Verwaltungsrecht

Keine Verfolgungsgefahr im Irak wegen Niederlegung des Polizeidienstes durch Flucht

Aktenzeichen  AN 2 K 16.31399

Datum:
7.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3a, § 4

 

Leitsatz

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des BAMF vom 6. September 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Weder besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von
§ 4 AsylG oder Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die in Ziffer 5 und 6 getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen Bedenken. Vom Klageantrag nicht umfasst und damit nicht Gegenstand der Klage ist ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG.
Das BAMF hat zu Recht den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG verneint. Die Zugehörigkeit zur schiitischen Glaubensrichtung und die Position des Klägers zu 1) als ehemaliger Polizist begründen aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3 a AsylG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08 – juris) liegt eine asylrechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
Dies gilt nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen für Schiiten aus dem Südirak und damit aus einem Herkunftsgebiet außerhalb der Regionen, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt wird oder wurde, nicht allgemein. Zwar existieren im Irak der Auskunftslage nach neben dem erheblichen, auch kämpferischen Konflikt zwischen dem „Islamischen Staat“ einerseits und der Regierung und den sie unterstützenden Einheiten andererseits auch Spannungen innerhalb des Bündnisses zwischen den Angehörigen der Regierung bzw. staatlichen Sicherheitskräften und deren Unterstützern, zu denen auch schiitische Milizen und die kurdische Peschmerga gehören, jedoch kommt es entlang dieser Konflikte aufgrund von Religions- und Volkszugehörigkeit nur zu vereinzelten Übergriffen, die jedenfalls in der Herkunftsregion der Klägerseite kein solches Ausmaß erreichen, dass sie davon ausgehen müssten, selbst betroffen zu sein. Im Irak leben ca. 60 bis 65 Prozent Schiiten, die südlichen Regionen des Irak sind sogar ganz überwiegend schiitisch bevölkert, sodass jedenfalls dort grundsätzlich nicht mit ethnisch oder religiös motivierten Übergriffen gerechnet werden muss.
Auch aus der Tatsache, dass der Kläger zu 1) sein Heimatland verlassen und damit faktisch seinen Dienst bei der Polizei quittiert hat, erwächst für ihn und seine Familie nicht mit der oben dargelegten Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung. Die zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen ergeben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Niederlegung des Polizeidienstes zu relevanten Maßnahmen führt. Auch der Kläger selbst hat keine konkreten Tatsachen geltend gemacht, die ihn zurecht befürchten lassen müssten, dass ein Haftbefehl gegen ihn erginge, falls er zurückkehre, sondern dies nur allgemein vermutet. Eine gegebenenfalls zu erwartende Strafe wegen der Entziehung einer staatlichen Pflicht stellt im Übrigen auch keine Verfolgungsmaßnahme in Anknüpfung an ein Merkmal im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG dar. Diskriminierende oder verletzende staatliche Maßnahmen drohen dem Kläger nicht, weil er Polizist war, allenfalls erwartet den Kläger eine – asylrechtlich nicht relevante – Sanktionierung wegen rechtswidrigen Verhaltens.
Auch das übrige persönliche Vorbringen der Klägerseite lässt keine Umstände erkennen, die die Annahme asylrechtlich relevanter Gefahren bei ihr rechtfertigen könnte.
Soweit der Kläger Befürchtungen wegen einer Nachstellung von Milizen hat, teilt das Gericht diese Gefahrenbeurteilung nicht. Eine Bedrohung durch die Gruppe Saraya Al Salam bzw. Jaish Al Mahdi kann angesichts der unglaubhaften Angaben des Klägers zum angeblichen Übergriff durch die Miliz nicht angenommen werden. Die Schilderung zu dem Überfall bzw. Unfallgeschehen sind nicht schlüssig. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, dass dem Kläger – im Gegensatz zu seinem Bruder – bei dem Unfall weder durch den Beschuss seitens der Milizen, noch durch das Umkippen des Fahrzeugs bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h nichts passiert ist, obwohl er und nicht sein Bruder Ziel des Angriffs der Milizen gewesen sein soll. Der Kläger liefert auch keinerlei lebensnahe und persönliche, emotionale Schilderung dazu, wie sein Bruder neben ihm verletzt worden und zu Tode gekommen ist, sondern lediglich eine farblose und sachliche Feststellung seines Todes ohne jegliches Detail. Es kann damit nicht angenommen werden, dass sich der Vorfall so zugetragen hat, wie der Kläger dies in der mündlichen Verhandlung vom 7. April 2017 bzw. bei seiner Anhörung vor dem BAMF am 24. Mai 2016 angegeben hat. Dass der Angriff Reaktion auf den Vorfall während seines Dienstes gewesen ist, war überdies zunächst rein spekulativ. Die angebliche Bestätigung, die er im Januar 2017 durch ein Telefonat mit seinem Vater erfahren haben will (so Angaben in der mündlichen Verhandlung), kann dem Kläger nicht geglaubt werden, zumal er dies nicht zeitnah und unaufgefordert im schriftlichen Gerichtsverfahren selbst eingebracht hat, sondern erst in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage.
Angesichts der allgemeinen Situation im Irak und in der Herkunftsregion der Klägerseite ist auch keine Situation im Sinne von § 4 AsylG, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen würde, anzunehmen. Ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt liegt in der Heimatregion der Klägerseite nach Auswertung der zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen nicht vor. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak gekommen ist und weiter kommen kann, genügen hierfür nicht.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Klägerseite ihren Lebensunterhalt in der Heimat nicht auf Dauer bestreiten könnte.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des Bescheids vom 6. September 2016 beruht auf
§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und ist rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu beanstanden, § 114 Abs. 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klage resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.


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