Verwaltungsrecht

Keine Überraschungsentscheidung bei Klageabweisung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  1 ZB 17.30420

Datum:
6.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23404
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1-3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 108 Abs. 2, § 138 Nr. 3, § 166
ZPO § 114
GG Art. 103 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es stellt keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, wenn in dem der angefochtenen Entscheidung vorangehenden Prozesskostenhilfebeschluss hinreichende Erfolgsaussichten hinsichtlich des Bestehens eines Abschiebungsverbots angenommen werden und in der Hauptsacheentscheidung ein solcher Anspruch verneint wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 25 K 15.31525 2017-02-02 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
III. Die Klägerinnen haben die Kosten des Antragsverfahrens je zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG), der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) und der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG).
Der Verfahrensmangel der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG ist nicht darin zu sehen, dass das Verwaltungsgericht das behauptete Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin zu 2 nicht weiter aufgeklärt hat und dem hierzu bedingt gestellten Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vom 2. Februar 2017 nicht nachgekommen ist. Die Ablehnung eines Beweisantrags führt nur dann zu einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach dem Rechtsstandpunkt des entscheidenden Gerichts erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerwG, B.v. 13.9.2017 – 1 B 118.17 – juris Rn. 5; B.v. 25.1.2016 – 2 B 34.14 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 75 Rn. 32). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die begehrte Beweiserhebung zum einen schon wegen des Fehlens eines den Anforderungen der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251) entsprechenden fachärztlichen Gutachtens zur Substantiierung des Beweisantrags abgelehnt (UA S. 25). Es geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann, das hier nach der insoweit maßgeblichen und mit dem Zulassungsvorbringen nicht angegriffenen Beurteilung des Tatsachengerichts (vgl. BayVGH, B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris Rn. 23) nicht glaubhaft dargelegt wurde. Zum anderen hat das Verwaltungsgericht ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis auch für den Fall verneint, dass bei der Klägerin zu 2 eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen sollte (UA S. 25). Die mit dem bedingt gestellten Beweisantrag sinngemäß begehrte Feststellung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin zu 2 durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dieser Frage war somit nicht entscheidungserheblich.
Die angegriffene Entscheidung stellt auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Dies ist nur dann der Fall, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten. Hiervon kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht – wie hier – Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 – 5 C 5.17 D – juris Rn 8 m.w.N.; vgl. BVerfG, B.v. 4.8.2004 – 1 BvR 1557/01 – juris Rn. 17). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) garantiert lediglich, sich zu dem gesamten, nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblichen Stoff des gerichtlichen Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern zu können (vgl. BVerwG, B.v. 7.6.2017 a.a.O.; Berlit in GK-AsylG, Stand Oktober 2017, § 78 Rn. 272, 274) und verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber, ihnen in der Sache zu folgen (Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 261). Ein Gericht muss die Beteiligten auch grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen (vgl. BVerwG, B.v. 13.9.2017 – 1 B 118.17 – juris Rn. 6).
Es stellt bei Berücksichtigung der Vorgaben keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör durch eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar, wenn in dem der angefochtenen Entscheidung vorangehenden Prozesskostenhilfebeschluss vom 20. Oktober 2016 hinreichende Erfolgsaussichten hinsichtlich des Bestehens eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG angenommen werden und in der Hauptsacheentscheidung ein solcher Anspruch verneint wird. Im Prozesskostenhilfeverfahren findet lediglich eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten statt. Aus dem Ergebnis dieser Prüfung lässt sich weder der Ausgang des sich anschließenden Hauptsacheverfahrens noch der Inhalt der tragenden Entscheidungsgründe prognostizieren. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20. Oktober 2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an die Erfolgsaussichten nicht überspannt werden dürfen, und nur darauf abgestellt, ob diese zumindest offen sind (vgl. BA S. 4 oben). Hieraus kann nicht abgeleitet werden, dass das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses bereits ausreichend dargelegt sei und ein Anspruch auf dessen Feststellung bestehe.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist auch nicht zu erkennen soweit die Klägerin zu 1 vorträgt, sie habe keine Gelegenheit erhalten, die vom Gericht festgestellten Widersprüche in der mündlichen Verhandlung aufzuklären. Die Behauptung trifft ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung schon in der Sache nicht zu. Das Gericht hat die Klägerin ausdrücklich zu Widersprüchen im Zusammenhang mit ihrer Flucht (S. 4 der Niederschrift) befragt und ihre Darstellungen durch Vorhalte sowie Nachfragen in Zweifel gezogen (S. 5 der Niederschrift). Zudem bedarf es im Asylverfahren grundsätzlich nicht eines besonderen Hinweises durch das Gericht, wenn Zweifel an der Darstellung des Asylsuchenden bestehen, da es hier für alle Beteiligten ersichtlich stets auch um die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden und die Glaubhaftigkeit seines Vortrags geht (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2001 – 1 B 347.01, 1 PKH 46.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52, BayVGH, B.v. 23.11.2017 – 11 ZB 17.30810 – juris Rn. 3). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass bereits das Bundesamt nicht von der Wahrheit ihrer Angaben überzeugt war, musste die Klägerin zu 1 damit rechnen, dass das Verwaltungsgericht ihren Vortrag einer kritischen Prüfung unterziehen würde.
Eine grundsätzliche Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wurde bereits nicht dargelegt. Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich ist. Ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht.
Die bloße Behauptung, es liege ein „Verstoß gegen § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG“ vor, reicht nicht aus.
Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenübergestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2014 – 10 B 50.14 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 27.3.2018 – 9 ZB 18.30057 – juris Rn. 12 m.w.N.). Schon daran fehlt es hier.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, da der Zulassungsantrag aus den vorgenannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

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