Verwaltungsrecht

Nichtbetreiben des Asylverfahrens

Aktenzeichen  Au 5 S 16.31770

Datum:
15.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 1, § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2

 

Leitsatz

Hat das Bundesamt, obwohl ihm durch zwei verschiedene Behörden der neue Wohnsitz des Antragstellers mitgeteilt worden war, diesen dennoch unter der vorherigen, nicht mehr aktuellen Anschrift zur Anhörung geladen und ist er der Ladung wegen Unkenntnis nicht nachgekommen, kann ihm nicht der Vorwurf der Verletzung einer Mitwirkungshandlung gemacht werden mit der Folge, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, weil der Antragsteller das Verfahren nicht betrieben habe. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (Az. Au 5 K 16.31769) gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. August 2016 in Ziffer 3. verfügte Androhung ihrer Abschiebung nach Afghanistan wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine Abschiebungsandrohung nach Afghanistan nach erfolgter Einstellung ihrer Asylverfahren.
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige vom Volke der Paschtunen mit sunnitischem Glauben. Ihren Angaben zufolge reisten die Antragsteller am 25. Januar 2014 erstmalig auf dem Landwege in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie am 7. Februar 2014 Asylerstanträge stellten.
Am 7. Februar 2014 wurden die Antragsteller darüber belehrt, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) jeden Wohnungswechsel mitzuteilen. Dies gelte auch dann, wenn den Antragstellern von einer staatlichen Stelle ein neuer Wohnort bzw. eine neue Unterkunft zugewiesen werde. Die Antragsteller wurden weiter über die Folgen der Unterlassung einer Mitteilung über einen Wohnungswechsel belehrt.
Mit Bescheid der Regierung von … vom 18. Juni 2015 (Eingang beim Bundesamt am 24. Juni 2015) wurde den Antragstellern als künftiger Wohnsitz die Gemeinschaftsunterkunft (Asyl) GU …, …, … als Wohnsitz zugewiesen.
Der Antragsteller zu 1 hat diesen Wohnsitzwechsel dem Bundesamt mit Schreiben vom 25. Juni 2015 (Eingang beim Bundesamt am 30. Juni 2015) mitgeteilt.
Mit weiterem Bescheid der Regierung vom … vom 19. Mai 2016 (Eingang beim Bundesamt am 20. Mai 2016) wurde den Antragstellern ab dem 23. Mai 2016 die …, …, … als künftiger Wohnsitz zugewiesen.
Das Landratsamt … hat dem Bundesamt mit Schreiben vom 1. Juni 2016 diesen Wohnsitzwechsel ebenfalls angezeigt. Dieses Schreiben ist beim Bundesamt am 2. Juni 2016 eingegangen.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 5. Juli 2016 wurden die Antragsteller zur persönlichen Anhörung für den 13. Juli 2016 geladen. Diese Aufforderung wurde an die GU … in der …, … gerichtet.
Mit weiterem Schreiben des Bundesamtes vom 14. Juli 2016 wurden die Antragsteller zur persönlichen Anhörung am 28. Juli 2016 geladen. Diese Ladung war an die Adresse GU …, …, … gerichtet. Der beigefügten Postzustellungsurkunde vom 16. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass die Antragsteller unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln waren.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 2016 wurden die Asylverfahren der Antragsteller eingestellt und deren Asylanträge als zurückgenommen behandelt (Ziffer 1.). In Ziffer 2. wurde weiter festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. In Ziffer 3. wurden die Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihnen die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass die Antragsteller auch in einen anderen Staat abgeschoben werden können, in den sie einreisen dürfen oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. In Ziffer 4. wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltserbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass die Asylanträge der Antragsteller als zurückgenommen gelten. Den Antragstellern sei der 14. Juli 2016 (richtigerweise 13. Juli 2016) als Termin zur persönlichen Anhörung mitgeteilt worden. Die Antragsteller seien jedoch ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Bei Nichterscheinen ohne genügende Entschuldigung werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) vermutet, dass die Antragsteller die Verfahren nicht betreiben würden.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 23. August 2016 wird ergänzend verwiesen.
Die Kläger haben gegen den vorbezeichneten Bescheid am 6. September 2016 Klage erhoben (Az. Au 5 K 16.31769) über die noch nicht entschieden worden ist. Gleichfalls haben sie im Wege einstweiligen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Bezug auf die erhobene Klage anzuordnen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen, dass die Einstellung zu Unrecht erfolgt sei, da die Mitwirkungspflichten durch die Antragsteller nicht verletzt worden seien. Die im Bescheid benannte Ladung zur persönlichen Anhörung am 14. Juli 2016 (richtigerweise 13. Juli 2016) sei den Antragstellern nicht zugestellt worden. Ein Versäumnis dieses Anhörungstermins sei daher unverschuldet.
Auf den weiteren Vortrag im Schreiben vom 6. September 2016 wird ergänzend verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt. Eine Antragstellung ist nicht erfolgt.
Am 6. September 2016 haben die Antragsteller gegenüber dem Bundesamt um Wiederaufnahme ihres Verfahrens gebeten. Über diesen Antrag ist bislang nicht entschieden worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3. des Bescheides vom 23. August 2016 (Az. Au 5 K 16.31769) ist begründet.
1. Der Antrag ist insbesondere statthaft. Der Klage kommt gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Abs. 1, 28 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, weil das Bundesamt das Asylverfahren der Antragsteller gestützt auf § 32 Satz 1 und § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eingestellt hat. Eine Frist für die Stellung des diesbezüglichen Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sieht das Asylgesetz nicht vor.
Für den Antrag besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere lässt die den Antragstellern gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eröffnete Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen (vgl. VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 – RO 9 S 16.30620 – juris Rn. 11 ff.; VG Ansbach, B.v. 3.6.2016 – AN 4 S 16.30588 – juris Rn. 13 ff.; VG Oldenburg, B.v. 22.6.2016 – 5 B 2876/16 – juris Rn. 21 ff.).
Der vorliegende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage ist darauf gerichtet, die Antragsteller vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu schützen, die aufgrund der mit einer einwöchigen Ausreisefrist verbundenen Abschiebungsandrohung gemäß §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG bereits vor rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Klageverfahrens möglich sind. Die Stellung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens bietet den Antragstellern keine gleichwertige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen (vgl. VG Berlin, B.v. 29.4.2016 – 8 L 226/16.A – juris Rn. 9). Durch die Stellung eines solchen Antrages wird die Abschiebungsandrohung nach Afghanistan weder gegenstandlos noch suspendiert. Der Bescheid vom 23. August 2016 wird erst dadurch gegenstandslos, dass das Bundesamt entscheidet, das Verfahren fortzuführen (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG), und die Prüfung des gestellten Asylantrages im Anschluss an diese Entscheidung in dem Verfahrensabschnitt fortführt, in dem das Verfahren eingestellt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Antragsteller rechtlich nicht vor einer Abschiebung nach Afghanistan geschützt.
2. Der Antrag erweist sich auch als begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage (Az. Au 5 K 16.31769) angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 23. August 2016, mit dem die Asylanträge der Antragsteller als zurückgenommen behandelt und deren Asylverfahren eingestellt wurden. Damit überwiegt das Interesse der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheids verschont zu bleiben, das entgegenstehende öffentliche Interesse. Bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht vieles dafür, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und deshalb im Klageverfahren keinen Bestand haben wird.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf diese Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen.
Die schwerwiegende Folge der Zurücknahme der Asylanträge und deren Einstellung setzt seitens der Antragsteller eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten voraus, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn dem Asylbewerber eine „besonders schwerwiegende“ Verletzung seiner Mitwirkungspflichten anzulasten ist, die „ohne weiteres den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt (vgl. Marx, Asylverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 30 Rn. 59, Hailbronner, Ausländerrecht, Band 2, § 30 Asylverfahrensgesetz, Rn. 85, 94).
Ungeachtet der am 7. Februar 2014 erfolgten ordnungsgemäßen Belehrung der Antragsteller über die Folgen einer versäumten Anhörung bzw. der Nichtmitteilung eines Wohnsitzwechsels erweisen sich die Verfahrenseinstellungen aufgrund fiktiver Rücknahme der Asylanträge voraussichtlich als rechtswidrig. Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Bescheid vom 23. August 2016 für die von ihr angenommenen Rechtsfolgen maßgeblich auf eine schuldhafte Säumnis der Antragsteller hinsichtlich des festgesetzten Anhörungstermins vom 14. Juli 2016 (richtigerweise 13. Juli 2016) verwiesen. Bezüglich dieses Termins kann jedoch nach Aktenlage keine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Antragsteller festgestellt werden. Das Ladungsschreiben des Bundesamtes für den Termin 13. Juli 2016 wurde an die vormalige Anschrift der Antragsteller in der GU …, …, … gerichtet. Zu diesem Zeitpunkt war den Antragstellern bereits mit Bescheid der Regierung von … vom 19. Mai 2016 ab dem 23. Mai 2016 der neue Wohnsitz … in der …, … zugewiesen. Diese Zuweisungsentscheidung ist beim Bundesamt am 20. Mai 2016, das heißt, deutlich vor der Aufforderung vom 5. Juli 2016 eingegangen. Auch das Landratsamt … hat dem Bundesamt (Eingang bei diesem am 2. Juni 2016) mit Schreiben vom 1. Juni 2016 die neue Anschrift der Antragsteller im Asylverfahren mitgeteilt. Dessen ungeachtet hat das Bundesamt seine Aufforderung vom 5. Juli 2016 an die vormalige Anschrift der Antragsteller gerichtet. Insoweit kann auch nicht wiederlegt werden, dass die Antragsteller vom ursprünglichen Anhörungstermin am 13. Juli 2016 keine rechtzeitige Kenntnis erlangt haben. Den Antragstellern ist jedenfalls nicht der Vorwurf der Verletzung einer Mitwirkungshandlung zu machen. Vielmehr liegt der Umstand der fehlerhaften Bekanntgabe der Aufforderungen zur Anhörung in der Sphäre der Antragsgegnerin. Dies zugrunde gelegt spricht Überwiegendes dafür, dass der Einstellungsbescheid und die mit ihm verbundenen Rechtsfolgen einschließlich der Abschiebungsandrohung voraussichtlich rechtswidrig ist und die Antragsteller in ihren Rechten verletzen. Antragsgemäß war daher die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller vom 7. September 2016 anzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.


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