen der hohen Kosten einer professionellen Behandlung bevorzugt (Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O., S. 9). Grundsätzlich können psychische Erkrankungen sowohl in öffentlichen als auch privaten Gesundheitseinrichtungen, beispielsweise im „Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba“ in Lagos als erster Anlaufstelle für Rückkehrer, behandelt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O. S. 22; Schweizerische Flüchtlingshilfe a.a.O.). Auch in staatlichen Krankenhäusern müssen die Behandlungen jedoch selbst bezahlt werden. Ein mit deutschen Standards vergleichbares Psychiatriewesen existiert in Nigeria nicht, öffentliche Krankenhäuser sind allenfalls „Verwahranstalten auf sehr niedrigem Niveau“, in denen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, aber nicht adäquat behandelt werden (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria a.a.O.). Nach einer einschlägigen Studie werden in Nigeria lediglich sechs Prozent aller Personen, die an einer Depression erkranken, im ersten Jahr nach Beginn der Krankheit behandelt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Psychiatrische Versorgung, 22.1.2014, S. 6). Psychische Krankheiten sind oftmals langwierig und die betroffenen Personen sind auf eine regelmäßige und langdauernde Behandlung angewiesen. Dies gilt insbesondere bei chronischen Erkrankungen. Die staatliche Krankenversicherung deckt Kosten für psychiatrische Behandlungen nicht ab (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Behandlung von psychischen Erkrankungen, 10.11.2017, S. 10). Psychopharmaka sollen nach Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (a.a.O., S. 10) nur in privaten Apotheken erhältlich sein.
Auch die Medikamentenversorgung ist nicht frei von Mängeln. Zwar gibt es in Nigeria fast alle geläufigen Medikamente zu kaufen, die Qualität der auf dem freien Markt verfügbaren Produkte ist jedoch zweifelhaft, da viele Fälschungen im Umlauf sind. Entscheidend ist jedoch wie auch bei der sonstigen medizinischen Versorgung, ob der Patient die benötigten Medikamente bezahlen kann (Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O. S. 3, 4). Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient muss sich daher, auch im Krankenhaus, die erforderlichen Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, a.a.O.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O.).
In Anbetracht der persönlichen Umstände des Klägers ist jedoch davon auszugehen, dass dieser sich gegebenenfalls mit Unterstützung seiner Familienangehörigen die notwendigen Medikamente beschaffen könnte. Die Diabetes Mellitus Typ 2 ist in Nigeria eine weit verbreitete Krankheit, die wohl schon als Volkskrankheit bezeichnet werden kann (so ausdrücklich VG München, U.v. 23.11.2018 – M 21 K 17.42562 – juris). Sie ist, einschließlich erforderlicher Laborkontrollen, in Nigeria behandelbar (VG München, U.v. 31.1.2013 – M 21 K 11.30051 – juris; VG Oldenburg, U.v. 1.12.2015 – 3 A 444/11 – juris; VG Augsburg, U.v. 5.12.2017 – Au 7 K 17.35152 – juris). Wegen seiner psychischen Erkrankung wurde der Kläger bereits einmal vor seiner Ausreise aus Nigeria in einem Krankenhaus in Benin City erfolgreich behandelt, wie aus der vorgelegten Bescheinigung des Psychiatric Hospital Uselu, Benin City, vom 10. Juni 2016 hervorgeht. Nach den vorstehenden Erkenntnissen über die medizinische Versorgung psychisch Kranker in Nigeria muss der Kläger folglich in der Lage gewesen sein, diese Behandlung selbst zum finanzieren, bzw. es müssen Familienangehörige oder Dritte dafür aufgekommen sein. Es ist nicht ersichtlich, weshalb dies im Falle der Rückkehr des Klägers gegebenenfalls nicht mehr der Fall sein sollte.
(2) Ein Abschiebungsverbot ergibt sich für den Kläger auch nicht aus einer extremen Gefahrenlage in Nigeria.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellen die nach den eingeführten Erkenntnisquellen problematische Sicherheitslage in Teilen des Bundesstaates Nigeria sowie die unzureichende Versorgungslage in Nigeria allgemeine Gefahren dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen können. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Nigeria erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zu alledem BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 = juris). Eine derart extreme Gefahrenlage liegt für den Kläger in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen nicht vor. Wie ausgeführt, hat das Gericht keine Zweifel daran, dass es dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria, gegebenenfalls mit familiärer Unterstützung, möglich sein wird, sich jedenfalls eine bescheidene wirtschaftliche Existenz aufzubauen.
5. Liegen nach alledem keine Abschiebungsverbote vor, bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatsbestimmung Nigeria im Hinblick auf §§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
6. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Änderung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 AufenthG. Er hat keine persönlichen Bindungen im Bundesgebiet vorgetragen, aus denen sich die Unangemessenheit der von der Beklagten gesetzten Frist ergeben könnte.
7. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.


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