Aktenzeichen BayAGH I – 5 – 3/19
Leitsatz
Bei Straftaten, die den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit betreffen, scheidet eine Wiederzulassung auch dann aus, wenn seit der Tat mehr als 11 Jahre vergangen sind, es sich bei der Tat um eine einmalige Verfehlung gehandelt hat und der frühere Rechtsanwalt nicht erneut straffällig geworden ist. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
IV. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
V. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Nach Maßgabe von § 112c Abs. 1 BRAO richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung. Gemäß Art. 15 BayAGVwGO war ein Vorverfahren nach § 68 VwGO nicht durchzuführen. Die form- und fristgerecht erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 74 Abs. 1 und 2 VwGO) ist zulässig erhoben.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der streitgegenständliche Versagungsbescheid vom 29.01.2019 ist rechtmäßig. Er verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer lässt keine Ermessensfehler erkennen, § 114 VwGO.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. zuletzt Urteile v. 14.01.2019 – AnwZ (BrfG) 70/17 und AnwZ (BrfG) 50/17, jew. m.w.N. [jew. bei juris]) ist nach § 7 Nr. 5 BRAO die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen lässt, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben. Die mit der Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundene Einschränkung der freien Berufswahl ist nur zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit statthaft. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitlicher Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht tragbar erscheinen lässt. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden an der Integrität des Anwaltsstandes, das in der Regel nur im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege von Belang sein kann, einzelfallbezogen gegeneinander abzuwägen.
Im Rahmen der Prognoseentscheidung, die im Hinblick auf die Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden Interessen der Öffentlichkeit zu erstellen ist, ist von Bedeutung, wie viele Jahre zwischen einer Verfehlung, die seinerzeit die Unwürdigkeit begründete, und dem Zeitpunkt der (Wieder-)Zulassung liegen. Auch eine durch ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten begründete Unwürdigkeit kann durch Zeitablauf und Wohlverhalten des Bewerbers derart an Bedeutung verloren haben, dass sie seiner Zulassung nicht mehr im Wege steht. Bei gravierenden Straftaten mit Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts hält der Senat in ständiger Rechtsprechung einen Abstand zwischen der die Unwürdigkeit begründenden Straftat des Bewerbers und dessen Wiederzulassung von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich. Bindende feste Fristen gibt es jedoch nicht. Vielmehr sind alle für und gegen den jeweiligen Bewerber sprechenden Umstände einzelfallbezogen zu gewichten. Wurde die Unwürdigkeit durch die Begehung von Straftaten seitens des Rechtsanwalts begründet, ist neben der seit der Begehung der letzten Straftat vergangenen Zeitspanne zu berücksichtigen, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat.
Der BGH (Urt. v. 10.10.2011 – AnwZ (BrfG) 10/10 m.w.N. [bei juris]) präzisiert weiter, dass ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so sehr an Bedeutung verlieren kann, dass es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindert Die Frage, wie viele Jahre zwischen einem die Unwürdigkeit begründenden Verhalten und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wieder möglich ist, lasse sich nicht durch eine schematische Festlegung auf bestimmte Fristen beantworten, sondern verlange eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände.
Dabei dürfe auch eine bloße straffreie Führung nach einer Verurteilung nicht entscheidend zugunsten des Bewerbers berücksichtigt werden, wenn er noch unter dem Druck einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe stand. Vielmehr müsse das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe wegen Ablaufs der Bewährungsfrist fortgesetzt worden sein. Neben dem Zeitablauf komme besondere Bedeutung der Frage zu, wie der Bewerber in der Zwischenzeit mit seinem Fehlverhalten umgegangen ist und ob er sich auch ansonsten untadelig geführt hat. Hat er sich zu seinem Fehlverhalten bekannt, insbesondere den angerichteten Schaden nach Möglichkeit wiedergutgemacht, und keine weiteren Verfehlungen begangen, schlage dies positiv zu Buche. Umgekehrt wirke sich ein Versuch, über das eigene Fehlverhalten zu täuschen, negativ aus.
b) Nach diesen Maßgaben ist die Versagung der Rechtsanwaltszulassung im Hinblick auf die Verurteilung des Klägers im Jahre 2012 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen Urkundenunterdrückung, Urkundenfälschung und Betrugs ermessensgerecht.
Seit der Tat, die dieser Verurteilung zugrunde lag, sind zwar inzwischen mehr als 11 Jahre vergangen und der Kläger ist nicht erneut straffällig geworden. Auch handelte es sich bei seiner Tat um eine einmalige Verfehlung. Der Senat erkennt an, dass die Motivation des Angeklagten zur Tat wesentlich durch die Hoffnung bestimmt war, von der Verstorbenen ein Vermächtnis oder eine Schenkung zu erhalten. Hinzu kommt, dass er sich in den ersten Jahren seiner anwaltlichen Tätigkeit, nämlich bis 2008, straffrei geführt und im Rahmen des gegen ihn laufenden Strafverfahrens auf seine Zulassung verzichtet hat. Die Bewährungszeit war Ende des Jahres 2015 beendet. Auch wenn die straffreie Führung nach der Verurteilung innerhalb der Bewährungszeit nicht entscheidend zugunsten des Klägers berücksichtigt werden kann, da er währenddessen noch unter dem Druck der zur Bewährung ausgesetzten Strafe stand, hat er das beanstandungsfreie Verhalten geraume Zeit nach Erlass der Freiheitsstrafe fortgesetzt. Der Senat hat auch das fortgeschrittene Alter des Klägers in den Blick genommen, das mit zunehmender Dauer seiner Nichtzulassung eine natürliche Grenze für die Ausübung des Anwaltsberufs bilden könnte und das es ihm erschwert, aus eigener Kraft eine anwaltliche Altersversorgung aufzubauen.
Gleichwohl überwiegen im Rahmen der Gesamtabwägung die gegen eine Zulassung des Klägers sprechenden Umstände. Die Straftaten betreffen den Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit und waren mit einem groben Vertrauensbruch gegenüber einer langjährigen Mandantin verbunden. Auch wenn es wegen der Aufdeckung der Tat letztlich zu keinem Vermögensabfluss bei den Erben gekommen ist, war zu berücksichtigen, dass dieser Umstand ausweislich der Gründe der strafrechtlichen Verurteilung durch das AG Traunstein (Urt. …; Seiten 3, 9 und 21) nur von einem Zufall abhing, nämlich dem Umstand, dass eine weitere Abschrift des Testaments der Verstorbenen beim Räumen ihrer Wohnung vorgefunden werden konnte und der Testamentsvollstrecker – aus welchen Gründen auch immer – zuvor keine Auszahlung vorgenommen hatte. Auch muss zum Nachteil des Klägers der Umgang mit der Tat gewertet werden, konkret der Umstand, dass er sich gerade nicht durchgängig zu seinem Fehlverhalten bekannt hat. Ausweislich der Gründe der strafrechtlichen Verurteilung durch das AG Traunstein (a.a.O.; Seite 4) hatte der Kläger bis zum 13.04.2011 jegliches Fehlverhalten bestritten. Zwar hatte er an diesem Tag vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts ein Geständnis abgelegt, es hat sich jedoch nach seinen eigenen Angaben um ein taktisches Geständnis zur Vermeidung von Untersuchungshaft gehandelt (a.a.O.; Seite 5). Noch in der strafrechtlichen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Traunstein am 01./15.03.2012 hat der Angeklagte seine Unschuld beteuert und dieses Geständnis vom 13.04.2011 als unwahr bezeichnet, weshalb in 2-tägiger Hauptverhandlung eine umfangreiche Beweisaufnahme vorgenommen wurde. Zwar handelt es sich insoweit um ein zulässiges Verteidigungsverhalten. Von einem Bekenntnis des Klägers zu seinem Fehlverhalten und einer von Schuldeinsicht getragenen Aufklärungshilfe, welche positiv zu werten gewesen wären, kann jedoch bis zum 17.09.2012 schlechterdings nicht die Rede sein. Erst an diesem Tag erfolgte eine Beschränkung der Berufung des Klägers auf den Rechtsfolgenausspruch im Strafverfahren … vor dem LG Traunstein, womit die bis dahin von ihm bestrittenen tatrichterlichen Feststellungen der erneuten Überprüfung entzogen wurden.
Entgegen der Auffassung des Klägers stellt die Versagung der Zulassung keine faktische Verlängerung des dreijährigen strafrechtlichen Berufsverbots dar, weil die Dauer des strafrechtlichen Berufsverbots in die Wohlverhaltensphase eingerechnet wird. Strafrechtliches und berufsrechtliches Verfahren bestehen zudem nebeneinander. Sie haben verschiedene Ziele, wie in der Rechtsprechung anerkannt ist. Das Berufsverbot soll die Allgemeinheit vor weiterer Gefährdung schützen, während die Ausschließung aus der Rechtsanwaltschaft nicht nur diesen Zweck hat, sondern wesentlich der Reinhaltung des Anwaltstandes von nicht tragbaren Mitgliedern dient (vgl. BGH Urt. v. 12.05.1975 – AnwSt (R) 8/74 [bei juris]). Der Grundsatz ne bis in idem gilt insoweit nicht.
Die von der Beklagten getroffene Entscheidung begegnet auch im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG keinen Bedenken. Art. 3 Abs. 1 GG kann zwar dann verletzt sein, wenn die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die gesetzliche Regelung fehlt. Ein solcher Fall läge vor, wenn zwischen den Gruppen, die ungleich behandelt werden, keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Schlechterstellung rechtfertigen können (AGH München Urt. v. 11.05.2011 – BayAGH I – 1/11 [bei juris]). Derartige vergleichbar gleiche Sachverhalte lägen auch dann nicht vor, wenn die in dem von Kläger herangezogenen Vergleichsfall und dem vorliegenden Fall zugrundliegenden strafrechtlichen Sachverhalte vergleichbar gewesen wären, was vom Senat aber nicht näher zu klären war. Zum einen handelt es sich nur um eine Entscheidung im Einzelfall und nicht um eine ständige Verwaltungspraxis, zum anderen bestehen zwischen einer Person, die bereits als Rechtsanwalt zugelassen ist und einer Person, die eine solche Zulassung nicht hat, schon im Ausgangspunkt durchgreifende Unterschiede. So enthalten § 7 BRAO und § 14 BRAO unterschiedliche Voraussetzungen für die Versagung und den Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Der Zwang zur Aufgabe eines frei und zulässig gewählten Berufs wirkt ungleich stärker als das Hindernis, in einen Beruf einzutreten (BGH Beschluss vom 07.03.2005 – AnwZ (B) 7/04 [bei juris]; BVerfGE 21, 173 = NJW 1967, 1317). Derjenige, dem, gleich aus welchen Gründen, die Zulassung entzogen wurde oder der sie freiwillig zurückgegeben hat, befindet sich nicht mehr in einer Position, in der er einen Vertrauens- oder Bestandsschutz geltend machen könnte (vgl. AGH München a.a.O.), wobei anzumerken ist, dass der Kläger immerhin über 30 Jahre lang der seiner Ausbildung entsprechenden Tätigkeit nachgehen konnte.
III. Nebenentscheidungen
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 167 VwGO und § 709 S. 2 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 194 Abs. 2 BRAO.
4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung (§ 112c BRAO, §§ 124a, 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO) sind nicht gegeben. Sämtliche für das Verfahren relevanten Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Die Anwendung dieser Rechtsprechungsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall stellt keinen Zulassungsgrund dar.