Verwaltungsrecht

Keine Verfolgung oder ernsthafte Gefahr bei der Rückkehr nach Algerien zu befürchten – Abschiebungsverbot liegt nicht vor

Aktenzeichen  W 8 K 18.31461

Datum:
24.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25634
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 16a Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25 Abs. 1, Abs. 2, § 77 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Sind keine asylrechtliche relevanten Gefahren für einen Flüchtling durch seine Rückkehr erkennbar, scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen einer behaupteten Verfolgung aus.  (Rn. 12 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keiner erschienen ist (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Abs. 1 GG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben auf dem Landweg aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaft in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG).
Das Gericht ist im Übrigen insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung – in der von Klägerseite niemand erschienen ist – nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen, zumal von Klägerseite niemand erschienen ist und – trotz Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO – überhaupt keine Klagebegründung oder sonst ein relevantes Vorbringen erfolgte. Unter Zugrundelegung der (früheren) Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Dem Kläger drohte nach seinem bisherigen Vorbringen insbesondere keine staatliche Verfolgung seitens der algerischen Behörden. Vielmehr verwies er nur auf Diebstähle und Drohungen seitens von Räubern. Relevante Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Behörden sind bislang nicht erfolgt und drohen auch bei einer Rückkehr nicht.
So ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 – A 5 K 4824/13 – juris). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 22). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, dass Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 27). Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Schließlich droht dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien auch keine Verfolgung bzw. ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit seitens Dritter (Räuber), weil für ihn eine zumutbare inländische Flucht- bzw. Aufenthaltsalternative besteht (vgl. § 3e AsylG). Abgesehen davon, dass schon fraglich ist, ob die Räuber über ca. eindreiviertel Jahre nach der Ausreise des Klägers Jahre aus Algerien noch ein Interesse daran haben sollte, gegen ihn gewalttätig vorzugehen, besteht für den Kläger in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einem anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 17). Der Kläger muss sich auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Räuber den Kläger ohne weiteres würden auffinden können, wenn er seinen ursprünglichen Heimatort meidet und in andere Großstädte geht. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzbereit und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (ebenso VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris; anders in einem Sonderfall einer Klägerin aufgrund deren besonderen Situation VG Göttingen, U.v. 6.9.2011 – 3 A 163/09 – juris).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 21 ff., BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (ebenso BVerwG, U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.


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