Verwaltungsrecht

Namentliche Aufzählung abgesicherter Infektionsverursacher in der Betriebsschließungsversicherung

Aktenzeichen  31 O 714/20 Ver

Datum:
8.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34906
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Kempten
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IfSG § 2 Nr. 1, § 6, § 7
ZB-BSV § 1 Nr. 2
BGB § 305c

 

Leitsatz

1. Zählen Versicherungsbedingungen Krankheiten oder Krankheitserreger, die eine infektionsschutzrechtliche Schließungsanordnung auslösen, namentlich auf, besteht bei einer auf Sars-Cov-2 beruhenden kein Versicherungsschutz.  (Rn. 44 – 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die namentliche Aufzählung meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger in Versicherungsbedingungen stellt weder eine Ausschluss- noch eine überraschende Klausel dar. (Rn. 52 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Erstreckung des Versicherungsschutzes im Wege der Analogie auf neuartige Risiken ist unzulässig. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Kempten (Allgäu) sowohl sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG als auch örtlich nach § 215 Abs. 1 VVG zuständig.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Der Klägerin stehen gegen die Beklagte keine Ansprüche aus der in der zwischen den Parteien bestehenden Gewerbeversicherung „Genuss-Police“ enthaltenen Betriebsschließungsversicherung zu.
Nach dem in § 1 Nr. 1 der zugrundeliegenden Zusatzbedingungen geregelten Versicherungsumfang leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG in der Fassung vom 20.07.2000) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt.
Vorliegend wurde zwar aufgrund der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 16.03.2020, die am 18.03.2020 zunächst bis zum 30.03.2020 für Gastronomiebetriebe in Kraft trat und die im Folgenden bis 10.05.2020 verlängert wurde, durch die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) der versicherte Betrieb der Klägerin zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen in dem in der Allgemeinverfügung angeführten Umfang geschlossen.
Allerdings ist eine Betriebsschließung wegen des Auftretens des in der Begründung der Allgemeinverfügung angeführten neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (bzw. COVID-19) nicht von der streitgegenständlichen Betriebsschließungsversicherung umfasst.
§ 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen verweist hinsichtlich des Auftretens meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger mit dem dortigen Klammerzusatz „siehe Nr. 2“ ausdrücklich auf § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen mit der Überschrift „Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger“.
Diese Nr. 2 lautet wie folgt:
„Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger:
a) Krankheiten“
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 19 Krankheiten, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Botulismus“ und endend mit „verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers“.
„b) Krankheitserreger“
Es folgt eine Aufzählung von insgesamt 49 Krankheitserregern, jeweils eingerückt mit eigenem Spiegelstrich und jeweils untereinander in einer eigenen Zeile, beginnend mit „Adenovieren“ (sic!) und endend mit „Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)“.
Weder unter § 1 Nr. 2 a) noch unter § 1 Nr. 2 b) der Zusatzbedingungen ist das in der Begründung der Allgemeinverfügung enthaltene neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 aufgeführt.
Die Auslegung von § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen ergibt, dass allein die dort namentlich angeführten „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zuletzt BGH, Urteil vom 08.01.2020 – IV ZR 240/18, Rz. 9, m.w.N.) sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind.
Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer kann bereits nach dem Wortlaut von § 1 Nr. 2 der dem Vertrag zugrunde liegenden Zusatzbedingungen erkennen, dass ausschließlich die in dieser Nr. 2 folgenden, im Einzelnen unter a) namentlich aufgeführten Krankheiten und unter b) namentlich aufgeführten Krankheitserreger versichert sind.
So steht zwischen dem Wort „folgenden“ und dem weiteren Text in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen „im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“ ausdrücklich ein Komma. Das Wort „folgenden“ bezieht sich damit nicht auf die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger, sondern betrifft nur die anschließend unter a) aufzählend aufgeführten Krankheiten sowie die unter b) aufzählend aufgeführten Krankheitserreger. Hierdurch ist für den die Versicherungsbedingungen aufmerksam lesenden Versicherungsnehmer klargestellt, dass nur diese jeweils aufzählend aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger von der Versicherung umfasst sind. Der Versicherungsnehmer kann auch ohne weiteres und eindeutig den Zusatzbedingungen entnehmen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung tatsächlich versichert sind.
Die Aufzählung ist auch aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers abschließend. Ein solcher Versicherungsnehmer kann aus dem Wortlaut der vorliegenden Zusatzbedingungen nicht entnehmen, dass weitere in §§ 6 und 7 sowohl zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrags als auch zukünftig namentlich genannte Krankheiten oder Krankheitserreger, jedoch in der Aufzählung der Zusatzbedingungen nicht enthaltene Krankheiten oder Krankheitserreger versichert sein sollen.
§ 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen enthält auch keine Einschränkung dahingehend, dass insbesondere oder beispielsweise die folgenden Krankheiten oder Krankheitserreger meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne der Bedingungen sind und damit im Falle einer Betriebsschließung versichert sind.
Soweit der Begriff „namentlich“ in einem bestimmten Kontext auch die Bedeutung „insbesondere“ haben kann, kommt eine solche Bedeutung des Begriffs „namentlich“ im vorliegenden Kontext und bei der Stellung des Wortes „namentlich“ in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen keinesfalls in Betracht.
Auch der Sinn und Zweck der Zusatzbedingungen lässt aus der Sicht eines durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers keine andere Auslegung zu.
Einem solchen Versicherungsnehmer, der, wie hier, zudem Kaufmann ist, ist auch bewusst, dass ein Versicherungsunternehmen seinen Versicherungsbedingungen eine Risikoanalyse zu Grunde legt und hierbei insbesondere den Umfang der versicherten Risiken in Relation zur Höhe der zu zahlenden Prämien setzt (ebenso LG Bayreuth, Endurteil vom 08.09.2020, Az. 22 O 207/20). Ebenso ist es einem solchen Versicherungsnehmer bewusst, dass ein Versicherer nur für die von ihm angeführten Krankheiten und Krankheitserreger und von ihm deshalb einschätzbaren Risiken einstehen will.
Einem Versicherer steht es auch, was einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ebenfalls bekannt ist, frei, nur bestimmte Risiken, vorliegend nur die Betriebsschließung aufgrund bestimmter Krankheiten oder Krankheitserreger, die er in seinen Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Einzelnen aufgezählt hat, zu versichern.
So hat die beklagte Versicherung, die in § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen auf das Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 verweist, schon nicht alle in dieser Fassung namentlich aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen mit aufgeführt. So fehlt bei den Krankheiten die in § 6 Infektionsschutzgesetz in der Fassung vom 20.07.2000 aufgeführte Krankheit „humane spongiforme Enzephalopathie, außer familiärhereditärer Formen“. Auch in spätere Fassungen von § 6 Infektionsschutzgesetz aufgenommene Krankheiten wie z. B. Keuchhusten, Mumps oder Röteln sind in § 1 Nr. 1 der Zusatzbedingungen nicht enthalten.
§ 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen definiert auch im Einzelnen die versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger und ist nicht als Einschränkung des Leistungsumfangs zu verstehen. Es handelt sich um keine den Versicherungsschutz einschränkende Ausschlussklausel.
Der Versicherungsnehmer kann, wie bereits ausgeführt, anhand § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen ohne weiteres und eindeutig erkennen, welche Krankheiten und Krankheitserreger im Falle einer Betriebsschließung versichert sind. Eine nach § 305 c Abs. 1 BGB überraschende Klausel liegt ebenso wenig vor wie eine den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligende Klausel.
Entgegen der Ansicht der Klagepartei kann das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. das Virus COVID-19 auch nicht unter eine der in § 1 Nr. 2 der Zusatzbedingungen unter a) aufgeführten Krankheiten oder unter b) aufgeführten Krankheitserreger subsumiert werden. Ließe man eine solche Analogie zu, würde das Risiko des Versicherers trotz Verwendung eines abschließenden Katalogs für diesen im Ergebnis unkalkulierbar sein (ebenso LG Bayreuth, Urteil vom 08.09.2020).
Der Klägerin als Versicherungsnehmerin wäre es unbenommen gewesen, das neuartige Coronavirus, das spätestens im Februar 2020 durch entsprechende Medienberichte bekannt war, vor Erlass der Allgemeinverfügung in den Versicherungsschutz ausdrücklich aufnehmen zu lassen, soweit die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt einverstanden gewesen wäre.
Da kein versicherter Fall einer Betriebsschließung vorliegt, kann dahinstehen, ob der Betrieb der Klägerin vollständig oder nur teilweise geschlossen war und ob vorliegend die Entschädigungsrechnung der Klägerin richtig ist.
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten Zinsen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Verkündet am 08.12.2020


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