Verwaltungsrecht

Klageabweisung im Streit um Gewährung subsidiären Schutzes

Aktenzeichen  RN 14 K 17.35082

Datum:
8.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15200
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG § 26a

 

Leitsatz

Einem jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann, der zudem über einige Jahre Schulbildung verfügt, ist es grundsätzlich zumutbar, sich in Sierra Leone eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, den Kläger nicht als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
1. Die Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dem Kläger steht ein Asylrecht im Sinne des Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz nicht zu. Nach Art. 16a Abs. 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer zur Überzeugung des Gerichts über einen sicheren Drittstaat im Sinne des § 26a AsylG eingereist ist. Der Kläger hat beim Bundesamt bestätigt, dass er von Italien aus mit dem Zug kommend über die Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten scheitert somit bereits an Art. 16a Abs. 2 GG i.V.m. § 26a AsylG.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihm droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen seiner Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B.v. 28.3.2014 – 13 A 1305/13.A – juris). Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die soeben genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. dazu § 3d AsylG), und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist es nach § 3b Abs. 2 AsylG auch unerheblich, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet ist, weil er tatsächlich die Merkmale besitzt, die zu seiner Verfolgung führen, sofern der Verfolger dem Betroffenen diese Merkmale tatsächlich zuschreibt.
Die Flüchtlingseigenschaft kann allerdings nicht zuerkannt werden, wenn der Ausländer in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesem Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e AsylG).
Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt unabhängig davon, ob bereits eine Vorverfolgung stattgefunden hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – juris, Rn. 22). Eine Privilegierung des Vorverfolgten erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Eine bereits erlittene Vorverfolgung, ein erlittener bzw. drohender sonstiger ernsthafter Schaden sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 – 14 A 2316/16.A – juris, Rn. 24).
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3).
Dem Kläger drohen keine politischen Verfolgungsmaßnahmen wegen der Umstände, die zu seiner Ausreise aus Sierra Leone geführt haben. Darüber hinaus wäre er auf die Möglichkeit landesinternen Schutzes nach § 3e Abs. 1 AsylG zu verweisen.
Die Voraussetzungen einer relevanten Verfolgungsmaßnahme durch den Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (§ 3c AsylG) liegen bei der Klagepartei nicht vor. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr nach Sierra Leone keine nach § 3 AsylG relevante politische und zugleich dem sierra-leonischen Staat zuzurechnende Verfolgung.
Die Ausführungen des Klägers, ihm drohe der Tod im Fall eines Ergreifens durch die Poro-Society sind bereits hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit zweifelhaft. Nicht plausibel erklären konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, dass er sicher von der Entführung durch die Poro-Society ausgehe, bei der Anhörung vor dem Bundesamt aber den Namen des Geheimbundes noch nicht benennen habe können. Dies lediglich damit zu erklären, dass er zum Zeitpunkt der Anhörung und damit fast drei Jahre nach den angeblich fluchtauslösenden Ereignissen zu sehr im Stress gewesen sei, sodass er den Geheimbund nicht habe namentlich nennen können, ist nicht nachzuvollziehen. Widersprüchlich äußerte sich der Kläger auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst, als er auf eine erste Frage des Gerichts eine Mitgliedschaft seines Vaters in der Poro-Society und dem Geheimbund Gbangbani behauptete. Auf Vorhalt des Gerichts hinsichtlich seiner Aussagen bei der Anhörung vor dem Bundesamt passte der Kläger nunmehr seinen Vortrag dahingehend an, dass sein Vater zusätzlich auch noch Mitglied der Geheimbünde Ojeh und auch Soko Bana gewesen sei. Erhebliche Teile des Vorbringens des Klägers sind insoweit schon nicht glaubhaft. Seiner Obliegenheit zum Vortrag eines in sich schlüssigen, nachvollziehbaren und glaubhaften Fluchtgeschehens ist der Kläger folglich nur unzureichend nachgekommen.
Unabhängig davon sind im Fall des Klägers jedenfalls auch die Voraussetzungen von § 3e AsylG gegeben, sodass dieser auf die Möglichkeit zu verweisen ist, sog. internen Schutz in Anspruch zu nehmen. Danach wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft dann nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Abs. 1 erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL – Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Gemessen hieran kann der Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht beanspruchen, weil ihm aus den nachfolgenden Gründen eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. interner Schutz zur Verfügung steht:
Eine den genannten Anforderungen genügende Ausweichmöglichkeit würde der Kläger innerhalb der Republik Sierra Leone, deren Staatsangehörigkeit er nach eigenem Bekunden besitzt, jedenfalls in den anderen Landesteilen oder Großstädten Sierra Leones vorfinden. In diesem Zusammenhang erscheint es bereits fraglich, wie es einem Geheimbund grundsätzlich überhaupt möglich sein soll, von ihm gesuchte Personen zu finden. Schließlich existiert in Sierra Leone kein ausreichendes Melderegister (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 17.10.2017). Wie dies gelingen soll, vermag das Gericht nicht nachvollzuziehen. Das Gericht geht davon aus, dass es jedenfalls in den Großstädten Sierra Leones – mit Ausnahme ggf. der Stadt des vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts – möglich ist, grundsätzlich unbehelligt von Geheimbünden zu leben (so auch VG München, U.v. 14.5.2018 – 30 K 17.40892 – BeckRS 2018, 20432 unter Verweis auf Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 9. Januar 2017 zur Poro-Society an das VG Augsburg). Dort gebe es viele Menschen, die nicht Mitglied einer Geheimgesellschaft sind und ohne Probleme leben könnten. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass jemand gefoltert werde oder seinen Arbeitsplatz verliere, wenn er offen bekenne, die Mitgliedschaft in einer Geheimgesellschaft abzulehnen. Die Religionsfreiheit erstrecke sich auch auf traditionelle Glaubensvorstellungen, so das Auswärtige Amt. Dass sich an dieser Auskunftslage etwas ändert, wenn jemand zwar zwangsweise einer Geheimgesellschaft zugeführt werden sollte, sich dem jedoch vor der Aufnahme durch Initiierungsrituale entzog, ist aus Sicht des Gerichts grundsätzlich nicht zu erwarten. Ob etwas anderes gilt, wenn sich ein Mitglied entgegen der Regeln des Geheimbundes verhält und der Geheimbund befürchtet, Rituale oder Geheimnisse etc. könnten verraten werden bzw. wurden bereits verraten (vgl. insoweit Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Dezember 2007 an das VG Freiburg), kann vorliegend dahinstehen, da sich der Kläger jedenfalls bereits vor Beginn seiner Aufnahmerituale dem Geheimbund entzog. Nach seiner eigenen Einlassung in der mündlichen Verhandlung ist der Kläger von jungen Männern in ein Waldstück verschleppt und festgehalten worden. Erst in der darauffolgenden Nacht hätte er von älteren Geheimbundmitgliedern im Rahmen einer Zeremonie in die Poro-Society eingeführt werden sollen. Wesentliche Geheimnisse, deren Verbreitung durch den Kläger vom Geheimbund befürchtet werden müsste, hat dieser daher nicht in Erfahrung gebracht. Insofern ist das Gericht davon überzeugt, dass die Mitglieder des Geheimbunds den Kläger nicht noch über fünf Jahre nach dessen Flucht am 15. März 2014 in ganz Sierra Leone suchen werden, nur um diesen zwangsweise dem Geheimbund zuzuführen. Der Aufwand für die Geheimbünde in Sierra Leone, alle Personen, die sich ihrem Vortrag nach einer Zwangsmitgliedschaft entziehen und entzogen haben, in ganz Sierra Leone zu suchen – ohne zentrales Melderegister – wäre enorm, vor allem im Vergleich zu der Chance, tatsächlich jemanden zu finden. Schließlich ist für den Geheimbund bereits nicht bekannt, ob sich die Person überhaupt oder wieder in Sierra Leone aufhält. Insoweit sind auch die Ausführungen des Klägers dahingehend nicht nachzuvollziehen, die Position seines Vaters könne nicht mehr besetzt werden, solange er noch lebe. Der Kläger beruft sich vorliegend zwar darauf, nicht nur zur Mitgliedschaft gezwungen worden zu sein, sondern dass er auch die Position seines Vater als Anführer des Geheimbundes in seinem Heimatort hätte übernehmen sollen. Dass dieses Ansinnen der Geheimgesellschaft aber dazu führen soll, dass der Kläger von der Gesellschaft in ganz Sierra Leone gesucht wird – auch noch über ein halbes Jahrzehnt nach dem Tod seines Vaters und ohne das Wissen von den Mitgliedern der Gesellschaft, ob der Kläger überhaupt noch lebt oder sich in Sierra Leone aufhält – ist nicht glaubhaft. Letztlich ist auch nicht zu erwarten, dass der Geheimbund die Position in all der Zeit und Ungewissheit, den Kläger noch finden zu können, nicht längst anderweitig besetzt hat.
Dem Kläger wäre es auch wirtschaftlich zumutbar, sich in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner neunjährigen Schulbildung sowie seiner Berufserfahrung als Bauhelfer, Minibus- und Taxifahrer ein zumutbares Existenzminimum, nötigenfalls durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften. Der Kläger ist jung, gesund und arbeitsfähig. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, hat er bereits vor seiner Ausreise aus Sierra Leone wie auch unter erschwerten Bedingungen in Mali und Libyen unter Beweis gestellt. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm dies auch nach seiner Rückkehr erneut gelingen wird.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernst-hafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
a) Dass dem Kläger in Sierra Leone die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Akteure droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 AsylG), ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat insoweit auch keine Gefahren geltend gemacht.
b) Es droht ihm zudem kein ernsthafter Schaden durch nichtstaatliche Akteure (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1, 3c Nr. 3 AsylG).
Die durch den Kläger geltend gemachte Gefahr durch einen Geheimbund ist – wie oben bereits ausgeführt – nicht glaubhaft vorgetragen worden. Abgesehen davon besteht die Möglichkeit des landesinternen Schutzes, insbesondere in Großstädten der Republik Sierra Leone.
c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erkennbar.
Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss dabei nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation des schutzsuchenden Ausländers zurückzuführen sein. Der betreffende subsidiäre Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 Elgafaji – juris = Slg. 2009, I-921).
Davon ist nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch nicht auszugehen.
Der in Sierra Leone 11 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 6; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder – Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
4. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen nicht.
a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Danach ist eine Abschiebung dann verboten, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung landesweit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass nach der Rechtsprechung des EGMR aus der Konvention, die hauptsächlich auf den Schutz der bürgerlichen und politischen Rechte abzielt, keine Rechte auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend gemacht werden können, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Falle einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen erheblich beeinträchtigt würde, begründet nach der Rechtsprechung des EGMR noch keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK. Die grundlegende Bedeutung des Art. 3 EMRK erfordert jedoch nach Auffassung des EGMR eine gewisse Flexibilität, um in „sehr ungewöhnlichen“ bzw. „ganz außergewöhnlichen“ Fällen eine Abschiebung zu unter-binden. Dies kann auch nicht mit Blick darauf angenommen werden, dass nach Auffassung des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen auch die Aufenthaltsbeendigung in einen Staat mit schlechten humanitären Verhältnissen bzw. Bedingungen, die keinem Akteur i.S.d. § 3c AsylG zugeordnet werden können, eine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen kann, (vgl. etwa BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13/12 – juris, Rn. 25). Klägerseits wurde keine diesen Voraussetzungen entsprechende konkret-individuelle Gefahr geltend gemacht. Eine allgemeine Bedrohung genügt hierfür nicht.
b) Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren nach Satz 1, denen eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, oder die Bevölkerung als Ganzes, ausgesetzt ist, sind aber bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG).
Allerdings verlangt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG das Bestehen einer konkreten Gefahr ohne Rücksicht darauf ab, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist. Für die Annahme einer „konkreten Gefahr“ genügt ebenso wenig wie im Asylrecht die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Die Gefahr muss vielmehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit vorliegen, wobei das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Dies wäre in etwa anzunehmen, wenn Ausländer einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt würde, was dann der Fall ist, wenn der er im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder ihm erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit drohen würden (BVerwG U.v. 17.10.1995 – 9 C 9.95 – juris, Rn. 14; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris, Rn. 34 sowie U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – juris, Rn. 16). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben. Eine Verdichtung allgemeiner Gefahren zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung liegt jedoch im Falle des Klägers bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nicht vor.
Dem Kläger wäre es auch wirtschaftlich zumutbar, sich in einem anderen Landesteil eine neue Existenz aufzubauen. Der Kläger verfügt nach der Überzeugung des Gerichts im Fall seiner Rückkehr nach Sierra Leone über ausreichend Erwerbspotenzial. Trotz der allgemein schlechten Wirtschaftslage kann der Kläger aufgrund seiner neunjährigen Schulbildung sowie seiner Berufserfahrung als Bauhelfer, Minibus- und Taxifahrer ein zumutbares Existenzminimum, nötigenfalls durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften. Der Kläger ist jung, gesund und arbeitsfähig. Dass er in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt in Sierra Leone sicherzustellen, hat er bereits vor seiner Ausreise aus Sierra Leone wie auch unter erschwerten Bedingungen in Mali und Libyen unter Beweis gestellt. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ihm dies auch nach seiner Rückkehr erneut gelingen wird.
5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

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