Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für nicht vorverfolgten eritreischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 12 K 16.31650

Datum:
25.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 2, Abs. 4, § 3a Abs. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

1. Der eritreische Nationaldienst trifft alle Staatsangehörigen ohne Ansehen flüchtlingsrelevanter Persönlichkeitsmerkmale gleichermaßen.  (redaktioneller Leitsatz)
2. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die eritreische Regierung Personen verfolgt, die sich dem Nationalen Dienst dadurch entzogen haben, dass sie sich im wehrpflichtigen Alter nicht in Eritrea befunden haben. (redaktioneller Leitsatz)
3. Eritrea befindet sich derzeit nicht in einem internationalen oder innerstaatlichen Konflikt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Das Gericht konnte über die Verwaltungsstreitsache entscheiden, obwohl außer dem Kläger kein Beteiligter zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Die Parteien wurden ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entscheiden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist die Frage, ob der Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juni 2016 in seiner Nr. 2 rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist und ob der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat (vgl. Antrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung).
Die Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylVfG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 -, juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i. S. d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 -, juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a. a. O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a. a. O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylVfG festzustellen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Eritrea oder im Falle einer Rückkehr nach Eritrea landesweit von politischer Verfolgung betroffen war bzw. bedroht sein würde.
Der Kläger hat zu seiner Vorverfolgung einen unglaubwürdigen Sachverhalt vorgetragen, so dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass er sich ereignet hat.
Der Kläger hat nicht überzeugend dargelegt, dass er zum Militärdienst einberufen werden sollte. Sein diesbezüglicher Vortrag ist widersprüchlich und unglaubhaft. Beim Bundesamt trug er vor, es sei noch nicht versucht worden, ihn zu rekrutieren, er sei nur einen Tag in Haft genommen worden (Bl.53 BA). In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger dagegen vor, er habe eine Ladung zum Militär bekommen. Er habe diese nicht ernst genommen und habe den Brief zerrissen. Daraufhin seien Soldaten ins Haus des Klägers gekommen; der Kläger sei dann geflohen. Abgesehen davon, dass es sich um eine erhebliche Steigerung des klägerischen Vorbringens handelt, die den gesamten Sachverhalt unglaubhaft macht, ist nicht nachvollziehbar, wie der Kläger hätte fliehen können. Eritreische Soldaten verhalten sich wohl kaum derart dilettantisch, dass sie den Kläger, den sie offenbar zum Militär hätten bringen sollen, einfach laufen lassen. Die Einlassung des Klägers, er habe die Geschichte nicht beim Bundesamt erzählt, weil er ängstlich gewesen sei, überzeugt nicht. Der Kläger ist nach seiner Verfolgungsgeschichte gefragt worden; es ist kein Grund ersichtlich, warum er diese nicht erzählt hätte, wenn sie denn wahr wäre. Viel wahrscheinlicher ist, dass sich der Kläger im Lauf des Asylverfahrens eine Geschichte zu Recht gelegt hat, von der er annimmt, dass sie ihm zur Flüchtlingseigenschaft verhilft.
Insgesamt ist der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt widersprüchlich und unglaubwürdig, so dass das Gericht nicht davon ausgeht, dass er sich tatsächlich ereignet hat. Er wirkt konstruiert und ausgedacht, um seine Ausreise aus Eritrea zu rechtfertigen.
Auch das Vorbringen betreffend den Wehrdienst des Klägers führt nicht dazu, dass die Beklagte zu verpflichten wäre, ihm Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Dem Kläger droht in Eritrea, dem Land seiner behaupteten Staatsangehörigkeit (Herkunftsland) nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine eritreische Staatsangehörigkeit glaubhaft gemacht hat. Nur unter dieser Voraussetzung kann er den Flüchtlingsstatus in Bezug auf eine ihm in Eritrea drohende flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgungsgefahr beanspruchen.
Dabei ist unter Zugrundelegung des eigenen Vorbringens des Klägers davon auszugehen, dass er nicht vorverfolgt aus Eritrea ausgereist ist, da er unverfolgt Eritrea verlassen hat (siehe oben). Hinsichtlich der jetzt anzunehmenden Verfolgungsgefahr ist nicht etwa danach zu fragen, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger erneut von einer Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden bedroht wird (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie)). Denn der Kläger hat nichts dazu vorgebracht und es erschließt sich auch nicht sonst, dass er bis heute in Eritrea jemals relevante Verfolgungshandlungen erlitten oder unmittelbar zu gewärtigen gehabt hätte. Maßstab für die flüchtlingsschutzrechtliche Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Verfolgungsgefahr ist daher, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr für den Kläger in dem von ihm behaupteten Herkunftsland (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) Eritrea in Anknüpfung an die geschützten Persönlichkeitsmerkmale (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) auszugehen ist.
Eine solche Verfolgungsgefahr in Eritrea vermag das Gericht wegen des Nationalen Dienstes (Militärdienst einschließlich nationaler Dienstverpflichtung) nicht zu erkennen. In diesem Zusammenhang stellt die bloße Heranziehung zum Nationaldienst als solchen deshalb keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung dar, weil die Heranziehung zum Militärdienst ausweislich der Regelung in § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG flüchtlingsschutzrechtlich schon grundsätzlich nicht dem Schutzversprechen unterfällt. Denn diese Vorschrift definiert Verfolgungshandlungen im Zusammenhang mit einer Verweigerung des Militärdienstes nur in einem Konflikt als relevante Verfolgungshandlungen, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Kriegsverbrechen; schwere nichtpolitische Straftaten, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Vereinten Nationen). Im Übrigen trifft der eritreische Nationaldienst alle Staatsangehörigen ohne Ansehen der Persönlichkeitsmerkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gleichermaßen.
Der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus steht im vorliegenden Fall weiter entgegen, dass keine substantiellen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die eritreische Regierung auch Personen verfolgt, die sich – wie der Kläger – dem Nationalen Dienst lediglich dadurch (bisher) entzogen haben, dass er sich im wehrpflichtigen Alter (ab dem 18. Lebensjahr) nicht in Eritrea befunden hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass solche Personen im Falle einer Einreise nach Eritrea mit einer Einberufung zum Nationalen Dienst zu rechnen haben, also anders als Deserteure, Fahnenflüchtlinge oder Wehrdienstverweigerer nicht mit Inhaftierung, Folter, unmenschlicher Behandlung und/oder sonstigen Repressalien seitens des eritreischen Staates rechnen müssen. Selbst eine ggf. drohende Strafverfolgung wegen Wehrpflicht-/Kriegsdienstverweigerung durch eine illegale Ausreise wäre gem. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nur dann flüchtlingsschutzrechtlich relevant, wenn sie entweder zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würde, die durch die Maßnahmen in einem der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten flüchtlingsschutzrechtlich relevanten Persönlichkeitsmerkmale getroffen werden sollen, oder wenn sie wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt erginge, in welchem der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (Treiber in GK-AufenthG, Band 3, § 60 AufenthG Rn. 167 ff., Stand April 2011 m. w. N. aus der Rspr.). § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG bezieht sich – in Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 lit. e der Qualifikationsrichtlinie – also auf einen „Konflikt“. Eine Kriegsdienstverweigerung, die – aus welchen Gründen auch immer – außerhalb eines solchen Konfliktes stattfindet, kann demnach nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen (EuGH, U.v. 26. 2. 2015 – Rs. C-472/13 zur unionsrechtlichen Vorgängernorm des Art. 9 Abs. 2 lit. e Richtlinie 2004/83/EG – juris).
Hiernach würde selbst eine in Eritrea ggf. drohende Bestrafung wegen Umgehung der Wehrpflicht durch eine illegale Ausreise, die ggf. mit inhumanen Umständen der Strafvollstreckung verbunden sein könnte, keine flüchtlingsschutzrechtlich relevante Verfolgung darstellen. Dies gilt auf der Ebene des Flüchtlingsschutzes erst recht für den vorliegenden Fall einer Umgehung der Wehrpflicht durch bloßen „Nicht-Aufenthalt“ in Eritrea im wehrpflichtigen Alter (VG Münster, U.v. 22.7.2015 – 9 K 3488/13.A – juris).
Die Flucht des Klägers aus Eritrea und seine Weigerung, nach Eritrea zurückzukehren, löst keine Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aus. Denn dieses Verhalten steht nicht im Zusammenhang mit einem Konflikt im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Eritrea befindet sich derzeit (§ 77 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz AsylG) in keinem Konflikt im Sinne der Vorschrift – sei es mit anderen Staaten (internationaler Konflikt), sei es mit aufständischen innerstaatlichen Gruppen (innerstaatlicher Konflikt). Kriegerische Auseinandersetzungen mit den Nachbarstaaten Äthiopien, Dschibuti und Sudan finden zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht statt.
Die bloße Asylantragsstellung in Deutschland begründet ebenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr für den Kläger in Eritrea (Auswärtiges Amt, Lagebericht Eritrea, 14. Dezember 2015, S. 17).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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