Verwaltungsrecht

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  12 O 12353/20

Datum:
6.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21643
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 6, § 7
BGB § 307
AVB Betriebsschließungsversicherung

 

Leitsatz

1. Verspricht der Versicherer einer Betriebsschließungsversicherung in seinen AVB Entschädigung u.a. für den Fall, dass die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb schließt, und definieren die AVB alsdann – nach Verweisung mittels Klammerzusatz – meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger “im Sinne dieser Bedingungen” als “die folgenden im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger”, handelt es sich um eine abschließende Aufzählung, sodass kein Versicherungsschutz für eine Betriebsschließung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie besteht, wenn weder COVID-19 noch SARS-CoV-2 in der nachfolgenden Aufzählung benannt sind. Eine solche Klausel hält einer Inhaltskontrolle stand (entgegen LG München I [12. ZK] BeckRS 2020, 27382; BeckRS 2020, 24634). (Rn. 24 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
2. S. auch OLG Dresden BeckRS 2021, 15585; OLG Stuttgart BeckRS 2021, 2002; BeckRS 2021, 2001; OLG Oldenburg BeckRS 2021, 3248; BeckRS 2021, 11123; OLG Celle BeckRS 2021, 16959; BeckRS 2021, 19928; OLG München BeckRS 2021, 13077; OLG Hamm BeckRS 2021, 18257; BeckRS 2021, 18259. Entgegen OLG Karlsruhe BeckRS 2021, 16052. Mit teilweiser anderer Begründung wie hier: OLG Frankfurt a.M. BeckRS 2021, 14597; OLG Schleswig BeckRS 2021, 10892; BeckRS 2021, 10599; OLG Hamburg BeckRS 2021, 21090. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Eine Betriebsschließung aufgrund des Coronavirus ist von den AVB der Beklagten nicht erfasst.
I.
Die Voraussetzungen für eine Entschädigungspflicht durch die Beklagte für die Betriebsschließungen des Restaurants und der Sportgaststätte im März und April 2020 liegen nicht vor. Das Coronavirus ist keine meldepflichtige Krankheit im Sinne der AVB und eine entsprechende Betriebsschließung somit nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Daher kommt es auf die übrigen Voraussetzungen einer Entschädigungspflicht hier, obgleich diese nach Ansicht des Gerichts vorliegen dürften, nicht an.
1. Nach den AVB leistet die Beklagte Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den Betrieb schleißt. Hinsichtlich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger wird auf § 2 AVB verwiesen. Danach sind meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger wörtlich „die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“. Es folgt eine Aufzählung von zahlreichen Krankheiten und Krankheitserregern.
Diese Formulierung erläutert dem durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, dass der Versicherungsschutz für Betriebsschließungen aufgrund der in den AVB genannten Krankheiten und Krankheitserregern besteht und dass diese Krankheiten und Krankheitserreger sich ebenfalls in den §§ 6 und 7 des IfSG finden. Maßgebliche Fassung kann insoweit nur diejenige zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses sein.
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht (BGH, BeckRS 2021, 8284, Rn. 26, beck-online). Dabei nimmt die Auslegung ihren Ausgangspunkt bei dem Klauselwortlaut, gleichzeitig sind aber die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers und damit auch seine Interessen zu berücksichtigen (Ebd.). Zusätzlich sind der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, NJW 2019, 1286 (1287), beck-online).
b) Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass geringere Anforderungen an die Verständlichkeit der streitgegenständlichen Klauseln zu stellen wären. Selbst im Handelsverkehr und bei dem maßgeblichen, aus dieser Personengruppe stammenden, durchschnittlichen Versicherungsnehmer, können keinerlei gesundheitliche Fachkenntnisse vorausgesetzt werden.
Dennoch ist aus den streitgegenständlichen AVB ersichtlich, dass Versicherungsschutz für das neuartige Coronavirus nicht besteht.
c) Von einem aufmerksamen Versicherungsnehmer wird nach ständiger Rechtsprechung verlangt, sich die Allgemeinen Versicherungsbedingungen anzusehen (BGH, BeckRS 2021, 8284, Rn. 26, beck-online). Seinem Verständnis vom Versicherungsumfang zu Grunde legen muss er daher auch den § 2 AVB, zumal bereits § 1 AVB auf diesen verweist.
Der Kläger darf sich daher weder auf eine pauschal gehaltene Beschreibung in dem Nachtrag zum Versicherungsschein, wonach Versicherungsschutz für Betriebsschließungen nach dem Infektionsschutzgesetz bestehe, noch auf allgemein gehaltene Werbeaussagen verlassen, dass mit ihm eine dynamische Betriebsschließungsversicherung beschlossen worden sei, wenn die AVB hierzu konkretisierende Regelungen enthalten.
d) Aus § 2 AVB geht hervor, dass Versicherungsschutz nur für die dort benannten Krankheiten und Krankheitserreger besteht. Eine Benennung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) oder SARS-CoV und von SARS-CoV-2 unterbleibt. Es besteht daher kein Versicherungsschutz in Folge einer diesbezüglichen Schließung.
e) Vorliegend deckt sich der in § 2 AVB abgebildete Katalog vollständig mit den in §§ 6 und 7 IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserregern. Dem Versicherungsnehmer wird der gewährte Umfang des Versicherungsschutzes dadurch deutlich vor Augen geführt.
f) Auch im Zuge einer AGB-Kontrolle ergibt sich keine andere Bewertung.
1) Vor allem ist die Regelung klar und verständlich im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird bei Durchsicht des § 2 AVB zum einen davon ausgehen, dass alle in dem aufgeführten Katalog genannten Krankheiten und Krankheitserreger auch im IfSG genannt sind und zum anderen, dass Versicherungsschutz für eine Schließung bei Auftreten exakt dieser Krankheiten oder Krankheitserreger gilt. Hierdurch werden dem Kläger seine Rechte und Pflichten klar und durchschaubar dargestellt (Vgl. BGH, NJW 1990, 2383, beck-online).
Der Wortlaut der Klausel, insbesondere die Formulierung „die folgenden“, macht einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer nach Ansicht des Gerichts deutlich, dass der Katalog an explizit genannten Krankheiten und Krankheitserregern in den AVB abschließend ist. Gleichzeitig sollen alle genannten Krankheiten und Krankheitserreger sich auch in den §§ 6 und 7 IfSG wiederfinden. Hieraus lässt sich aber gerade nicht der Rückschluss ziehen, dass sich die im IfSG in einer späteren Fassung genannten Krankheiten und Krankheitserreger auch vollständig in den AVB finden beziehungsweise, dass der Umfang des Versicherungsschutzes sich an der aktuellsten Fassung des IfSG ausrichtet. Der Wortlaut der Klausel verdeutlicht vielmehr die Einseitigkeit der Bezugnahme.
Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird weder suggeriert, er müsse, um den Umfang des Versicherungsschutzes erfassen zu können, in das IfSG hineinschauen – vielmehr ergibt sich der Versicherungsumfang ersichtlich und tatsächlich allein aus den AVB -, noch kann hier aufgrund des abschließend aufgeführten Katalogs an Krankheiten und Krankheitserregern der Eindruck entstehen, das gesamte IfSG sei dynamisch vom Versicherungsschutz umfasst. Die Öffnungsklauseln in § 6 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG werden gerade nicht in den Katalog der AVB übernommen, sondern es soll auf die im IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger ankommen.
2) Zwar braucht der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Versicherungsbedingungen ihm dies hinreichend verdeutlichen (BGH, Urt. V. 10.04.2019, Az.: IV ZR 59/18, Rn. 21, juris).
Die einzige „Lücke“ besteht vorliegend aber darin, dass erst nach dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses in den Katalog des IfSG aufgenommene Krankheiten und Krankheitserreger einen Versicherungsfall nicht auslösen können – sprich, dass eine künftige Erweiterung des gesetzlichen Katalogs nicht vom Versicherungsschutz umfasst ist.
Diese Einschränkung des Versicherungsschutzes lässt sich ohne weiteres aus der Klausel erkennen. Eine überraschende Lücke weist der Versicherungsschutz gerade nicht auf. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer durfte und sollte annehmen, dass Versicherungsschutz für die Schließung wegen meldepflichtiger Krankheiten nach dem IfSG in der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung gewährt wird. Mehr kann von der Beklagten nicht verlangt werden. Das gilt umso mehr, als der Beklagten bei Vertragsschluss kein Wissensvorsprung in Bezug auf die Corona-Pandemie zukam.
§ 2 AVB sind nach dem eindeutigen Wortlaut und der Aufzählung an Krankheiten und Krankheitserregern nicht als offener, sondern vielmehr als geschlossener Katalog ausgestaltet. Einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer wird dies klar und deutlich vor Augen geführt. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Klausel um eine dynamische Verweisung handelt, gibt es hingegen nicht.
3) Die Beklagte war auch nicht gehalten, in den von ihr verwendeten Bedingungen eine weitere Verdeutlichung ihres Leistungsumfangs in der Gestalt vorzunehmen, dass „nur“ die genannten Krankheiten und Krankheitserreger den Versicherungsfall auslösen können oder es auf das IfSG in der „zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fassung“ ankomme. Denn es begründet gerade keinen Verstoß gegen das Transparenzgebot, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher formuliert werden können (BGH, BeckRS 2017, 126331, Rn. 15, beck-online).
Insoweit mag etwas anderes gelten, wenn von einem etablierten Regelfall abgewichen werden würde – die Erwartung des durchschnittlichen Versicherungsnehmers also bereits dadurch geprägt wäre, dass sich Betriebsschließungsversicherungen dynamisch an der aktuellen Fassung des IfSG orientierten (Vgl. BGH, NJW 1990, 2383 (2384), beck-online). Dies ist hier aber nicht ersichtlich.
g) Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem in § 2 AVB verwendeten Begriff „namentlich“. So wie vorliegend verwendet, öffnet der Begriff den Katalog in den AVB nicht, sondern grenzt diesen vielmehr insoweit ein, als dass nur ausdrücklich (als Synonym für namentlich) in den §§ 6 und 7 IfSG genannte Krankheiten und Krankheitserreger den Versicherungsschutz auslösen können. Auf die Öffnungsklauseln in § 6 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG wird dadurch gerade nicht Bezug genommen.
h) Auch der Umstand, dass nach § 4 Nr. 4 AVB die Haftung bei Prionenerkrankungen ausgeschlossen wird, lässt nicht den Rückschluss zu, dass der vorher aufgeführte, abschließende Katalog doch wieder geöffnet werden solle. Es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass eine Mitursächlichkeit in diesem Fall den Versicherungsschutz entfallen lässt (Vgl. OLG Stuttgart, (r+s 2021, 139 (141), beck-online).
i) Zudem sind bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen auch die wirtschaftlichen Belange der Versicherung und der vom Versicherer verfolgte Zweck zu berücksichtigen, sofern dies in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden hat (BGH, NJW 2020, 1297 (1298)).
Auch insoweit kann die Annahme, der Versicherer werde auch für zukünftige Krankheiten und Krankheitserreger nach dem IfSG Versicherungsschutz gewähren, nicht halten. Vielmehr findet das Interesse der Beklagten, ihre Leistungspflicht auf zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannte Krankheiten und Krankheitserreger zu beschränken, hier für die Klägerin erkennbar durch die abschließende Aufzählung der versicherten Krankheiten und Krankheitserregern Ausdruck.
2. Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten können aus dem Vorgenannten ebenfalls nicht ersetzt verlangt werden.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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