Verwaltungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  23 O 10162/20

Datum:
23.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4342
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 305c Abs. 2, § 307 Abs. 1 S. 2
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Leistungen für den Fall, dass “die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt” und definieren die AVB meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger als “die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger”, handelt es sich hierbei um eine abschließende Aufzählung, so dass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der Aufzählung benannt sind. Eine derartige Regelung ist weder iSv § 305c Abs. 2 BGB unklar noch begegnet sie Transparenzbedenken (unter Hinweis auf LG Stuttgart BeckRS 2020, 29758; LG Oldenburg BeckRS 2020, 26806; entgegen LG München I BeckRS 2020, 27382). (Rn. 24 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 55.650,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus der Betriebsschließungsversicherung keinen Anspruch auf die Bezahlung von 55.650,00 €. Denn der Versicherungsfall ist nicht eingetreten. Die durch die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020 angeordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des sogenannten Coronavirus gehören nicht zu den vom Versicherungsvertrag umfassten Gefahren. Die in § 1 Abs. 3 Ziffern 1 und 2 AVBaufge zählten Krankheiten und Krankheitserreger beschreiben die versicherten Gefahren abschließend. Das Coronavirus und die durch dieses Virus ausgelösten Krankheiten gehören nicht zu den in den Versicherungsbedingungen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserregern.
1. Die Kammer folgt hierbei den zutreffenden Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart, Urteil vom 29.10.2020, Az: 35 O 32/20, und des Landgerichts Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020, Az: 13 O 2068/20, zu vergleichbaren Versicherungsbedingungen.
Danach sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 10.04.2019, AZ: IV ZR 59/18).
a) Der Versicherungsumfang wird nicht abschließend durch § 1 Abs. 1 Ziffer 1 AVBdefiniert. Zwar besteht danach ein Anspruch auf Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt. Allerdings werden die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Abs. 3 AVBauf derselben Seite der Versicherungsbedingungen beginnend näher definiert. Die Aufzählung der Krankheiten beginnt nahezu auf gleicher Höhe in der zweiten von zwei Spalten wie die Definition des Versicherungsfalls in § 1 Abs. 1 AVBSie springt aufgrund der Vielzahl der Aufzählungszeichen sofort ins Auge. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist somit klar, dass der Versicherungsumfang in § 1 Abs. 1 Ziffer 1 AVBnicht abschließend definiert ist, sondern durch die Aufzählung der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Abs. 3 Ziffern 1 und 2 AVBkonkretisiert wird. Durch diese Aufzählung wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass eben nur bei Betriebsschließungen aufgrund der genannten Krankheiten und Krankheitserreger eine Leistung der Versicherung beansprucht werden kann. Wenn darüber hinaus weitere Krankheiten und Krankheitserreger hätten erfasst sein sollen, dann hätte es dieser Aufzählung nicht bedurft.
b) Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb geboten, weil vor der Aufzählung das Wort „namentlich“ verwendet wird. Zwar macht die Klägerin zutreffend geltend, dass das Wort „namentlich“ im allgemeinen Sprachgebrauch auch als Synonym für die Wörter „hauptsächlich“, „vor allem“ oder „insbesondere“ verwendet wird. Durch die konkrete Satzstellung kann man dem Wort aber diese Bedeutung nicht geben, da dann der gesamte Satz keinen Sinn ergeben würde. Dies wird deutlich, wenn man an Stelle des Worts „namentlich“ ein oben genanntes Synonym einsetzt. Daher war es für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass das Wort „namentlich“ nicht als „insbesondere“ sondern als „mit Namen bezeichnet“ zu verstehen ist.
c) Auch die Nennung der §§ 6 und 7 IfSG führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Wortlaut enthält insoweit keinen Verweis, sondern nur den Hinweis, dass die im Folgenden genannten Krankheiten und Krankheitserreger in den Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes enthalten sind. Eine dynamische Verweisung ist damit nicht verbunden, da es in diesem Falle einer Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht bedurft hätte. Vielmehr wäre dann der bloße Verweis auf die Normen, gegebenenfalls unter Hinweis auf die jeweils gültige Fassung, ausreichend gewesen. Daher kann ein Versicherungsnehmer auch nicht davon ausgehen, dass sämtliche von § 6 und § 7 IfSG erfassten Fälle vom Versicherungsschutz umfasst sind. Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, dass der Versicherungsschutz nicht auf den gesamten von § 6 und § 7 IfSG umfassten Bereich verweist, nachdem die Auffangbestimmungen des § 6 Abs. 1 Nr. 5 und § 7 Abs. 2 IfSG in den Versicherungsbedingungen nicht enthalten sind. Dies zeigt gerade, dass der Versicherer nur genau bestimmte Erkrankungen versichert haben wollte, nicht aber alle möglichen Infektionskrankheiten, die zukünftig noch auftreten können.
d) Schließlich kann der Versicherungsnehmer aus dem Ausschluss von Prionenerkrankungen in § 4 Abs. 4 AVBnicht entnehmen, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann nicht beurteilen, ob Prionenerkrankungen durch einen oder durch mehrere in der Aufzählung genannten Krankheitserreger verursacht werden oder nicht. Daher kann er aus der Regelung für die Prionenerkrankungen auch keine Schlüsse ziehen.
e) Mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut ist auch kein Raum für die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB.
f) Die Regelung zum Umfang des Versicherungsschutzes verstößt auch nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB. Danach sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die Regelung des Versicherungsumfanges durch die namentliche Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger stellt keine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Versicherer kann im Rahmen eines Versicherungsvertrages die versicherten Gefahren beschränken. Eine andere Beurteilung würde dazu führen, dass entweder nur alles oder nichts versichert werden könnte.
g) Auch ist die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger nicht intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. Zwar mag ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die medizinischen Fachbegriffe nicht kennen. Die Bedeutung kann aber durch die Nutzung eines medizinischen Wörterbuches erschlossen werden. Dies ist ausreichend. Ansonsten wären alle Allgemeine Geschäftsbedingungen, die auf in der Allgemeinheit nicht bekannte Krankheitsbegriffe verweisen, wegen Intransparenz unwirksam.
Die Klausel ist auch nicht etwa deshalb intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Krankheitserreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger auch nicht ausgehöhlt.
h) Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Versicherungsvertrag Anwendung finden. Gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Klausel sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Krankheitserregern. Beides zusammen macht es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer, um das Risiko im erträglichen Rahmen zu halten, nur für die in den Bedingungen benannten Krankheiten und Krankheitserreger einstehen will, nicht jedoch für die bei Vertragsschluss unbekannten Krankheitserreger. Damit ist der Umstand, dass die COVID19 – Krankheit nunmehr durch Gesetzesänderung mit Wirkung zum 23.05.2020 namentlich als Krankheit in § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG aufgenommen wurde, aufgrund der abschließenden Auflistung für das streitgegenständlichen Verfahren unbeachtlich.
2. Die Kammer vermag aus diesen Gründen der nicht rechtskräftigen Entscheidung einer anderen Kammer des Landgerichts München I, Urteil vom 22.10.2020, Az: 12 O 5868/20, nicht zu folgen. In dem Urteil wurde entschieden, dass eine annähernd gleichlautende Klausel eines anderen Versicherers wegen eines Verstoßes gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot unwirksam sei.
3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache kann die Klägerin auch keine Verzugszinsen und keine außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanspruchen.
II. Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach § 91 ZPO.
III. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV. Der Streitwert bemisst sich nach dem Leistungsantrag gemäß §§ 3, 4 ZPO.


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