Verwaltungsrecht

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Aktenzeichen  23 O 8381/20

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3013
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 240.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der Betriebsschließungsversicherung keinen Anspruch auf die Bezahlung von 240.000,00 €. Denn der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Die durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Coronavirus gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren. Die in § 1 Nr. 2 a) und b) aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend. Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
1. Die Kammer folgt hierbei den zutreffenden Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, Az: 35 O 32/20, und des Landgerichts Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, Az: 13 O 2068/20, zu den identischen Versicherungsbedingungen. Danach sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
a) Die vorliegenden Versicherungsbedingungen verweisen hinsichtlich des Verauf meldepflichtisicherungsumfangs in § 1 Nr. 1a) ge Krankheiten oder Krankheitserreger i.S.v. Nr. 2. Dort sind die Krankheiten und Krankheitserreger im Einzelnen aufgezählt. Durch diese Aufzählung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass eben nur bei Betriebsschließungen aufgrund der genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
b) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird. Zwar macht die Klägerin zutreffend geltend, dass das Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Synonym für die Wörter „hauptsächlich“, „vor allem“ oder „insbesondere“ verwendet wird. Durch die konkrete Satzstellung kann man dem Wort aber diese Bedeutung nicht geben, da dann der gesamte Satz keinen Sinn ergeben würde. Dies wird deutlich, wenn man an Stelle des Worts „namentlich“ ein oben genanntes Synonym einsetzt. Daher war es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass das Wort „namentlich“ nicht als „insbesondere“ sondern als „mit Namen bezeichnet“ zu verstehen ist.
c) Auch die Nennung der §§ 6 und 7 IfSG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Eine dynamische Verweisung ist damit nicht verbunden, da es in diesem Falle einer Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf die Normen, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Daher kann ein Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen, dass sämtliche von § 6 und § 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von § 6 und § 7 IfSG umfassten Bereich verweist, nachdem die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können.
d) Schließlich kann der Versicherungsnehmer aus dem Ausschluss von Prionicht entnehmen, nenerkrankungen in § 4 Nr. 4 dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannten Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen auch keine Schlüsse ziehen.
e) Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
f) Die Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfanges durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte.
g) Auch ist die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar mag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die medizinischen Fachbegriffe nicht kennen. Die Bedeutung kann aber durch die Nutzung eines medizinischen Wörterbuches erschlossen werden. Dies ist ausreichend. Ansonsten wären alle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.
Die Klausel ist auch nicht etwa deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch nicht ausgehöhlt.
h) Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für die bei Vertragsschluss unbekannten Krankheitserreger. Damit ist der Umstand, dass die COVID 19-Krankheit nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentlich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das streitgegenständlichen Verfahren unbeachtlich.
i) Die Beklagte hat durch ihre Kündigung des Versicherungsvertrages nach § 92 VVG den Versicherungsfall nicht bestätigt. Denn die Beklagte verhielt sich widersprüchlich, indem sie weiterhin die Versicherungsprämie einzog (E-Mail vom 10.08.2020 vorgelegt als Anlage K 5). Ihrem Verhalten ist daher kein eindeutiger Erklärungswert zuzumessen.
2. Die Kammer vermag aus diesen Gründen der nicht rechtskräftigen Entscheidung einer anderen Kammer des Landgerichts München I, Urteil vom 22.10.2020, Az: 12 O 5868/20, nicht zu folgen. In dem Urteil wurde entschieden, dass eine annähernd gleichlautende Klausel eines anderen Versicherers wegen eines Verstoßes gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot unwirksam sei.
3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache kann die Klägerin auch keine Verzugszinsen und keine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen.
II.
Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 91 ZPO.
III.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
Der Streitwert bemisst sich nach dem Leistungsantrag gemäß §§ 3, 4 ZPO.


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