Verwaltungsrecht

Länderübergreifende Umverteilung, Einstweilige Anordnung, Aufnahmeeinrichtung, Hauptsacheverfahren, Antragstellers, Sach- und Rechtslage, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Antragsgegner, Behördenakten, Haushaltsgemeinschaft, Einstweiliger Rechtsschutz, Posttraumatische Belastungsstörung, Asylantragstellung, Humanitäre Gründe, Summarische Prüfung, Rechtsschutzbedürfnis, Begünstigter Personenkreis, Anordnungsgrund, Maßgeblicher Zeitpunkt, Anordnungsanspruch

Aktenzeichen  W 2 E 21.30197

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3524
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AsylG § 51

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine asylsuchende ivorische Staatsangehörige, begehrt die vorläufige Umverteilung nach Hamburg.
1. Die Antragstellerin, eine volljährige ivorische Staatsangehörige reiste nach eigenen Angaben im Zeitraum Februar bis April 2020 über Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland ein. In den Folgemonaten lebte sie in Hamburg bei ihrem seit 1998 in Deutschland lebenden Vater.
Am 20. November 2020 wurde sie bei der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung der Freien und Hansestadt Hamburg unter Vorlage eines anwaltlichen Schreibens vom 12. November 2020 vorstellig und äußerte ein Asylgesuch.
Zugleich legte sie die psychologische Stellungnahme einer Diplom-Psychologin vom 30. Oktober 2020 vor: Die Antragstellerin befinde sich seit 6. Juli 2020 in deren psychotherapeutischer Behandlung. Da sie nicht krankenversichert sei, sei eine kontinuierliche Psychotherapie noch nicht möglich. Nach den ersten Eindrücken liege der Verdacht einer posttraumatischen Belastungsstörung nahe (ICD 10, F43.1) sowie eine Depression mit Angstsymptomatik (ICD 10, F41.2). Die Antragstellerin brauche dringend die Nähe ihrer Familie, um einen Weg aus der Krise zu finden. Damit sich ihre Krise nicht weiter chronifiziere, sei es wichtig, dass sie weiterhin bei ihrer Familie leben könne oder zumindest in unmittelbarere Nähe.
Mit Weiterleitungsanordnung vom 21. November 2020 wurde die Antragstellerin der Aufnahmeeinrichtung Anker-Einrichtung Unterfranken zugewiesen, wo sie am 23. Dezember 2020 ihren Asylantrag stellte, zu dem sie am 15. Januar 2021 in Schweinfurt angehört wurde.
Auf die elektronische Mitteilung ihres Bevollmächtigten vom 7. Dezember 2020 nahm die Antragsgegnerin am 21. Dezember 2020 einen Antrag auf Umverteilung auf, den sie mit Bescheid vom 25. Januar 2021, ablehnte. Die Anzahl der Personen, die in Hamburg einen Asylantrag gestellt hätten bzw. beabsichtigen würden, einen Asylantrag zu stellen, liege erheblich über der für das Bundesland Hamburg vorgesehen Quote. Die daraus resultierende Belastung verwaltungstechnischer, ordnungspolitischer und finanzieller Art seien erheblich und würden die Belange der Antragsgegnerin in starkem Maße beeinträchtigen. Den Belangen der Antragstellerin könne demgegenüber kein Gewicht beigemessen werden, das eine anderen Entscheidung zulassen würde. Eine Umverteilung aus familiären Gründen käme nicht in Betracht, weil die in Hamburg lebenden Angehörigen der Antragstellerin nicht zum Personenkreis nach § 26 Abs. 1 und 3 AsylG gehören würden. Familienangehörige außerhalb der dort definierten Kernfamilie könnten nur in außergewöhnlichen Härtefällen und unter weiteren Voraussetzungen berücksichtigt werden. Die medizinische Versorgung der Antragstellerin sei in der jetzigen Aufnahmeeinrichtung, wie im gesamten Bundesgebiet gewährleistet, ebenso die Betreuung durch Behörden und soziale Einrichtungen. Die Aufrechterhaltung des familiären Kontaktes sei in zumutbarer Weise durch gegenseitige Besuche möglich. Derzeit sei das öffentliche Interesse an einer zügigen und gleichmäßigen Verteilung von Asylbewerbern höher anzusehen, als das private Interesse der Antragstellerin. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 25. Januar 2021, dem durch schriftliche Vollmachtsvorlage ausgewiesenen Bevollmächtigten am 29. Januar 2021 zugestellt, Bezug genommen.
2. Am 12. Februar 2021 ließ die Antragstellerin gegen die Weiterleitungsanordnung und hilfsweise gegen die Ablehnung ihres Antrags auf länderübergreifende Umverteilung Klage bzw. Versagungsgegenklage erheben.
Zugleich ließ sie im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Weiterleitungsanordnung und hilfweise, ihre vorläufige Umverteilung nach Hamburg beantragen.
Zur Begründung ließ sie im Wesentlichen vortragen:
Sie habe nach ihrer Einreise bereits mehrere Monate bei ihrem Vater in Hamburg gelebt. Sie sei aufgrund schwersten, auch sexuellen Misshandlungen traumatisiert und auf den Beistand ihres Vaters angewiesen. Sie sei der Zuweisungsentscheidung zunächst gefolgt. Am 25. November 2020 sei es in der Aufnahmeeinrichtung zu einem schwerwiegenden sexuellen Übergriff gegen die Antragstellerin gekommen, in dessen Folge die Antragstellerin einen psychischen Kollaps erlitten und stationär habe behandelt werden müssen. Sowohl die Gewaltschutzbeauftragten der Aufnahmeeinrichtung sowie die behandelnden Fachärzte würden eine Rückverteilung nach Hamburg befürworten. Dort lebe auch die Mutter der Antragstellerin und ihr Zwillingsbruder, die ebenso wie der Vater eingebürgert seien. Auch wenn die Antragstellerin bereits volljährig sei, sie sie auf ein enges Zusammenleben mit ihrer Familie angewiesen. Jedenfalls unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei von einer Ermessensreduktion auszugehen, wenn Gründe vorliegen, die ein vergleichbares Gewicht wie die Erhaltung einer Haushaltsgemeinschaft von Ehegatten und minderjährigen Kindern. Im Hinblick auf die Verletzlichkeit der Antragstellerin lägen derartige Umstände vor. Dem vorläufigen Umzug der Antragstellerin nach Hamburg stünden keine öffentlichen Interessen entgegen. Die Anhörung im Asylverfahren sei bereits durchgeführt. In Hamburg könne die Antragstellerin bei ihrer Familie wohnen. Dies würde zu einer Entlastung hinsichtlich der öffentlichen Kosten führen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 12. Februar 2021 Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Da nicht ausreichend dargestellt werde, inwieweit die Antragstellerin, die erst nach Eintritt der Volljährigkeit eingereist sei, der Unterstützung des Vaters bedürfe. Es sei zunächst eine innerbayerische Verteilung anzustreben, damit die Antragstellerin nicht ins betreffende Ankerzentrum zurückkehren müsse.
Mit Beschluss vom 25. Februar 2021 lehnte das Gericht im Verfahren W 2 S 21.30146 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Weiterleitungsanordnung vom 21. November 2020 ab und trennte davon den Antrag auf vorläufige Umverteilung der Antragsgegnerin in diesem Verfahren ab.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren, dem auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Weiterleitungsanordnung gerichteten Verfahren (W 2 S 21.30146) und im Verfahren der Hauptsache (W 2 K 21.30145) sowie auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte der Antragsgegnerin, fortgeschrieben durch die Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken, Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf vorläufige Umverteilung der Antragsgegnerin nach Hamburg. ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des beste-henden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin verei-telt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist demnach das Vorliegen eines Rechts, dessen Sicherung die Anordnung dient (Anordnungsanspruch) sowie die drohende Vereitelung oder Erschwerung dieses Anspruchs (Anordnungsgrund). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind von der Antragstellerin glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Wegen der Eilbedürftigkeit des Anordnungsverfahrens sind die Anforderungen an das Beweismaß und somit auch an den Umfang der Ermittlung von Sach- und Rechtslage geringer als im Hauptsacheverfahren. Es genügt eine nur summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage (Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage, Rn. 23 ff. zu § 123).
Der einstweilige Rechtsschutz darf grundsätzlich nicht das gewähren, was nur im Hauptsacheverfahren erreicht werden kann. Würde die Antragstellerin mit ihrem Antrag durchdringen, würde sie nach Hamburg umverteilt. Damit würde sie so gestellt, wie nach einem Obsiegen im Hauptsacheverfahren. Eine solche – auch nur temporäre – Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Entscheidung könnte nur dann ausnahmsweise ergehen, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen wäre, der Antragstellerin ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohten und die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach obsiegen würde (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2018, § 123 Rn. 66a unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – BVerwGE 146, 189).
Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage fehlt es bereits an den hinreichend sicheren Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, so dass es nicht darauf ankommt, ob eine vorläufige Umverteilung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes notwendig wäre, der Antragstellerin andernfalls schwere, unzumutbare Nachteile erwachsen würden oder sie einen Anordnungsgrund geltend machen kann. Die Antragstellerin hat schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Gem. § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG hat ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, keinen Anspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten und gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG jedenfalls bis zu einer Entscheidung des Bundesamtes über den Asylantrag, längstens jedoch bis zu 18 Monaten in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, die gem. §§ 46 Abs. 2 i.V.m. § 45 Abs. 1 AsylG zu bestimmen ist. Im Fall der Antragstellerin ist dies die Aufnahmeeinrichtung Anker-Einrichtung Unterfranken, der sie mit Weiterleitungsanordnung vom 21. November 2020 zugewiesen wurde. Diese Weiterleitungsanordnung erweist sich bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig. Auf den Beschluss vom 25. Februar 2021 im Verfahren W 2 S 21.30146 wird Bezug genommen.
1. Gem. 51 Abs. 1 und 2 AsylG ist der Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen im Sinne des § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG oder sonstigen humanitären Gründen von vergleichbarem Gewicht auf Antrag des Ausländers durch länderübergreifende Umverteilung Rechnung zu tragen, wenn der Ausländer nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
Da über den Asylantrag der Antragstellerin noch nicht entschieden ist und auch die Höchstdauer der Verpflichtung zur Wohnung in einer Aufnahmeeinrichtung von 18 Monaten noch nicht überschritten ist, ist ein Anspruch auf Umverteilung nach Hamburg gem. § 51 Abs. 1 und 2 schon tatbestandlich nicht gegeben.
Ein solcher Anspruch lässt sich – im Fall der Antragstellerin – auch nicht ausnahmsweise bereits vor Ablauf der Verpflichtung zur Wohnung in einer Aufnahmeeinrichtung herleiten. Dies gilt unabhängig davon, ob man eine solche analoge Anwendung von § 51 AsylG grundsätzlich für möglich oder geboten erachtet (vgl. zur parallelen Problematik bei der Weiterleitungsanordnung gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 i.V.m. § 46 Abs. 2, § 46 AsylG B.z: VG Bremen, GB.v. 1.7.2020 – 4 K 381/20; VG Trier, B.v. 18.3.2020 – 11 L 769/20.TR; a.A.: OVG Bremen, U.v. 9.9.2020 – 2 B 243/20; VG Münster, B.v. 22.9.2017 – 3 L 1563/17, wohl auch: VG Trier, U.v. 5.3.2020 – 10 K 5062/19.TR – jeweils juris). Denn es ist schon nicht glaubhaft gemacht, dass bei der Antragstellerin zum gem. § 77 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung humanitäre Gründe vorliegen, die ein vergleichbares Gewicht haben, wie der Schutz der Haushaltsgemeinschaft des in § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG begünstigen Personenkreis.
Selbst wenn man das in ihren ivorischen Ausweispapieren bescheinigte Geburtsdatum „19. Dezember 1999“ zugrunde legen würde – das angesichts der unzuverlässigen Beurkundungspraxis in der Elfenbeinküste (vgl. dazu: AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘ Ivoire v. 9.10.2020, S. 21), den Einlassung des Vaters der Klägerin im vorgelagerten Visumverfahren (vgl. Gesprächsprotokoll v. 11.1.2012, Behördenakte, S. 271) dem ebenfalls im Rahmen des Visumsverfahrens eingeholten Altersfeststellungsgutachten vom 16. April 2012 (vgl. Behördenakte, S. 297 ff.) sowie dem laut Auszug aus der VIS-Datei vom 23. Dezember 2020 mit „10.12.1995“ abweichend registrierten Geburtsdatum (vgl. Behördenakte, Bl. 387 f.) fraglich erscheint – handelt es sich bei der Antragstellerin in jedem Fall um eine volljährige Erwachsene, die gerade nicht (mehr) in den von § 51 Abs. 1 AsylG jeweils i.V.m. § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG begünstigten Personenkreis fällt. Allein die familiäre Bindung der Antragstellerin könnte damit einer Umverteilung auch nach Beendigung der Verpflichtung zur Wohnung in einer Aufnahmeeinrichtung nicht rechtfertigen.
Daran kann auch der Vortrag nicht ändern, die Antragstellerin würde in Hamburg bei ihrer Familie wohnen, was zu einer Entlastung hinsichtlich der öffentlichen Kosten führe. Dem steht schon in der Sache ihre aktuell noch bestehende Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung gem. § 47 AsylG entgegen, die auch im Falle einer länderübergreifenden Umverteilung nach Hamburg nicht beendet wäre. Im Übrigen wäre auch rechtsystematisch für eine solche Überlegung im Rahmen einer analogen Anwendung von § 51 AsylG kein Raum. Es kommt mithin alleine auf das Gewicht der humanitären Gründe an, die für eine länderübergreifende Umverteilung nach Hamburg sprechen.
Soweit in der psychologischen Stellungnahme vom 30. Oktober 2020 bereits vor Stellen des Asylantrags ein Verbleib der Antragstellerin in Hamburg wegen der dort angedachten Psychotherapie für notwendig erachtet wird, ist festzuhalten, dass laut der Stellungnahme eine kontinuierliche Psychotherapie bislang noch nicht stattgefunden hat, so dass die Verteilung nach Unterfranken nicht zum Abbruch einer bereits begonnenen Therapie geführt hat (zum Aspekt des Behandlungsabbruchs vgl. VG München, U.v. 10.2.2015 – M 24 K 14.5502 – BeckRS 2015, 44707). Weder aus der Stellungnahme vom 30. Oktober 2020 noch aus der Angabe weiterer in Hamburg befindlicher Anlaufstellen im vorläufigen Ambulanzbrief vom 20. Dezember 2020 lässt sich schließen, dass die Antragstellerin auf ein Therapieangebot angewiesen wäre, dass in dieser Form nur in Hamburg verfügbar wäre bzw. in der Aufnahmeeinrichtung Anker-Einrichtung in Unterfranken oder bei einer landesinternen Umverteilung innerhalb Bayerns nicht gleichwertig ortsnah möglich wäre. Im Gegenteil, dass eine adäquate medizinische Betreuung der Antragstellerin auch dort ortsnah gewährleistet ist, zeigen schon die stationäre Betreuung der Antragstellerin im Leopoldina Krankenhaus in Schweinfurt vom 29. November 2020 bis 30. November 2020 sowie die Anbindung an die nervenärztliche Konsiliarärztin in der Einrichtung am 15. Dezember 2020.
Die Einlassung in der fachärztlichen Stellungnahme vom 15. Dezember 2020, medizinische Gründe würden die Familienzusammenführung der Antragstellerin in Hamburg mit ihren Eltern erforderlich machen, werden dort jedoch nicht einmal ansatzweise anhand einer fachlich qualifizierten und methodisch nachvollziehbaren Diagnose plausibilisiert. Eine Differenzierung zwischen Anamnese, Diagnose, Medikation und Therapievorschlage sind der Stellungnahme nicht zu entnehmen. Sie bezieht sich in ihren Folgerungen vielmehr auf die Ausführungen in der psychologischen Stellungnahme vom 30. Oktober 2020. Als eigenständiger psychiatrischer Befund wird dort lediglich aufgeführt „sehr abgemagert, scheue Mimik, orientiert, differenziert, labilisiert, instabil, ständig unter Angst, nächtliche Flashbacks mit lautem Schreien, Scham. Und Schuldgedanken“. Eie eigenständige Diagnose ist dem nicht zu entnehmen bzw. war nach der einmaligen Konsultation am 15. Dezember 2020 seriös wohl auch gar nicht zu treffen. Stellt man weiterhin in Rechnung, dass der anwaltliche Vertreter der Antragstellerin bereits am 7. Dezember 2020 wegen des Umverteilungsantrags bei der Antragstellerin vorstellig geworden war, ist anhand der fachärztlichen Stellungnahme vom 15. Dezember 2020 eine Differenzierung zwischen diesem – menschlich nachvollziehbaren – Anliegen der Antragstellerin und der bescheinigten „medizinischen“ Erforderlichkeit einer Rückkehr nach Hamburg nicht möglich. Zumal der Stellungnahme vom 15. Dezember 2020 wohl die Vorstellung zugrunde liegt, die Antragstellerin könne – entgegen der Verpflichtung zur Wohnung in einer Aufnahmeeinrichtung gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG – zu ihrer Familie nach Hamburg ziehen.
Ähnliches gilt für die psychologische Stellungnahme vom 30. Oktober 2020, die anhand der „ersten Eindrücke“ als Diagnose, den Verdacht auf „posttraumatische Belastungsstörung (ICD 10, F43.1)“ und eine „Depression mit Angstsymptomatik (ICD 10, F41.2)“ aufwirft und es „aus psychologischer Sicht“ als „wichtig“ einstuft, dass die Antragstellerin weiterhin bei ihrer Familie oder zumindest in unmittelbarer Nähe leben kann, damit die „Krise“ der Antragstellerin sich nicht weiter chronifiziert. Hier wird zwar ausdrücklich auch die rechtlich vorgesehene Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung in Hamburg – getrennt von der Familie – befürwortet, jedoch ist auch hier nicht die medizinische Indikation einer solchen Verteilung plausibel gemacht. Dies scheitert schon grundlegend daran, dass die Empfehlung auf einer bloßen „Verdachtsdiagnose“ beruht und wiederum nicht hinreichend deutlich zwischen dem subjektiven Wunsch der Antragstellerin und der objektiven medizinischen Notwendigkeit einer Verteilung nach Hamburg differenziert. Für letztes wird lediglich aufgeführt, dass es ohne therapeutische oder familiäre Hilfe viel schwerer wäre, Zusammenbrüche im Fall von Flashbacks aufzufangen. Daraus lässt sich jedoch weder etwas über Anzahl, Dauer und Schwere dieser Zusammenbrüche herleiten, noch dass diesen nicht auch im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Betreuung außerhalb Hamburgs angemessen begegnet werden könne.
Auch in Zusammenschau mit den weiteren ärztlichen Attesten und Stellungnahmen erhalten die familiären Bindungen der Antragstellerin nach Hamburg kein solches Gewicht, dass sie als sonstige humanitären Gründe i.S.d. § 51 Abs. 1 AsylG das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Lastenverteilung bezüglich der Unterbringung, Verpflegung und Versorgung von Asylsuchenden ausnahmsweise überwiegen würden. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass die psychische Erkrankung der Antragstellerin so gravierend ist, dass ihr – trotz der Möglichkeit auch anderweitig vorhandener medizinischer und psychologischer Hilfs- und Unterstützungsangebote – eine räumliche Entfernung aus Hamburg nicht zugemutet werden könnte. Zwar wird die Verdachtsdiagnose aus der psychologischen Stellungnahme vom 30. Oktober 2020 im Ambulanzbrief vom 20. Dezember 2020 mit der Diagnose „posttraumatische Belastungsstörung, F43.1“ und „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, F32.2“ im Wesentlichen bestätigt. Jedoch basiert auch diese Diagnose ausschließlich auf einer einmaligen Exploration im Rahmen eines eigeninitiativ von der Antragstellerin in Begleitung ihres Vaters initiierten Vorstellung bei der Ambulanz der psychiatrischen Abteilung einer Klinik in Hamburg. Dabei sei der der psychopathologische Befund aufgrund Sprachbarriere nach eigenen Angaben des begutachtenden Arztes nur eingeschränkt beurteilbar gewesen. Die Vorstellung habe der Krisenintervention und der weiteren Anbindung gedient. Es bestehe eine dringende Behandlungsindikation. Das Angebot einer stationären Therapie habe die Antragstellerin trotz des vorher geäußerten Wunsches jedoch nicht angenommen. Sie präferiere eine ambulante Anbindung. Bei ausgeprägter Schlafstörung werde der Beginn einer antidepressiven Medikation (Mitrazapin) empfohlen. Eine tatsächliche Medikation, beispielsweise mit Psychopharmaka, ist dem Attest ebenso wenig zu entnehmen wie ein konkreter Therapievorschlag oder Aussagen zur Notwendigkeit einer Behandlung gerade in Hamburg.
Anders als der vorläufige Ambulanzbrief vom 20. Dezember 2020 beruht der vorläufige Arztbrief vom 30. November 2020 nicht auf einer punktuellen Exploration, sondern einer zweitägigen stationären Behandlung vom 28. November 2020 bi 30. November 2020. Auffällig ist, dass dessen Diagnose „Kollaps bei Hyperventilation, a.e. im Rahmen einer psychischen Belastungsreaktion“ und „sonstige und nicht näher bezeichnete Ovarialzysten (N83.2)“ nicht annähernd den Schweregrad der „Posttraumatischen Belastungsstörung bzw. Schweren depressiven Episode“ entspricht. Auch hier ist weder für den stationären Aufenthalt noch im Anschluss daran eine Medikation festgehalten. Zwar wird eine mutmaßliche Belastungsreaktion (vgl. „a.e.“=am ehesten) mit der am Tag des Kollapses anstehenden Trennung vom Vater („wohl deswegen psychische Belastungssituation“) in Verbindung gebracht, jedoch ist auch diesem Arztbrief nicht zu entnehmen, dass die volljährige Antragstellerin so existenziell auf die Nähe ihrer Familie in Hamburg angewiesen wäre, dass eine räumliche Trennung – auch unter Berücksichtigung möglicher Besuchserlaubnisse – sie gesundheitlich so belasten würde, dass darin ein humanitärer Grund i.S.v. § 51 Abs. 1 AsylG gesehen werden könne. Besondere Maßnahmen zur Stabilisierung sind weder für die Aufnahmesituation noch den weiteren stationären Aufenthalt dokumentiert. Dabei ist auch die zeitliche Nähe des Kollapses zu dem von der Antragstellerin zur Anzeige gebrachten Vorfall der sexuellen Belästigung vom 25. November 2020 zu berücksichtigen. Dieser habe die Antragstellerin laut Gesprächsprotokoll der Gewaltschutzkoordinatorin vom 9. Dezember 2020 stark mitgenommen. Die Antragstellerin habe bei dem Gespräch einen Termin mit einem Psychologen dankend angenommen, den Bedarf medizinischer Versorgung jedoch negiert. Auch wenn die Antragstellerin selbst ihren gesundheitlichen Zustand nicht objektiv-fachlich beurteilen kann, ist aus der Ablehnung medizinischer Versorgung jedoch zu folgernd, dass der psychische Leidensdruck der Antragstellerin in der Anker-Einrichtung Unterfranken nicht so hoch war, dass er sich trotz der geschilderten Mangelernährung und des Schlafmangels soweit physisch niedergeschlagen hat, dass sie es selbst als behandlungsbedürftig empfunden oder nach Linderung etwa durch Medikamente verlangt hätte. Soweit die beiden Gewaltschutzkoordinatorinnen der Anker-Einrichtungen gleichwohl eine Rückverteilung der Antragstellerin nach Hamburg befürworten, stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass der Vorfall vom 25. November 2020 bei der Antragstellerin zu einer Retraumatisierung in Bezug auf einen in der Kindheit erlittenen sexuellen Übergriff geführt habe. Jedoch ist weder dem Gesprächsprotokoll vom 9. Dezember 2020 noch dem Empfehlungsschreiben vom 16. Dezember 2020 zu entnehmen, welche psychologisch-psychiatrische Vorbildung die beiden Koordinatorinnen zu dieser medizinischen Beurteilung qualifiziert.
Unabhängig von den psychischen Folgen, die der Vorfall vom 25. November 2020 bei der Antragstellerin tatsächlich ausgelöst haben mag, ist schon die, den vorgelegten Stellungnahmen anamnetisch zugrunde gelegte – Trauma auslösende -Vergewaltigung als Zwölfjährige vor dem Hintergrund der Email des Mitarbeiters der deutschen Botschaft in Abidjan vom 21. Januar 2013 (Behördenakte, Bl. 327ff.) zweifelhaft. Dort informiert der Botschaftsmitarbeiter die Antragsgegnerin, dass der Ivorer, in dessen Obhut die Antragstellerin sich damals mit ihrem – nach Darstellung der Antragstellerin – in einer Vergewaltigung durch Milizen gezeugtem Neugeboren befand, das Kind der Antragstellerin an den Kindsvater bzw. dessen Mutter übergeben habe. Die Antragstellerin habe mit dem Kindsvater in Kontakt gestanden und ihn lediglich deshalb ferngehalten, um die behauptete Vergewaltigung nicht zu widerlegen. Mithin kann – jedenfalls diesbezüglich – die vorgetragene Vorgeschichte der Antragstellerin im Heimatland nicht ohne weiteres als wahr übernommen und aktuell zum Anknüpfungspunkt einer besonderen Vulnerabilität bei der räumlichen Zuweisung der Antragstellerin gemacht werden.
Sofern ihr – unabhängig davon – wegen der psychischen Folgen des Vorfalls vom 25. November 2020 der Verbleib in der Aufnahmeeinrichtung Ankerzentrum Unterfranken – trotz der bereits erfolgten Unterbringung in einem anderen Gebäude – nicht mehr zumutbar sein sollte, führt dies jedenfalls nicht zu einem Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung nach Hamburg. Denn dem kann auch durch die Umverteilung in eine andere Aufnahmeeinrichtung innerhalb Bayerns begegnet werden, ohne dass dafür eine Umverteilung der Antragstellerin nach Hamburg erforderlich wäre.
Jedenfalls bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage haben die persönlichen Belange der Antragstellerin – auch unter Berücksichtigung ihrer durch Stellungnahmen und Atteste dokumentierten gesundheitlichen Situation – nicht ein solches Gewicht, dass sie dem Schutze des Zusammenlebens des von § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG begünstigten Personenkreises gleich kommt und damit einen Anspruch auf länderübergreifende Umverteilung begründen könnten.
Der Antrag auf vorläufige Umverteilung nach Hamburg war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe war gem. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO mangels Erfolgsaussichten des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutzes abzulehnen. Auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen.


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