Aktenzeichen M 23 E 17.48459
VwGO VwGO § 123
AsylG AsylG § 10
Leitsatz
1 Da die Abschiebungsandrohung im Klageverfahren mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist, kommt im Eilverfahren ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht. Hat die Klage kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, entfaltet der Rechtsbehelf diese Wirkung auch dann, wenn er unzulässig und/oder unbegründet sein sollte. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einen Zustellversuch unter der letzten bekannten Wohnanschrift muss der Asylbewerber nicht gegen sich gelten lassen, wenn er sich in Haft befindet und dies dem Bundesamt mitgeteilt wurde. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
3 Geht die Abschlussmitteilung des Bundesamtes zu Unrecht von der Bestandskraft des Bescheides aus, hat der Antragsteller einen Anspruch auf Feststellung, dass sein Hauptsacherechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die Klage des Antragstellers vom 24. September 2017 (Az. M 23 K 17.48457) gegen Nummer 5 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. April 2017 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der zuständigen Ausländerbehörde sofort mitzuteilen, dass die Frage der Bestandskraft des Bescheides vom 11. April 2017 angesichts der anhängigen Klage M 23 K 17.48457 abweichend von der Abschlussmitteilung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juni 2017 nicht feststeht.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller – ein nach eigenen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger – wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die dem Landratsamt Rosenheim (Ausländerbehörde) mitgeteilte Feststellung, der Bescheid vom 11. April 2017 sei bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2017 teilte die Ausländerbehörde dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit, dass der Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt Traunstein (JVA) untergebracht sei. Dem Schreiben war eine Haftzeitübersicht beigefügt, wonach der Antragsteller dort vom 4. bis 29. Januar 2017 in Untersuchungshaft sitze, vom 30. Januar bis 26. Februar 2017 eine Ersatzfreiheitsstrafe ableiste und ab dem 27. Februar 2017 erneut in Untersuchungshaft sitzen werde. Das Ende der letztgenannten Untersuchungshaft ist nicht aufgeführt.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 11. April 2017 (6763959 – 461) lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab, stellte fest, dass nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4), drohte dem Antragsteller die Abschiebung nach Pakistan oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat an (Nr. 5) und befristete das im Fall einer Abschiebung eintretende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Nr. 6). Die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt den Hinweis, dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst“ sein müsse.
Ausweislich der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde vom 15. April 2017 war der Zustellversuch erfolglos, da der Antragsteller unter der angegebenen Adresse (Flintsbach a. Inn) nicht zu ermitteln gewesen sei.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2017 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass der Asylantrag des Antragstellers unanfechtbar abgelehnt worden sei. Bestandskraft sei am 28. April 2017 eingetreten, da der Bescheid am 13. April 2017 als zugestellt gelte.
Am 26. September 2017 ließ der Antragsteller über seinen Prozessbevollmächtigten gegen den Bescheid des Bundesamts vom 11. April 2017 Klage erheben (23 K 17.48417). Zugleich beantragt er im gegenständlichen Verfahren,
der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung aufzugeben, der zuständigen Ausländerbehörde (derzeit Landratsamt Rosenheim) unter Korrektur der bisherigen Bestandskraftmitteilung mitzuteilen, dass die Klage gegen den Bescheid vom 11. April 2017 aufschiebende Wirkung hat.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe den Bescheid bislang noch nicht zugestellt bekommen. Dem Antragsteller sei mit Schreiben der Ausländerbehörde aufgegeben worden, einen Reisepass vorzulegen, da er vollziehbar ausreisepflichtig sei. Im Übrigen sei die Klage mangels ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrungauch nicht verfristet. In Ergänzung hierzu hat der Antragsteller in einem weiteren Klageverfahren (M 23 K 17.46879) im Hinblick auf dieses Verfahren am 11. August 2017 zur Niederschrift erklärt, er habe den streitgegenständlichen Bescheid (6763959 – 461) nicht zugestellt bekommen, da er sich zu diesem Zeitpunkt in Haft befunden habe. In dem Verfahren M 23 K 17.46879 wendet sich der Antragsteller gegen einen Folgebescheid vom 27. Juli 2017 mit dem sein Folgeantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
Das Bundesamt legte die Behördenakte elektronisch vor; eine Antragstellung unterblieb.
Nach gerichtlich eingeholter Auskunft bei der Regierung von Oberbayern vom 13. Dezember 2017 war der Antragsteller vom 4. Januar 2017 bis zum 20. Juli 2017 in der JVA Traunstein untergebracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Verfahren M 23 K 17.48417, M 23 K 17.46879 sowie in diesem Verfahren als auch auf die Behördenakte der Antragsgegnerin (Az. 6763959 – 461) Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg.
Der Antrag war gemäß § 88 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers zunächst dahingehend auszulegen, dass die Feststellung begehrt wird, dass der Klage vom 24. September 2017 aufschiebende Wirkung zukommt (§ 80 Abs. 5 VwGO analog; vgl. unten 1.) sowie die Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog bzw. nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, die Wirkungen des Schreiben des Bundesamtes vom 13. Juni 2017 rückgängig zu machen (s.u. 2.).
1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO analog ist zulässig und begründet.
Aus § 123 Abs. 5 VwGO ergibt sich der Vorrang eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, soweit es um den vorläufigen Rechtschutz hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eines Verwaltungsakts geht. Auf die Fassung des gestellten Antrags kommt es nicht an (§ 88 VwGO). Das Gericht muss den Antrag je nach erkennbarem Ziel des Rechtsschutzbegehrens auslegen. Da bezüglich der in Nr. 5 des angefochtenen Bescheids enthaltenen Abschiebungsandrohung im Klageverfahren von einer Anfechtungsklage auszugehen ist (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO), kommt grundsätzlich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht. Allerdings hat vorliegend die Klage bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung (§ 75 Abs. 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 1 VwGO).
§ 80 Abs. 1 VwGO sieht für den Suspensiveffekt eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage neben der Einlegung bzw. Erhebung keine weiteren Tatbestandsvoraussetzungen vor. Folglich entfalten diese Rechtsbehelfe nach der herrschenden Meinung grundsätzlich auch dann aufschiebende Wirkung, wenn sie unzulässig und/oder unbegründet sind. Denn dies – also die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs – zu klären ist Aufgabe des Verwaltungsbzw. Klageverfahrens. Neben den in § 80 Abs. 2 VwGO normierten Fallgruppen lassen die weit überwiegende Rechtsprechung und die herrschende Lehre, welchen sich der erkennende Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vorliegend anschließt, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nur zu, wenn der gewählte Rechtsbehelf offensichtlich unzulässig ist (so bspw. BayVGH, B. v. 16. Juli 2002 – 10 CS 02.1548 – juris; vgl. zu den insoweit vertretenen Ansichten auch Eyermann, VwGO, Kommentar, 14. Auflage 2014, § 80 Rn. 13).
a. Vorliegend ist die Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG der in der Hauptsache erhobenen Klage aber nicht offensichtlich verstrichen und die Klage insgesamt nicht offensichtlich unzulässig.
Es ist bereits fraglich, ob die im Bescheid vom 8. Dezember 2016 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung:richtig ist oder ob wegen deren (möglicherweise vorliegenden) Unrichtigkeit als Klagefrist nicht vielmehr die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO greift, welche ohne weiteres eingehalten ist. Zur (Un-)Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung:aufgrund der darin verwendeten Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst“ werden innerhalb der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit kontroverse Auffassungen vertreten (unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung: VGH BW, U.v. 18.04.2017 – 9 S 333/17; VG Düsseldorf, GB v. 20.3.2017 – 5 K 3863/17.A; GB v. 28.06.2016 – 22 K 4119/15.A; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.2.2017 – 3a K 4163/16.A; VG Hannover, B.v. 15.9.2016 – 3 B 4870/16; a.A. richtige Rechtsbehelfsbelehrung: VG Berlin, U.v. 24.1.2017 – 21 K 346.16 A; VG Düsseldorf, B.v. 1.3.2017 – 19 L 257/17.A; VG Gelsenkirchen, B.v. 15.11.2016 – 14a L 2496/16.A). Der Sache nach braucht dies aber im vorliegenden Eilverfahren nicht entschieden zu werden. Denn schon angesichts der o.g. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg kann jedenfalls derzeit keine Rede davon sein, dass die Rechtsbehelfsbelehrung:offensichtlich richtig und damit die Klage offensichtlich unzulässig ist. Ausschließlich darauf, also auf das Kriterium der Offensichtlichkeit, kommt es aber bzgl. eines etwaigen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung an. Stattdessen verbleibt es vor diesem Hintergrund beim Grundsatz des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 Var. 1,§ 38 Abs. 1 AsylG, die Hauptsacheklage M 23 K 17.449417 hat aufschiebende Wirkung.
b. Die Klagefrist ist vielmehr sogar gewahrt, da dem Antragsteller der streitgegenständliche Bescheid nicht ordnungsgemäß am 15. April 2017 zugestellt worden ist. Zudem ist ein über zwei Wochen vor Klageerhebung erfolgter tatsächlicher Zugang des Bescheids nicht nachgewiesen, sodass der Ablauf der Klagefrist auch nicht wegen einer vorzeitigen Heilung nach § 8 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – eingetreten ist.
Den Zustellversuch vom 15. April 2017 muss der Antragsteller nicht über § 10 Abs. 2 S. 1 u. 2 AsylG gegen sich gelten lassen, da er in diesem Zeitpunkt in der JVA untergebracht war und die Ausländerbehörde dies dem Bundesamt mit Schreiben vom 9. Januar 2017 mitgeteilt hatte. Nach § 10 Abs. 2 S. 1 muss der Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das Gleiche gilt, wenn die letzte bekannte Anschrift, unter der der Ausländer wohnt oder zu wohnen verpflichtet ist, durch eine öffentliche Stelle mitgeteilt worden ist (§ 10 Abs. 2 S. 2 AsylG). Der Eintritt der Fiktionswirkung hängt somit zunächst davon ab, dass die Behörde ihre Mitteilung dem Asylbewerber unter keiner der nach § 10 Abs. 2 S. 1 bis 3 maßgeblichen Anschriften bekanntgeben kann (BeckOK AuslR/Preisner, 15. Ed. 1.8.2017, AsylG § 10 Rn. 31).
Die dem Bundesamt zuletzt mitgeteilte Anschrift, unter der der Antragsteller zu wohnen verpflichtet war, war jene der JVA. Diese Anschrift ist dem Bundesamt auch durch die Ausländerbehörde als öffentliche Stelle mit Schreiben vom 9. Januar 2017 mitgeteilt worden. Somit hätte die Zustellung unter der Anschrift der JVA erfolgen müssen. Das Bundesamt hat hingegen jene Anschrift gewählt, unter der der Antragsteller angesichts des Akteninhalts offensichtlich nicht mehr wohnhaft war.
Nachdem der Antragsgegnerin ausweislich des in den Akten vorhandenen Bestandskraftvermerks aber nicht vom Eintritt der aufschiebenden Wirkung ausgeht, kann das Gericht in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 VwGO feststellen, dass der Hauptsacherechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 80, Rn. 181 mit umfassenden Nachweisen zur Rechtsprechung).
2. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes hat der Antragsteller gegenüber der Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO analog bzw. aus § 123 Abs. 1 VwGO auch einen Anspruch darauf, die Wirkungen der so nicht haltbaren Abschlussmitteilung des Bundesamtes vom 13. Juni 2017 rückgängig zu machen (vgl. dazu VG München, B. v. 26.4.2017 – M 17 S. 17.37173; B.v. 2.8.2017 – M 26 E 17.45694 – jeweils juris; VG München, B.v. 7.4.2017 – M 24 S. 17.35690 – nicht veröffentlicht). Da den vorgelegten Akten des Bundesamts nicht zu entnehmen ist, dass die Abschlussmitteilung angesichts der erhobenen Klage inzwischen aufgehoben wurde, ist eine bevorstehende Vollstreckung nicht auszuschließen.
3. Die Antragsgegnerin hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des (gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreien) Eilverfahrens zu tragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).