Aktenzeichen Au 5 K 16.32161
Leitsatz
1 Eine adäquate medizinische Behandlung von Traumafolgen einer posttraumatischen Belastungsstörung ist im Irak nicht möglich, sodass mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit einer extremen Gefahrenlage iSd § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu rechnen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Irak besteht derzeit weder landesweit noch in der Region Irak-Kurdistan und Erbil ein regionaler innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts für … vom 10. Oktober 2016 wird in Nr. 5. insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Irak angedroht wurde.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens tragen die Kläger 2/3, die Beklagte 1/3.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage der Kläger entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Den Klägern steht ein Anspruch auf die Feststellung zu, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Irak vorliegt. Der streitgegenständliche Bescheid ist, soweit er dieser Feststellung in Ziffer 5. entgegensteht, rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Den Klägern zu 1 und 2 und ihren minderjährigen Kindern droht im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland eine individuelle, konkrete Gefahr in diesem Sinne.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 712) ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers auf Grund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen vor, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ein strengerer Maßstab soll in Krankheitsfällen ausnahmsweise nur dann gelten, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es sich um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat handelt und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht. Bei einer immer individuell verschieden ausgestalteten posttraumatischen Belastungsstörung, sie auf persönlich Erlebtem basiert, ist dies nicht der Fall
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. In die Beurteilung mit einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006, a.a.O.). Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt nicht die bloße theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr entspricht der Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dem asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324 ff.).
Nach diesen Grundsätzen liegt eine derartige extreme allgemeine Gefahrenlage auf Grund einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bei den Klägern zu 1 und 2 im Falle einer derzeitigen Rückkehr nach Irak zur Überzeugung des Gerichts bei Auswertung und Würdigung der Auskunftslage (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 18. Februar 2016, Stand: Dezember 2015; im Folgenden: Lagebericht) mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit vor. Die bei den Klägern zu 1 und 2 vorliegende PTBS wurde vorliegend auch ausreichend diagnostiziert. Der die Kläger zu 1 und 2 behandelnde Facharzt hat zusammenfassend in seinen ärztlichen Stellungnahmen vom 3. bzw.4. Februar 2017 ausgeführt, dass der Kläger zu 1 dringend weiter eine psychotherapeutische Behandlung benötige, da sein psychischer Zustand instabil sei. Bei Abbruch der Behandlung würden sich die Symptome erheblich verstärken, ebenso die depressive Symptomatik. Eine psychische Dekompensation sei nicht auszuschließen. Bezüglich der Klägerin zu 2 ist in der fachärztlichen Stellungnahme vom 3. Februar 2017 zusammenfassend ausgeführt, dass aus fachärztlicher Sicht eine erforderliche traumatherapeutische Behandlung im Irak nicht möglich sei. Alleine die Rückführung würde für die Klägerin zu 2 eine Retraumatisierung bedeuten. Bei Abbruch der Behandlung würde die depressive Symptomatik zunehmen, ebenso würden sich die Angst- und Erschöpfungszustände verstärken. Eine zwangsweise Rückführung in ihr Heimatland würde für die Klägerin mit einer Kollabierung ihres psychischen Zustandes einhergehen.
Die posttraumatische Belastungsstörung ist eine akute oder chronische Störung nach extrem belastenden Ereignissen, die mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Symptome sind häufiges und intensives Wiedererleben des Traumas, besondere Teilnahms- und Freudlosigkeit und Gleichgültigkeit bei gleichzeitig erhöhter Erregung mit Schlafstörung, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit und Vigilanzsteigerung sowie Vermeiden von Erinnerungsstimuli. Sie wird therapiert durch kognitive und verhaltenstherapeutische Verfahren, mit gesprächstherapeutischen und tiefenpsychologischen Methoden sowie soziotherapeutischer Betreuung und eventuell kurzfristiger Gabe von Sedativa (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Belastungsstörung posttraumatische“). Diese Krankheit ist international klassifiziert unter ICD 10 Kapitel V Gliederung 43.1.
Im Hinblick auf die Unschärfen des Krankheitsbildes bei Vorliegen einer PTBS sowie der vielfältigen Symptome ist regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindeststandardanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes zu verlangen. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) enthalten (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris Rn. 22; VG Ansbach, U.v. 24.3.2015 – AN 3 K 14.30132 – juris Rn. 76).
Für die Behandlung von Traumafolgen stehen spezielle Psychotherapien zur Verfügung sowie medikamentös spezielle Psychopharmaka. Das Gericht ist davon überzeugt, dass eine adäquate medizinische Behandlung im Irak derzeit nicht sichergestellt wäre. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Februar 2016 (dort S. 19) verhält es sich so, dass die medizinische Versorgungssituation im Irak weiter angespannt bleibt. Selbst in der Großstadt Bagdad arbeiteten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Bereits die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren seien entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, selbst die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Bei dieser Situation ist eine erforderliche fachärztliche Behandlung, wie sie der behandelnde Psychotherapeut in seinen Stellungnahmen vom 3./4. Februar 2017 für dringend erforderlich erachtet, nicht sichergestellt.
Bei einer behandlungsbedürftigen PTBS – wie sie hier fachärztlich ausreichend diagnostiziert ist – führt nach Auffassung des Gerichtes das Unterlassen der erforderlichen Therapie zu einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und daher zu einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Fachärztlicherseits wird daher davon ausgegangen, dass eine Abschiebung in den Irak zum jetzigen Zeitpunkt zur Folge hätte, dass sich der seelische Zustand der Kläger zu 1 und 2 rasch massiv verschlimmern würde. Daher kann auch unter den geltenden strengen Maßstäben für eine verfassungskonforme Auslegung eine konkrete und extreme Gefahr für Leib oder Leben der Kläger zu 1 und 2 und der von ihnen zu versorgenden minderjährigen Kinder im Falle einer Rückkehr in den Irak angenommen werden.
Die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 10. Oktober 2016 war aufgrund der Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach Irak jedoch nur teilweise aufzuheben, da einer weitergehenden vollständigen Aufhebung die gesetzliche Bestimmung in § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegensteht. Nach dieser Bestimmung steht dem Erlass einer Abschiebungsandrohung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. Damit bedurfte es aber auch keiner Aufhebung des in Ziffer 6. des Bescheides verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG.
Der Feststellung eines Abschiebungsverbotes steht auch nicht die in § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG getroffene Regelung entgegen, wonach Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, lediglich bei einer Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Zwar hat das Bayerische Staatsministerium des Inneren im Erlasswege mit Rundschreiben vom 3. Juli 2008 (Az.: IA-2086.10-439), welches nach wie vor Gültigkeit beansprucht, verfügt, dass irakische Staatsangehörige, die nicht Straftäter sind oder unter Sicherheitsaspekten vordringlich abzuschieben sind, nicht abgeschoben werden und Duldungen bis auf Weiteres auf der Grundlage des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bis zur Dauer von sechs Monaten erteilt bzw. verlängert werden. Eine PTBS stellt jedoch keine allgemeine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG dar, so dass die Sperrwirkung dieser Vorschrift vorliegend nicht greift (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris Rn. 20).
2. Ohne Erfolg bleibt die Klage dagegen im Hinblick auf die Verpflichtung der Beklagten zur Asylanerkennung (Art. 16 a Grundgesetz – GG), zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) bzw. auf die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG). Die jeweiligen Voraussetzungen liegen im Falle der Kläger nicht vor.
3. Eine Anerkennung als Asylberechtigte im Sinne von Art. 16a Grundgesetz (GG) scheitert bereits daran, dass die Kläger nach ihren eigenen Angaben sowohl gegenüber dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2017 zufolge auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.
4. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall der Kläger ebenfalls nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).
Bei der Beurteilung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936 ff.; VG München, U.v. 28.1.2015 – M 12 K 14.30579 – juris Rn. 23).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus.
Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U.v. 27.8.2013 – A 12 S 2023/11 – juris; Hess. VGH, U.v. 4.9.2014 – 8 A 2434/11.A – juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Kläger nicht zum Erfolg. Insbesondere führt das in der mündlichen Verhandlung vom 16. Februar 2017 erheblich gesteigerte Vorbringen des Klägers zu 1 im Ergebnis dazu, dass das geltend gemachte Verfolgungsschicksal dem Gericht insgesamt als nicht hinreichend glaubhaft gemacht erscheint. Während der Kläger zu 1 bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt im Wesentlichen lediglich auf die allgemeinen Zustände in der Region Irak-Kurdistan verwiesen hat, hat er in der mündlichen Verhandlung erstmals eine individuelle persönliche Betroffenheit geltend gemacht. Insbesondere hat der Kläger ausgeführt, dass er mehrfach von Peschmerga geschlagen und mit Stromstößen misshandelt worden sei. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und plausibel, dass der Kläger zu 1 eine derartige massive persönliche Betroffenheit bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt am 14. September 2016 verschwiegen hat. Auch wurde er gegenüber dem Bundesamt aufgefordert, seine Asylgründe vollständig darzulegen. Im Übrigen verweist das Gericht darauf, dass der Vortrag des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung insgesamt sachlich unzusammenhängend, wirr und stereotyp wiederholend erscheint. Vor dem Hintergrund der erheblich divergierenden Aussagen des Klägers zu 1 bei seiner persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt, seinen schriftlichen Erklärungen und seinen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung bestehen erhebliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kläger. Folglich war die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abzulehnen. Überdies würde sich eine Vorverfolgung des Klägers auch allenfalls auf den Bereich der Großstadt … beziehen. Dass für die Kläger ein Aufenthalt in Irak-Kurdistan außerhalb der Großregion … mit wesentlichen Gefahren verbunden wäre, haben die Kläger selbst nicht geltend gemacht.
5. Die Kläger haben aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3 c bis 3 e AsylG entsprechend.
Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern bei einer Rückkehr in den Irak ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.
Die Kläger haben aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt ist, wenn eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes droht.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – BVerwGE 131, 198). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 a.a.O.).
Danach rechtfertigt die derzeitige Situation im Irak, und insbesondere in der Region Irak-Kurdistan und Erbil, woher die Kläger stammen, nicht die Annahme eines Bürgerkrieges im oben genannten Sinne. Trotz der Verschlechterung der Sicherheitslage im Jahr 2013 geht das Gericht aber davon aus, dass im Irak derzeit weder landesweit noch in der Herkunftsregion der Kläger ein regionaler innerstaatlicher oder internationaler bewaffneter Konflikt festgestellt werden kann. Die angespannte Sicherheitslage resultiert vielmehr aus inneren Unruhen und Spannungen, die nicht die Intensität und Dauerhaftigkeit eines Bürgerkrieges aufweisen.
Zwar kann sich auch eine allgemeine Gefahr willkürlicher Gewalt, die von einem bewaffneten Konflikt ausgeht, individuell verdichten und damit zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG führen. Für die Feststellung der Gefahrendichte können dabei die Kriterien, die im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung gelten, entsprechend herangezogen werden. Dabei ist davon auszugehen, dass ein innerstaatlicher Konflikt üblicherweise nicht eine solche Gefahrendichte hat, dass alle Bewohner des betroffenen Gebietes ernsthaft persönlich betroffen sein werden. Allgemeine Lebensgefahren, die lediglich Folge des bewaffneten Konfliktes sind, z.B. eine durch den Konflikt bedingte Verschlechterung der Versorgungslage, können nicht in die Bemessung der Gefahrendichte einbezogen werden.
Vorliegend kann, selbst wenn man im Irak einen innerstaatlichen oder internationalen Konflikt bejahte, nicht davon ausgegangen werden, dass der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr in den Irak oder in die betroffene Region, vorliegend nach Erbil, woher die Kläger stammen, allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet bzw. dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die erforderliche Gefahrendichte im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist daher nicht gegeben.
6. Nach allem war der Klage daher nur teilweise stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.