Verwaltungsrecht

Konkurrentenstreitigkeit, Schwerbehinderung, Gleichstellung, Auswahl- und Beförderungsgrundsätze des StMFH

Aktenzeichen  3 CE 21.141

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12540
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
LlbG Art. 21

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 1 E 20.2261 2020-12-17 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 12.974,33 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht, auf dessen Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Beschluss verwiesen wird, hat zu Recht dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die beim Zentralfinanzamt Nürnberg zum 1. Januar 2021 zur Besetzung ausgeschriebene Planstelle A9 (Z) mit einem Mitbewerber zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung der Antragstellerin bestandskräftig entschieden ist. Die am 24. September 2020 vom Bayerischen Landesamt für Steuern getroffene Auswahlentscheidung verletze die Antragstellerin in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch. Da sie und die Beigeladene in der letzten, aktuellen dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum 1. Juni 2015 bis 31. Mai 2018 im gleichen Statusamt (BesGr A 9) das identische Gesamturteil von 13 Punkten erhalten hätten, seien die Beurteilungen umfassend inhaltlich auszuwerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien zur Kenntnis zu nehmen gewesen. In den wesentlichen Beurteilungskriterien (Art. 16 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LlbG) Fachkenntnis und Entscheidungsfreude (Art. 58 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a und Nr. 2 Buchst. d LlbG) habe die Antragstellerin jeweils 14 Punkte, die Beigeladene lediglich 13 Punkte zuerkannt erhalten. Die Anhebung der Punktwerte der schwerbehinderten Beigeladenen in Vollzug der Ziffer 2.1.2.3 der Auswahl- und Beförderungsgrundsätze für die Beamten und Beamtinnen im Geschäftsbereich des Staatsministeriums der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat (StMFH) zur Festlegung der Reihung der Bewerber sei mit den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren. Die Schwerbehinderung sei kein Auslesekriterium im Rahmen des Leistungsgrundsatzes. Ein schwerbehinderter Bewerber dürfe auch nicht allein wegen seiner Behinderung gegenüber einem leistungsstärkeren Mitbewerber bevorzugt werden. Solange ein Bewerber einen Leistungsvorsprung habe, gehe das Leistungsprinzip vor und es könne nicht auf Hilfskriterien – wie die Schwerbehinderung – zurückgegriffen werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe es deshalb als einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG gewertet, bei der Entscheidung über Beförderungen im Rahmen der Topfwirtschaft, die – wie vorliegend – nicht mit einer Änderung des Dienstpostens der Bewerber verbunden sei, bei gleichem Gesamturteil im nächsten Auswahlschritt darauf abzustellen, ob der Bewerber schwerbehindert sei.
Der Antragsgegner rügt, das Verwaltungsgericht habe die Auswahlentscheidung zu Unrecht als mit den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG unvereinbar angesehen. Entgegen dessen Rechtsauffassung habe die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 LlbG, wonach schwerbehinderte Menschen bei im Wesentlichen gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bei der Einstellung Vorrang hätten, gelte nach Art. 21 Abs. 1 Satz 4 LlbG auch bei internen Stellenbesetzungen. Diese Vorgabe werde durch Nr. 2.1.2.3. der Auswahl- und Beförderungsgrundsätze für die Beamten und Beamtinnen im Geschäftsbereich des StMFH konkretisiert, indem zur Umsetzung im Rahmen der Auswahlentscheidung für die Festlegung der Reihung der Bewerber der Durchschnitt der Einzelpunkte der wesentlichen Beurteilungskriterien von schwerbehinderten Beamtinnen und Beamten um einen Punkt erhöht werde. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die Erfüllung der Kriterien nach dem bewusst gewählten Gesetzeswortlaut nur im Wesentlichen gleich sein müsse. Der behinderte und der nicht bevorrechtigte Bewerber müssten nicht absolut gleich sein.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lasse sich der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht entnehmen, dass eine Kompensation unterschiedlicher Bewertungen allein im Hinblick auf den zu besetzenden Dienstposten erfolgen dürfe. Vorliegend wichen die Beurteilungen jedoch nicht in einem Punkt des Gesamturteils, sondern nur in je einem Punkt bei den wesentlichen Beurteilungskriterien ab, wobei in beiden Fällen die wesentlichen Beurteilungskriterien der gleichen Punktegruppe im Sinn von Abschnitt 3, Tz. 3.3.2 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht zuzuordnen seien. Damit lägen im Wesentlichen gleiche Beurteilungen vor. Im Rahmen der Auswahl erfolge keine nachträgliche Änderung der dienstlichen Beurteilung, sondern Nr. 2.1.2.3 der Auswahl- und Beförderungsgrundsätze sei ein „Werkzeug“ zur Umsetzung des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 LlbG. Bei der Beigeladenen sei die Vorgabe des Art. 21 Abs. 2 LlbG gerade nicht zu berücksichtigen gewesen, da die Beigeladene zum damaligen Zeitpunkt noch nicht schwerbehindert gewesen sei. Deshalb liege in der Berücksichtigung der Schwerbehinderung im Rahmen der Beförderung keine Bevorzugung im Sinne eines „Doppelvorteils“ für die Beigeladene.
Zu bedenken sei des Weiteren, dass die alleinige Berücksichtigung von quantitativen Minderleistungen im Rahmen der Beurteilungserstellung nicht in der Lage wäre, einen vollständigen Nachteilsausgleich für schwerbehinderte Menschen herbeizuführen. Grund dafür sei, dass Quantität und Qualität von Arbeitsleistungen in aller Regel miteinander dergestalt in Beziehung stünden, dass das eine auf Kosten des anderen gesteigert werden könne. Auch die Tatsache, dass nur eines von vier bzw. fünf Leistungskriterien die Quantität bewerte (vgl. Art. 58 Abs. 3 Nr. 1 LlbG), belege den geringen Umfang des Nachteilsausgleichs. Berücksichtige man, dass auch Eignung und Befähigung zu beurteilen seien, so relativiere sich der Nachteilsausgleich noch weiter. Wenn aber schon gesetzessystematisch nur ein sehr enger Nachteilsausgleich gegeben sei, könne auch das Leistungsprinzip durch Art. 21 Abs. 2 LlbG nicht wirklich tangiert sein. Aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergebe sich wohl keine Pflicht, jedoch eine verfassungsrechtliche Legitimation, für Ausgleichsmaßnahmen zugunsten von Behinderten zu sorgen. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Beförderungsranglisten für Beamte auf gebündelten Dienstposten (U.v. 30.6.2011 – 2 C 19.10 – juris) Bezug nehme, verkenne es, dass dieses dort vorrangig darauf abstelle, dass die einfachgesetzlichen Schutzvorschriften zugunsten Schwerbehinderter lediglich Benachteiligungsverbote enthielten. Zwar seien Vorschriften und Grundsätze für die Besetzung von Beamtenstellen so zu gestalten, dass Einstellung und Beschäftigung von Schwerbehinderten gefördert würden; eine Regelung über die Bevorzugung im Rahmen von Beförderungsentscheidungen fehle. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass eine Besserstellung nicht verboten und durch die Regelung in Art. 21 Abs. 1 und 3 LlbG explizit geregelt sei. Es obliege dem Gesetzgeber, die Güterabwägung zwischen den sozialen Belangen, die er im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflichten zu wahren habe, und dem verfassungsrechtlich verbindlich und vorbehaltlos vorgeschriebenen Leistungsgrundsatz vorzunehmen und einen schonenden Ausgleich zwischen den verschiedenen Verfassungsprinzipien zu finden. Er habe dabei die Interessen Schwerbehinderter und das Interesse der Bürger und des Gemeinwesens an einem leistungsfähigen öffentlichen Dienst sowie die Interessen der nicht zum Zuge kommenden Bewerber miteinander abzuwägen. Die Beurteilung, in welcher Weise und in welchem Umfang der Leistungsgrundsatz Modifikationen und Durchbrechungen aus sozialen Gesichtspunkten erfahren könne, ohne die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes ernsthaft zu gefährden, sei grundsätzlich eine Aufgabe des Gesetzgebers. Ihm obliege es, den Rahmen des „rechtlich und tatsächlich Möglichen und Verantwortbaren“ auszufüllen.
Die Regelung des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 LlbG beziehe sich ausschließlich auf schwerbehinderte Menschen, nicht auch auf gleichgestellte Personen, weshalb die Regelung – unabhängig davon, dass die Auswahlentscheidung bereits vor Erlass des Gleichstellungsbescheides der Antragstellerin getroffen worden sei – zu Recht nur der Beigeladenen, nicht auch der Antragstellerin zugutegekommen sei. Die Gleichstellung solle den Erhalt eines geeigneten Arbeitsplatzes erleichtern oder dessen Verlust verhindern, beides sei in einem bestehenden Lebenszeitbeamtenverhältnis irrelevant.
Damit kann der Antragsgegner nicht durchdringen. Der Begriff der im Wesentlichen gleichen Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung in Art. 21 Abs. 1 Satz 3 und 4 LlbG lässt sich nicht dahingehend auslegen, dass bereits bei einem Gleichstand im Gesamtbeurteilungsprädikat eine Bevorzugung des schwerbehinderten Bewerbers greifen soll. Dafür findet sich weder ein Anhalt im Gesetzeswortlaut noch in den Gesetzgebungsmaterialien (LT-Drs. 17/3200 S. 548). Bei der Ausfüllung des Begriffs „wesentlich gleich“ steht dem Dienstherrn auch kein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu (a.A. Kathke, Kommunalpraxis 2013, 206/208). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, handelt es sich bei dem Umstand der Schwerbehinderung um ein Hilfskriterium, das nur dann den Ausschlag bei der Bewerberauswahl geben kann, wenn bei dieser die auf die Eignung im weiteren Sinn (Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 33 Rn. 18) bezogenen Elemente ausgeschöpft wurden, bevor auf leistungsfremde Hilfskriterien zurückgegriffen wird (vgl. BVerwG, U.v. 3.3.2011 – 5 C 16.10 – juris Rn. 20; B.v. 14.2.1990 – 1 WB 181.88 – BVerwGE 86, 244/249; Baßlsperger in Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: Jan. 2021, Art. 21 LlbG Rn. 11). Die Regelung der Nr. 2.1.2.3 der Auswahl- und Beförderungsgrundsätze verstößt gegen den Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und ist deshalb nicht zur Anwendung zu bringen.
Die gegenteilige Ansicht ist darüber hinaus im vorliegenden Fall auch deshalb unvertretbar, weil „behinderungsbedingte Minderungen der Arbeits- und Verwendungsfähigkeit nur bei der Beurteilung der Leistung zu berücksichtigen“ (Kathke, Kommunalpraxis 2013, 206/209) sind, nicht bei Eignung und Befähigung. Deshalb erfolgt „die Berücksichtigung bei periodischen Beurteilungen nach dem gesetzlichen Standardmodell nur bei der Bewertung der Leistungskriterien (Art. 58 Abs. 3 Nr. 1 LlbG), nicht hingegen bei den Eignungs- und Befähigungskriterien (Art. 58 Abs. 3 Nr. 2 und 3 LlbG)“. Die Auswahl- und Beförderungsgrundsätze sollten indes nach der Auffassung des Antragsgegners hier dergestalt zur Anwendung kommen, dass die wesentlichen Beurteilungskriterien Fachkenntnis und Entscheidungsfreude (Art. 16 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 LlbG) bei der Beigeladenen angehoben werden, obwohl sie den Eignungs- und Befähigungskriterien zugehören. Dieser Widerspruch lässt sich nicht mit dem angeblichen Ziel des Gesetzes rechtfertigen.
Schließlich hebt die Beschwerde hervor, dass die Beigeladene im Zeitpunkt der Beurteilung noch nicht schwerbehindert gewesen sei und eine Anwendung der Auswahl- und Beförderungsgrundsätze auf den Personenkreis der mit den Schwerbehinderten Gleichgestellten nicht in Betracht komme. Auch diese Umstände können der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Auch wenn es zu keiner Doppelverwertung der Schwerbehinderteneigenschaft der Beigeladenen bei dienstlicher Beurteilung und Auswahlentscheidung gekommen, sondern diese nur bei der Auswahlentscheidung eingeflossen wäre, bleibt es dabei, dass sich die Schwerbehinderteneigenschaft nur bei einem Gleichstand in allen maßgeblichen Eignungskriterien im weiteren Sinn als Hilfskriterium durchsetzen kann. Ein solcher Gleichstand liegt hier nicht vor. Es bedarf deshalb auch keiner Vertiefung, ob der vom Antragsgegner vertretene Ausschluss der von den Schwerbehinderten gleichgestellten Personen von der Vorrangregel des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 LlbG der Rechtslage entspricht. Der Einwand, dass die Gleichstellung nur den Erhalt eines geeigneten Arbeitsplatzes erleichtern oder dessen Verlust verhindern soll und deshalb bei Lebenszeitbeamten irrelevant sei, richtet sich zunächst gegen die Praxis der nach dem Schwerbehindertenrecht zuständigen Behörden. Zwar ist, soweit andere Rechtsnormen als das SGB IX Schwerbehinderten besondere Rechte einräumen, durch Auslegung zu ermitteln, ob diese auch Gleichgestellten gewährt werden sollen (Rolfs in ErfK, 21. Aufl. 2021, § 151 SGB IX Rn. 14; Ritz in SichwortKommentar Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Gleichstellung Rn. 2). Der vom Antragsgegner gewählte formale Ansatz ist indes durchaus zweifelhaft und wird von der Literatur nicht geteilt (vgl. Baßlsperger a.a.O. Rn. 3 m.w.N.). Zum Hinweis der Antragstellerin auf die Inklusionsrichtlinien hat der Antragsgegner nicht Stellung genommen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG (wie Vorinstanz).


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