Verwaltungsrecht

Konkurrentenstreitigkeit um Schulleiterposten; Erwerb der Lehrbefähigung nach Recht der DDR

Aktenzeichen  1 E 1586/21 We

Datum:
24.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Weimar 1. Kammer
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
Art 33 Abs 2 GG
Art 3 Abs 1 GG
Nr 3 Abs 3 BesG TH
Spruchkörper:
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Leitsatz

Eine Auslegung der Vorbemerkung zum Thüringer Besoldungsgesetz (juris: BesG TH), Punkt 3 Abs. 3 S. 1, die eine Differenzierung bei der erworbenen Lehrbefähigung der DDR für den Unterricht der Klassen 5 – 12 zwischen Absolventen mit und ohne Zeugnis zulässt, verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz.(Rn.11)

Tenor

1. Auf den Antrag des Antragstellers wird dem Antragsgegner vorläufig bis zum Abschluss eines erneuten Auswahlverfahrens untersagt, den Dienstposten des Schulleiters/der Schulleiterin am Staatlichen Otto-Schott-Gymnasium Jena mit einer anderen Bewerberin/einem anderen Bewerber als dem Antragsteller zu besetzen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Antragsgegner, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
3. Der Streitwert wird auf 18.244,89 € festgesetzt.

Gründe

Der am 17.11.2021 bei dem Verwaltungsgericht Weimar eingegangene Antrag,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO bis zum Ablauf von 2 Wochen nach Bekanntgabe aus einer erneuten Auswahlentscheidung zu untersagen, den Dienstposten des Schulleiters/der Schulleiterin am Staatlichen Otto-Schott-Gymnasium in Jena mit einer anderen Bewerberin/einem anderen Bewerber als dem Antragsteller zu besetzen,
ist entsprechend dem im Tenor genannten Umfang zulässig und begründet.
Als Rechtsgrundlage für den Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt, da es um die Sicherung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs der Antragsteller geht, allein § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Sicherungsanordnung) in Betracht. Das Gericht kann eine Sicherungsanordnung im Hinblick auf den Streitgegenstand treffen, wenn ohne diese Regelung durch Veränderung des bestehenden Zustandes die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers – hier der Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Bewerbung bzw. rechtsfehlerfreie Einbeziehung in ein Auswahlverfahren von Amts wegen – vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der zu sichernde Anspruch und der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920, 294 Abs. 1 ZPO).
Vorliegend hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund Grund glaubhaft gemacht.
In Konkurrentenstreitigkeiten um höhere Statusämter besteht regelmäßig ein Anordnungsgrund. Dieser ergibt sich daraus, dass durch die Beförderung des ausgewählten Bewerbers die Geltendmachung des Bewerbungsverfahrensanspruchs (Art. 33 Abs. 2 GG) des nicht ausgewählten Bewerbers in einem Hauptsacheverfahren wegen der grundsätzlichen Ämterstabilität vereitelt oder wesentlich erschwert wird (vgl. zur Ämterstabilität bei Beförderungen: BVerfG, Beschl. vom 09.07.2007 – 2 BvR 206/07 -, juris; OVG Weimar, Beschl. vom 05.02.1998 – EO 594/96 -, juris; Beschl. vom 07.03.2000 – 2 ZEO 187/00 -, juris; Beschl. vom 31.01.2005 – 2 EO 1170/03 -, juris).
Gleiches gilt für den vorliegenden Fall, wo nach der Mitteilung des Antragsgegners (vgl. Schriftsatz vom 13.10.2021, Bl. 40 der Gerichtsakte) mit der Auswahlentscheidung für den Dienstposten die spätere Auswahlentscheidung über eine Beförderung vorweg genommen wird. Dies steht der Verleihung eines höherrangigen Statusamtes gleich.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ein solcher ist in Verfahren, die die Konkurrenz von Beamten oder Richtern um Beförderungsstellen betreffen, regelmäßig zu bejahen, wenn nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und Streitstand nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die vom Dienstherrn getroffene Auswahlentscheidung zu Lasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft ist. Dies ist der Fall, wenn der Bewerbungsverfahrensanspruch nach Art. 33 Abs. 2 GG keine hinreichende Beachtung gefunden hat (OVG Weimar, Beschl. vom 13.04. 2006 – 2 EO 1065/05 –, juris Rdn. 34). Zugleich müssen die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, zumindest „offen“ sein, d. h. seine Auswahl muss möglich erscheinen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 24.09.2002 – 2 BvR 857/02 -, juris).
Vorliegend ist die Auswahlentscheidung des Antragsgegners, dem Beigeladenen den Dienstposten zu verleihen rechtswidrig, da der Antragsteller zu Unrecht bei der Bewerberauswahl nicht einbezogen wurde. Denn er erfüllt – entgegen der Auffassung des Antragsgegners – die fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis für die Laufbahn des höheren Dienstes in der Bildung im Laufbahnzweig des Gymnasiallehrers entsprechend der Ausschreibung.
Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus der allgemeinen Vorbemerkung Nr. 3 Abs. 3 zu den Besoldungsordnungen A und B des Thüringer Besoldungsgesetzes. Danach sind bei Diplomlehrer mit einer nach dem Recht der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Lehrbefähigung für zwei im neuen Schulsystem anerkannte Fächer der Klassen 5 – 12 und einer Verwendung in der Oberstufe eines Gymnasiums die Ämter der Besoldungsgruppe A13 – Studienrat – entsprechend anwendbar. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners gehört der Antragsteller dieser Gruppe an. Er besitzt als Diplomlehrer die entsprechende Lehrbefähigung für die Klassen 5 – 12 auch dann, wenn – wie hier – der von ihm erworbene Hochschulabschluss (vom 06.07.1989, Bl. 12 seiner Personalakte B) dies nicht ausdrücklich erwähnt.
Die o. g. Vorschrift findet auf den Antragsteller analoge Anwendung. Es liegt eine planwidrige Lücke vor. Auch der Antragsgegner fand nämlich keine Begründung für die Unterscheidung der Lehrbefähigung für die Klassen 5 – 10 und die Lehrbefähigung für die Klassen 5 – 12 nach den Vorschriften über die Zuordnung der Lehrerausbildungsgänge der ehemaligen DDR, jedenfalls für die Abschlussjahrgänge nach 1971. Es spricht daher alles dafür, dass das Erfordernis einer durch Zeugnis ausgewiesenen Befähigung darüber hinaus durch den Gesetzgeber irrtümlich erfolgte.
Soweit der Antragsgegner darauf verweist, dass mit der “Greifswalder Vereinbarung” über die Anerkennung und Zuordnung der Lehrerausbildungsgänge der ehemaligen DDR zu herkömmlichen Laufbahnen und die hierzu beschlossene Übersicht (Anlage 1, unter Punkt 2.2) von einer solchen Qualifikation nur dann ausgegangen werden könne, wenn eine entsprechende Lehrbefähigung durch Zeugnis ausgewiesen sei, würde eine solche Auslegung der oben genannten Vorbemerkung unter Punkt 3 Abs. 3 S. 1 zum Thüringer Besoldungsgesetz gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz verstoßen. Denn hierfür gibt es keinen sachlichen Grund. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 14.12.2005 – 4 AZR 421/04 – juris, zu den o.g. Diplomlehrerabschlüssen der DDR ausgeführt
“Im Jahr 1959 wurde die allgemeinbildende zehnklassige Oberschule eingeführt (bis Klasse 10), ergänzt durch die zum Abitur führende erweiterte Oberschule (Klassen 9 bis 12, später 11 und 12). Die bis 1970 durchgeführten Ausbildungen mit dem Abschluss Staatsexamen für Lehrkräfte waren entweder auf eine Lehrbefähigung bis zur Klasse 10 oder bis zur Klasse 12 ausgerichtet. In den sechziger Jahren wurde ergänzend zu den grundständigen Ausbildungsgängen für Oberstufenlehrer eine Reihe von postgradualen Studienmöglichkeiten zur Erlangung einer Lehrbefähigung für die Klassen 11 und 12 angeboten. Während in den sechziger Jahren bezüglich des Umfangs der Lehrbefähigung noch eine Differenzierung in der Lehrerausbildung erfolgte, die sich auch in den Inhalten und unterschiedlichen Studienzeiten niederschlug, fand ab 1969 eine schrittweise Vereinheitlichung der Oberschullehrerausbildung statt. Diese führte zur Ablösung der Staatsexamensabschlüsse durch den Abschluss des Diplomlehrers. Nach den einschlägigen Bestimmungen der DDR war der Diplomlehrerabschluss, den es ab 1. Mai 1969 gab, zunächst bis zum 1. Juni 1971 noch mit einem Staatsexamens- bzw. Fachlehrerzeugnis verbunden, das zusätzlich die Angabe des Umfangs der Lehrbefähigung bis zur Klasse 10 oder bis zur Klasse 12 enthielt. Es handelte sich dabei um eine Übergangsregelung für die noch nach früheren Bestimmungen durchgeführten Ausbildungsgänge. Später war die Ausbildung der Diplomlehrer generell auf die Erteilung des Fachunterrichts an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen ausgerichtet. Es wurde nicht mehr zwischen der Ausbildung für Lehrkräfte an der polytechnischen Oberschule (bis Klasse 10) und der erweiterten Oberschule (bis Klasse 12) differenziert. Die Lehrbefähigungen erstreckten sich somit auf die erweiterte Oberschule, die Teil der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule der DDR war. Im Zuge dieser Vereinheitlichung wurden Themen der Abiturstufe generell Ausbildungsinhalt bei der Diplomlehrerausbildung. Die Studiendauer betrug einheitlich acht Semester (einschließlich Prüfung). Staatsexamenszeugnisse wurden seit dem 1. Juni 1971 nicht mehr ausgehändigt. Während vor 1970 zwischen Lehrbefähigungen bis zur Klasse 10 und bis zur Klasse 12 unterschieden worden war, gab es nach 1970 nur noch den einheitlichen Abschluss mit Lehrbefähigung bis zur Klasse 12.“
Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer ausdrücklich an. Danach ist festzustellen, dass nach 1970 nur noch ein einheitlicher Abschluss mit der Lehrbefähigung bis zur Klasse 12 erworben werden konnte. Gerade vor dem Hintergrund, dass zusätzliche Themen der Abiturstufe Ausbildungsinhalt bei der Diplomlehrerausbildung wurden, muss eine solche Ausbildung von der Regelung des Punktes 3 Abs. 3 S. 1 Thüringer Besoldungsgesetz erfasst sein, wenn der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG hinreichend Berücksichtigung finden soll. Auch die Interessenlage des Antragsgegners an einer qualitativ hochwertigen Lehrerausbildung, die es rechtfertigt, von einer Bewährung nach Punkt 3 Abs. 3 S. 2 Thüringer Besoldungsgesetz abzusehen, ist vor diesem Grund für beide Gruppen vergleichbar.
Das Erfordernis einer durch Zeugnis belegten Diplomlehrerausbildung für die Klassen 5 – 12, wie sie der Antragsgegner für eine Anerkennung fordert, wäre bei Berücksichtigung der obigen Darlegungen nicht gerechtfertigt. Es würden dann Abschlüsse ab 1970, die den ausdrücklichen Hinweis auf die Lehrerausbildung für die Klassen 5 – 12 nicht mehr enthielten, ohne jeglichen sachlichen Grund schlechter gestellt, als vor diesem Zeitpunkt erworbene Abschlüsse. Der Antragsgegner konnte bislang nicht zur Überzeugung der Kammer darlegen, dass es für eine solche Differenzierung einen sachlichen Grund gibt.
Der Umstand, dass der Antragsteller 1991 aus den Thüringer Schuldienst ausschied, ändert hieran nichts. Vielmehr ist die von ihm in der DDR erworbene Lehrbefähigung für die Fächer der Klassen 5 – 12 – auch ohne ausdrückliche Erwähnung im Zeugnis – erworben und der Antragsteller wird nunmehr i. S. der o.g. Regelung in der Oberstufe eines Gymnasiums verwendet. Eine Bewährung entsprechend der Vorbemerkung 3 Abs. 3 S. 3 ist für ihn daher nicht erforderlich und kann dementsprechend auch nicht zur Voraussetzung des Erfüllens der fachlichen und pädagogischen Voraussetzungen für die Übernahme in das Beamtenverhältnis für die Laufbahn des höheren Dienstes gemacht werden. Da der Antragsteller daher zu Unrecht nicht in das Auswahlverfahren einbezogen wurde, sind seine Erfolgsaussichten in einem erneuten Auswahlverfahren offen.
Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 162 VwGO.
Der Beigeladene trägt seine Kosten selbst, da er keinen Antrag gestellt hat und damit kein eigenes Kostenrisiko übernommen hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 5 S. 2 und S. 1 Nr. 1 GKG. Vorliegend begehrt der Antragsteller seine Auswahl für eine nach A16 Thüringer Besoldungsordnung bewertete Beförderungsstelle –Beförderungsdienstposten -. Der Antragsgegner hat mitgeteilt, dass nach der Auswahlentscheidung für den Dienstposten eine Beförderung vorweg genommen wird. Da der Beigeladene hingegen als Inhaber eines Statusamtes A13 nur in das nächst höhere Amt (vgl. § 36 Abs. 3 S. 2 Thüringer Laufbahngesetz) befördert werden könnte, war vorliegend der Streitwert aus diesem Statusamt zu berechnen. Danach beläuft sich der Streitwert auf die Hälfte des sich aus § 52 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 GKG ergebenden Betrages. Dieser errechnet sich insoweit aus dem 12-fachen Endgrundgehalt des angestrebten Amtes (hier A14) mithin der hälftige Betrag aus 72.979,56 €. Eine weitere Halbierung folgt daraus, dass es sich im Hauptsacheverfahren um eine Bescheidungsklage handelt (18.244,89 €)


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