Aktenzeichen 1 ZB 17.2199
Leitsatz
1. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kritik an dem rechtlichen Ergebnis kann der Anhörungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Kann der geltend gemachte Gehörsverstoß mit ergänzenden Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss geheilt werden, hat die Anhörungsrüge keinen Erfolg. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1 ZB 15.1673 2017-10-04 Bes VGHMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf Rüge eines durch die Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben (§ 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO). Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 4. Oktober 2017, mit dem das Gericht den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat, ist statthaft und fristgerecht erhoben. Entgegen den Ausführungen der Beklagten ist die Zweiwochenfrist eingehalten, da der Schriftsatz der Klägerin vorab mit Telefax vom 30. Oktober 2017 eingegangen ist. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör ist aber weder dargelegt noch liegt eine solche vor.
Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet ein Gericht darüber hinaus, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lässt oder zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 580; B.v. 5.4.2012 – 2 BvR 2126/11 – NJW 2012, 2262; BVerwG, B.v. 17.6.2011 – 8 C 3.11 u.a. – juris Rn. 3).
Mit der nochmaligen Aufzählung der Argumente im Zulassungsverfahren (Nr. 1 – 6 des Schriftsatzes) wird bereits nicht dargelegt (vgl. § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO), dass sich das Gericht mit diesen Argumenten nicht auseinandergesetzt hat. Die Klägerin beanstandet vielmehr, dass das Gericht ihrem Vorbringen nicht gefolgt sei und daher entscheidungserheblich aufgeworfene Rechtsfragen unberücksichtigt gelassen oder nur unzureichend geprüft habe. Es handelt sich hierbei um geübte Kritik an dem rechtlichen Ergebnis, die der Anhörungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen kann (vgl. BVerwG, B.v. 30.9.2009 – 7 C 15.09 u.a. – juris Rn. 2).
Weiter trägt die Klägerin mit der Anhörungsrüge vor, dass das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft lediglich zu Beginn des Verfahrens die beantragte Einsicht in den Verwaltungsvorgang der Beklagten gewährt und dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt habe. Denn erst dem Vorlageschreiben des Gerichts an den Verwaltungsgerichtshof sei für die Klägerin zu entnehmen gewesen, dass noch eine (wohl nach gewährter Akteneinsicht hinzugekommene) Heftung existiert habe. Das in dem Beschluss des Senats vom 4. Oktober 2017 erstmals angeführte und wohl durch das Verwaltungsgericht übersandte Schreiben der Beklagten vom 23. September 2014, mit dem sie dem Gericht eine weitere Aktenheftung übersandt hat, sei in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten bis heute nicht eingegangen und habe deshalb auch nicht die vom Senat festgestellten prozessualen Pflichten des Bevollmächtigten auslösen können. Auch insoweit ist die Anhörungsrüge bereits unzulässig, weil sie sich nicht gegen eine neue und eigenständige Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG durch den Verwaltungsgerichtshof richtet, sondern sich darauf beschränkt, eine in der Erstinstanz begangene Gehörsverletzung geltend zu machen.
Die Anhörungsrüge ist nur zulässig, wenn das rechtliche Gehör neu und eigenständig durch das Gericht verletzt worden ist, gegen dessen Entscheidung sich der Betroffene wendet. Die Anhörungsrüge kann nicht mit Erfolg darauf gestützt werden, dass dem Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Überprüfung des in der Vorinstanz erfolgten Gehörsverstoßes ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. BGH, B.v. 13.12.2007 – I ZR 47/06 – NJW 2008, 2126; BFH, B.v. 30.10.2008 – I S 33/08 – juris Rn. 3). Die Klägerin hätte hier gegebenenfalls rügen müssen, dass das Gericht seine Hinweispflicht verletzt habe, indem es vor seiner Entscheidung nicht auf die Übersendung des Schreibens der Beklagten vom 23. September 2014 aufmerksam gemacht habe.
Unabhängig von der fehlenden Darlegung der Klägerin und selbst bei Unterstellung einer Pflichtverletzung durch den Senat, kann die Anhörungsrüge nicht zum Erfolg führen, da eine Entscheidung nur dann auf einem Gehörsverstoß beruht, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung zu einer für den Beteiligten günstigeren Lösung geführt hätte. Kann der geltend gemachte Gehörsverstoß mit ergänzenden Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss geheilt werden, hat die Anhörungsrüge keinen Erfolg. Denn es wäre eine reine Förmelei, von Verfassungs wegen die Fortführung des Verfahrens nach § 152a Abs. 5 Satz 1 VwGO zu verlangen, obwohl sich das Gericht schon unter Berücksichtigung des übergangenen Vortrags eine abschließende Meinung gebildet hat und klar ist, dass eine für den Beteiligten günstigere Lösung ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – NVwZ 2009, 580). Das ist hier der Fall. Soweit die Klägerin mit der Zulassungsbegründung geltend gemacht hat, dass das Verwaltungsgericht lediglich zu Beginn des Verfahrens die beantragte Einsicht in den Verwaltungsvorgang der Beklagten und nicht in die noch hinzugekommene Aktenheftung gewährt habe, hat die Klägerin bereits nicht substantiiert dargelegt, was sie bei rechtzeitiger Gewährung der Akteneinsicht noch vorgetragen hätte und inwieweit dies die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beeinflussen hätte können. Insoweit hätte die Klägerin innerhalb der Begründungsfrist im Zulassungsverfahren beim Verwaltungsgerichtshof Einsicht in den Verwaltungsvorgang nehmen können, wofür noch ausreichend Zeit verblieben wäre. Das Vorbringen im Zulassungsverfahren, es bedürfe insoweit keiner konkreten Darlegung, ist nicht zutreffend. Im Übrigen enthält die nachträglich übersandte Aktenheftung im Wesentlichen der Klägerin bekannte Schriftstücke (Ausdrucke der Internetseiten der Klägerin sowie die im Klageverfahren angefallenen Schriftstücke).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich‚ weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge eine Festgebühr nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) in Höhe von 60‚- Euro anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).