Verwaltungsrecht

Notwendiger Hinweis über die Rechtsfolgen bei ungenügender Mitwirkung

Aktenzeichen  Au 5 S 17.30077

Datum:
12.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

Die Rücknahmefiktion aus § 33 AsylG kommt nicht zum Tragen, wenn der Antragssteller nicht ausreichend über eintretende Rechtsfolgen aufgeklärt wurde, indem ihm notwendige Ladungen nicht wirksam zugestellt wurden.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. Au 5 K 17.30076) gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids des Bundesamtes … vom 23. Dezember 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Abschiebungsandrohung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat im Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. Dezember 2016.
Der am … 1978 in … (Irak) geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischem Glauben.
Seinen Angaben zufolge reiste der Antragsteller am 11. November 2015 (erneut) in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 18. April 2016 Asylfolgeantrag stellte.
Mit Schreiben des Bundesamtes … (im Folgenden: Bundesamt) vom 8. September 2016, 16. November 2016 und 24. November 2016 wurde der Antragsteller jeweils zur persönlichen Anhörung im Bundesamt geladen. Die Ladungen wurden dabei sämtlich an die Anschrift …, versandt. Auf die jeweiligen Ladungsschreiben und deren Inhalt wird Bezug genommen. Ausweislich der Akten konnte dem Antragsteller keines der Ladungsschreiben zugestellt werden. Im letzten Ladungsschreiben des Bundesamtes vom 24. November 2016 ist u. a. ausgeführt, dass, sofern der Antragsteller ohne genügende vorherige schriftliche Entschuldigung zur Befragung nicht erscheine, über seinen Antrag ohne Befragung nach Aktenlage entschieden werden könne.
Mit Bescheid des Bundesamtes vom 23. Dezember 2016 wurde bestimmt, dass der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gelte und das Asylverfahren eingestellt werde (Ziffer 1 des Bescheids). Ziffer 2 des Bescheids bestimmt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) im Falle des Antragstellers nicht vorliegen. Dieser wird in Ziffer 3 aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde dem Antragsteller die Abschiebung in den Irak angedroht. Weiter wurde bestimmt, dass der Antragsteller auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Ziffer 4 setzt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung fest. In den Gründen des Bescheids ist u. a. ausgeführt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte. Dem Antragsteller sei der 13. Dezember 2016 als Termin zur persönlichen informatorischen Anhörung mitgeteilt worden. Der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Erscheine ein Antragsteller ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung, so werde nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) vermutet, dass er das Verfahren nicht betreibe. Der Antragsteller sei der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Einen Nachweis, dass das Versäumnis des Antragstellers auf Umstände zurückzuführen sei, auf die er keinen Einfluss habe, sei bis zur Entscheidung nicht eingereicht worden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 23. Dezember 2016 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 9. Januar 2017 gegen den vorbezeichneten Bescheid des Bundesamtes Klage erhoben (Az. Au 5 K 17.30076). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 9. Januar 2017 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtschutzes sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamtes vom 23. Dezember 2016 anzuordnen.
Zur Begründung ist im Wesentlichen vorgetragen, dass der Bescheid bereits deshalb rechtsfehlerhaft sei, da der Antragsteller die Ladung zur persönlichen informatorischen Anhörung nie erhalten habe.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte des Verfahrens Au 5 K 17.30076 und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 23. Dezember 2016 (Az. Au 5 K 17.30076) ist begründet.
1. Der Antrag ist insbesondere statthaft. Der Klage kommt gemäß §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, weil das Bundesamt das Asylverfahren des Antragstellers gestützt auf § 32 Satz 1 und § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eingestellt hat. Eine Frist für die Stellung des diesbezüglichen Antrages auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sieht das Asylgesetz nicht vor.
Für den Antrag besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Insbesondere lässt die dem Antragsteller gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG eröffnete Möglichkeit, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen, das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8; VG Regensburg, B.v. 18.4.2016 – RO 9 S 16.30620 – juris Rn. 11 ff.; VG Ansbach, B.v. 3.6.2016 – AN 4 S 16.30588 – juris Rn. 13 ff.; VG Oldenburg, B.v. 22.6.2016 – 5 B 2876/16 – juris Rn. 21 ff.).
Der vorliegende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage ist darauf gerichtet, den Antragsteller vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu schützen, die aufgrund der mit einer einwöchigen Ausreisefrist verbundenen Abschiebungsandrohung gemäß §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG bereits vor rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Klageverfahrens möglich sind. Die Stellung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens bietet dem Antragsteller keine gleichwertige Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen (vgl. VG Berlin, B.v. 29.4.2016 – 8 L 226/16.A – juris Rn. 9). Durch die Stellung eines solchen Antrages wird die Abschiebungsandrohung nach Irak weder gegenstandslos noch suspendiert. Der Bescheid vom 23. Dezember 2016 wird erst dadurch gegenstandslos, dass das Bundesamt entscheidet, das Verfahren fortzuführen (vgl. § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG), und im Anschluss an diese Entscheidung das Verfahren in dem Verfahrensabschnitt fortführt, in dem es eingestellt wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Antragsteller rechtlich nicht vor einer Abschiebung in den Irak geschützt.
2. Der Antrag erweist sich auch als begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mit der Klage (Az. Au 5 K 17.30076) angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 23. Dezember 2016, mit dem der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen behandelt und dessen Asylverfahren eingestellt wurde. Damit überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheids verschont zu bleiben, dass entgegenstehende öffentliche Interesse. Bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage spricht vieles dafür, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und deshalb im Klageverfahren keinen Bestand haben wird.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn der Ausländer bzw. die Ausländerin einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf diese Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen.
Die schwerwiegende Folge der Zurücknahme der Asylanträge und deren Einstellung setzt seitens des Antragstellers eine gröbliche Verletzung der Mitwirkungspflichten voraus, was wiederum nur dann der Fall ist, wenn dem Asylbewerber eine „besonders schwerwiegende“ Verletzung seiner Mitwirkungspflichten anzulasten ist, die „ohne weiteres“ den Schluss auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Asylrechts zulässt (vgl. Marx, Asylverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 30 Rn. 59, Hailbronner, Ausländerrecht, Band 2, § 30 Asylverfahrensgesetz, Rn. 85, 94).
Ob der Antragsteller die gesetzliche Vermutung des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG entsprechend § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegen kann, kann vorliegend dahinstehen. Der Eintritt der schwerwiegenden Folge der Rücknahmefiktion aus § 33 AsylG erscheint vorliegend bereits deshalb ausgeschlossen, weil keines der an den Antragsteller versandten Ladungsschreiben an dessen nach wie vor gültige Anschrift ordnungsgemäß zugestellt wurde. Jedenfalls findet sich für diesen Umstand kein Nachweis in der von der Antragsgegnerin vorgelegten Verfahrensakte. Für einen Erfolg der Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren spricht weiter, dass gerade die Ladung vom 24. November 2016 (Behördenakte Bl. 65), auf die die Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung vom 23. Dezember 2016 maßgeblich Bezug nimmt, keinen ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsfolge des § 33 Abs. 1 AsylG enthielt. Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer jedoch auf die nach den Abs. 1 und 3 eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Ladung vom 24. November 2016 ist lediglich der Hinweis zu entnehmen, dass sofern der Antragsteller ohne genügende vorherige schriftliche Entschuldigung zur Befragung nicht erscheine, über seinen Antrag ohne Befragung nach Aktenlage entschieden werden könne. Lediglich die Ladungsschreiben der Antragsgegnerin vom 8. September 2016 und 16. November 2016 enthielten den ausdrücklichen Hinweis auf die Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG.
Schließlich bestehen vorliegend auch Zweifel im Hinblick auf die Vorschrift des § 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG. Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, ob der Antragsteller verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AsylG kann bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. Nach Satz 2 von § 25 Abs. 5 AsylG ist in diesem Falle dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben. Sofern man also davon ausgeht, dass der Antragsteller nicht mehr verpflichtet war in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, hätte die Antragsgegnerin – unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Fernbleiben der Anhörung ohne genügende Entschuldigung vorlag, woran mangels Zustellungsnachweis erhebliche Zweifel bestehen – dem Antragsteller jedenfalls zwingend zunächst Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben werden müssen. Auch dies wäre im Fall des Antragstellers offensichtlich unterblieben.
Nach alldem hätte das Asylverfahren des Antragsteller nicht eingestellt, die in § 32 AsylG vorgesehene Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht getroffen und eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG ebenso wenig wie eine Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 AufenthG erlassen werden dürfen. Antragsgemäß war daher die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
4. Einer Entscheidung über den ebenfalls gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung für das Eilverfahren bedurfte es aufgrund der getroffenen Regelung über die Kosten des Verfahrens und der unmittelbar eintretenden Rechtskraft des Beschlusses nicht mehr.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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