Verwaltungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  61 O 178/20

Datum:
2.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16706
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 1, § 307
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Leistungen für den Fall, dass die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern schließt, und verweisen die AVB hinsichtlich der meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger auf eine Klausel, in der diese als “die Folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger” definiert sind, handelt es sich um eine abschließende Aufzählung, so dass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der nachfolgenden Aufzählung benannt sind. Eine solche Klausel ist weder überraschend iSv § 305c Abs. 1 BGB noch nach § 307 BGB unwirksam (s. auch OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2002; BeckRS 2021, 2001; OLG Oldenburg BeckRS 2021, 3248; OLG Celle BeckRS 2021, 16959; OLG Dresden BeckRS 2021, 15585; entgegen OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 16052). (Rn. 26 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Der Kläger hat keinen Zahlungsanspruch aus dem Versicherungsvertrag. Die streitgegenständliche Einschränkung oder Schließung des klägerischen Gastronomiebetriebes im Rahmen der Corona-Pandemie und der diese auslösende Erkrankung Covid-19 bzw. des SARSCoV-2-Erregers ist nicht vom Versicherungsschutz gedeckt. Diese Erkrankung bzw. deren Erreger kann nicht unter „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ im Sinne des Versicherungsvertrages subsumiert werden.
Vertragsgrundlage zwischen den Parteien ist der Versicherungsvertrag, der schon seit mindestens 2012 besteht.
Außerdem maßgeblich für den Versicherungsschutz sind die „Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) (BS 2008), Anlage K 2 (Bl. 12 ff. d. A.). Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger, die vom Vertrag umfasst sind, sind unter § 25 Ziffer 4. aufgeführt. Covid-19 oder der SARSCoV-2-Erreger sind dort nicht genannt.
1. Die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten zur Betriebsschließungsversicherung sind allgemeine Geschäftsbedingungen gem. den §§ 305 ff. BGB.
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist von Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind. Abzustellen ist insoweit auf den typischen Adressaten- und Versichertenkreis der konkreten Bedingungen. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH r+s 2020, 222; r+s 2020, 85; BGH, Urteil vom 18.11.2020, Aktenzeichen IV ZR 217/19, zitiert nach Juris; beispielhaft Landgericht Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.12.2020, Aktenzeichen 2 O 4499/20; zuletzt auch OLG Stuttgart, Urteile vom 18.02.2021, Aktenzeichen 7 U 351/20 und 7 U 335/20).
b) Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung zu tun haben (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetriebe erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann. Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des Infektionsschutzgesetzes (Landgericht München I, Urteil vom 01.12.2020, Aktenzeichen 12 O 5895/20, BeckRS 2020, 618; Landgericht Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 19.12.2020, Aktenzeichen 2 O 4499/20, zitiert nach Juris).
2. Danach gemessen ist für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der einen Gastronomiebetrieb führt, die Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in § 25 Ziffer 4. der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen abschließend. Ihm wird hinreichend deutlich, dass der Versicherer nur für diese dort ausdrücklich genannten Risiken einstehen will.
Maßgeblich für die Auslegung ist dabei in erster Linie der Klauselwortlaut (vgl. zum Auslegungsmaßstab Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage, Einleitung Rn. 216).
§ 25 Ziffer 1. regelt, dass der Versicherer Entschädigung leistet, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes „beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 4.)“ den versicherten Betrieb schließt. Die einzelnen Krankheiten oder Krankheitserreger sind dann in Ziffer 4. aufgelistet. Aus dieser Systematik wird für den Versicherungsnehmer deutlich, dass Ziffer 4. den Passus „meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger“ in Ziffer 1. näher definiert und damit den Versicherungsumfang konkretisiert.
Die namentliche Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern versetzt den Versicherungsnehmer in die Lage, für den Fall einer behördlichen Anordnung durch einen Abgleich mit den in den Versicherungsbedingungen aufgeführten Krankheiten und Krankheitserregern festzustellen, ob ein Versicherungsfall vorliegen könnte.
Ersichtlich handelt es sich damit um eine eigene Definition und nicht um einen Verweis auf das Infektionsschutzgesetz. Die kumulative Verwendung von „sind“, „im folgendenden“ und „namentlich genannten“ macht deutlich, dass das Wort „namentlich“ im Sinne von „mit Namen genannten“ gebraucht wird. Hier muss der Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung des Begriffs „folgenden“ daher davon ausgehen, dass die nachfolgende Liste abschließend ist. Dafür spricht auch, dass eben die Generalklauseln des Infektionsschutzgesetzes nicht „namentlich genannt“ werden und auf diese auch nicht konkret verwiesen wird. Durch die Tatsache der Aufzählung von bestimmten „namentlich genannten“ Krankheiten und Krankheitserregern drängt es sich dem verständigen Versicherungsnehmer auf, dass die Aufzählung nicht deckungsgleich mit allen nach dem IfSG meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern sein wird, da sie ansonsten überflüssig wäre. Hierfür spricht auch der erkennbare Sinn und Zweck der Aufzählung, der darin liegt, dass der Versicherung keinen Schutz für insbesondere künftige, bisher unbekannte meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Hinblick auf die Prämienkalkulation nicht einschätzen kann, sondern eben nur für die bekannten, aufgezählten.
3. Eine dynamische Verweisung auf das Infektionsschutzgesetz ist für den verständigen Versicherungsnehmer entgegen der Ansicht des Klägers dem Wortlaut der allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht zu entnehmen. Wenn eine dynamische Verweisung gewollt gewesen wäre, hätte es schließlich nahe gelegen, gänzlich auf eine Aufzählung zu verzichten. Offenbar sollten jedoch die Versicherungsbedingungen ohne solche Verweise auskommen und daher die Begriffen „meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger“ selbst definieren.
Auch die Nennung der „folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ in § 25 Ziffer 4 der allgemeinen Versicherungsbedingungen, stellt lediglich klar, dass andere, nicht im Infektionsschutzgesetz niedergelegten Krankheiten und Krankheitserreger, nicht genannt sind. Eine dynamische Verweisung auf das IfSG kann daher daraus nicht abgeleitet werden. Der Hinweis auf das IfSG hat lediglich informatorischen Charakter. Eine Aufzählung, wie sie § 25 Ziffer 4 enthält, wäre ansonsten überflüssig.
4. Bei Abschluss der Versicherung, die allerspätestens 2012, wahrscheinlich jedoch durch die Eltern des Klägers schon vorher geschlossen wurde, konnte der Kläger nach Lektüre der BS 2008 nicht erwarten, die Beklagte wolle auch Versicherungsschutz für alle künftig auftretenden neuartigen Krankheitserreger während des gesamten Laufs des Vertragsverhältnisses bieten.
Vor diesem Hintergrund war die Klausel für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch nicht überraschend im Sinne der §§ 305 c Abs. 1, 307 BGB.
5. Eine Auslegung der Klausel im Wege der Analogie dahingehend, dass das Coronavirus und die Krankheit Covid-19 ebenfalls vom Versicherungsschutz umfasst sind, ist nicht möglich. Versicherungsbedingungen sind einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (BGH NJW 2006, 1876; Landgericht Regensburg, Endurteil vom 11.12.2020, Aktenzeichen 34 O 1277/20, BeckRS 2020, 34790). Auch unvorhergesehene pandemische Ausbrüche zuvor unbekannter Krankheitserreger und damit die CoronaPandemie als Großschadensereignis ändern daran nichts. Ließe man eine Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar (aaO). Dagegen sprechen auch die Grundsätze eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Hätten die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages eine derartige Pandemie für möglich gehalten, so wäre der Vertrag unter diesen Bedingungen nie abgeschlossen worden.
6. Den Endurteilen des Landgerichts München I vom 01.10.2020 (Aktenzeichen 12 O 5895/20) und vom 22.10.2020 (Aktenzeichen 12 O 5868/20) lagen andere allgemeine Versicherungsbedingungen zugrunde. Die den Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte sind mit den hiesigen nicht vergleichbar. Bei der Entscheidung des Landgerichts München vom 01.10.2020 ist auch – anders als im vorliegenden Fall – zu berücksichtigen, dass der Vertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen wurde, als das neuartige Coronavirus bereits bekannt war (NJW-RR 2020, 3461).
II. Nachdem kein Versicherungsfall vorliegt, war auf weitere Bedenken der Beklagten gegen ihre Haftung nicht mehr einzugehen.
Die Klage war daher abzuweisen.
B. Die Kostenentscheidung folgt § 91 ZPO, der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit § 709 Satz 1 u. 2 ZPO.


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