Verwaltungsrecht

Lebensbedingungen in der Ukraine

Aktenzeichen  11 ZB 17.30218

Datum:
16.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 105454
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Die Lage in der Ukraine ist nicht mit der in Afghanistan vergleichbar, weil in der Ukraine soziale Sicherungssysteme bestehen. Die Rechtssprechung des BayVGH zu Afghanistan kann nicht auf die Ukraine übertragen werden. (redaktioneller Leitsatz)
2 Verfügen die Kläger über eine höhere Rente als die staatliche Unterstützung zum Lebensunterhalt und können sie auf ergänzende Unterstützung durch die Familie verwiesen werden, haben sie bei einer Rückkehr keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten. (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von Binnenflüchtlingen ist in der Ukraine durch das IDP-Gesetz geregelt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 9 K 16.33070 2016-12-19 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG nicht vorliegt.
Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36).
Die Kläger halten die Tatsachenfrage für klärungsbedürftig, ob die allgemeine humanitäre Situation in der Ukraine nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründet und ob die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Afghanistan auf die Ukraine zu übertragen ist.
Die in der Ukraine zu erwartenden schlechten Lebensbedingungen und die daraus resultierenden Gefährdungen wiesen eine Intensität auf, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen sei. In der Ukraine sei die finanzielle Unterstützung von intern Vertriebenen auf 2.400 UAH pro Familie begrenzt. Laut UNHCR sei diese finanzielle Hilfe jedoch in den meisten Fällen zu gering, um die Ausgaben für Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Medikamente und sonstige Aufwendungen für den Lebensunterhalt zu decken. Dies lasse befürchten, dass Familien, welche auf die finanzielle Unterstützung angewiesen seien, in der Ukraine unter so schlechten humanitären Bedingungen lebten, dass eine Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Betracht komme. Die Frage sei hier auch entscheidungserheblich, denn der Kläger zu 1 leide an Krankheiten, die eine künftige medizinische Behandlung notwendig erscheinen ließen und könne diese finanzielle Belastung mit seiner Rente in Höhe von 2.700 UAH nicht stemmen. Die Klägerin zu 2 habe trotz größter Bemühungen keine Arbeit in der Westukraine finden können.
Die im Zulassungsantrag gestellte Tatsachenfrage, der die Kläger im Zulassungsantrag grundsätzliche Bedeutung beimessen, kann hier schon deswegen nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil sie entgegen dem Zulassungsvorbringen nicht entscheidungserheblich ist.
Das Verwaltungsgericht hat hierzu (UA S. 8) ausgeführt, für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sei nichts ersichtlich. Diese Normenkette setze eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung voraus – vorliegend erhielten die Kläger als Binnenflüchtlinge jedoch staatliche Unterstützung. Auch sei nach der Erkenntnislage in der Ukraine eine zureichende medizinische Versorgung gegeben. In wirtschaftlicher Hinsicht seien die Kläger auf die ergänzende Unterstützung der Familie (vgl. zur Klägerin zu 2: Sohn mit Familie, Tochter, Bruder, Cousinen und Cousins) zu verweisen. Insbesondere die Tochter habe bereits in der Vergangenheit 1.500 Euro zur Bewältigung der Ausreisekosten bereitgestellt.
Diesen Ausführungen setzen die Kläger im Zulassungsantrag nur die Einschätzung des UNHCR vom September 2015 entgegen, dass die finanzielle staatliche Hilfe in Höhe von 2.400 UAH in den meisten Fällen zu gering sei, um die Ausgaben für Unterkunft, Ernährung, Kleidung, Medikamente und sonstige Aufwendungen für den Lebensunterhalt zu decken.
Der Kläger zu 1 verfügt hingegen über eine höhere Rente als die genannte staatliche Unterstützung, die Klägerin zu 2 ist erwerbsfähig. Zudem haben die Kläger zahlreiche Verwandte in der Westukraine, die sie in der Vergangenheit erheblich (1.500 Euro) unterstützt haben. Damit ist jedenfalls im Fall der Kläger keine Situation gegeben, die bei einer Rückkehr in die Ukraine eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK befürchten lässt.
Im Übrigen ist die Lage in der Ukraine mit der Lage in Afghanistan insoweit schon deswegen nicht vergleichbar, da in der Ukraine soziale Sicherungssysteme bestehen. Mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) steht eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung der Kläger gewährleistet. Aber selbst wenn die Einschätzung des UNHCR vom September 2015 zuträfe, so läge darin noch keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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