Aktenzeichen M 32 K 17.42459
Leitsatz
1 In Pakistan ist es derzeit grundsätzlich möglich, in einer der Großstädte aufgrund der dortigen Anonymität dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein junger, volljähriger und gesunder Mann mit Arbeits- und Erwerbserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können, und dem es im Übrigen zuzumuten ist, wegen der behaupteten Bedrohungen durch einen Verfolger andere, davor sichere Landesteile in Pakistan aufzusuchen, wird bei seiner Rückkehr nach Pakistan derzeit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt. (Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Die vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nur noch gegen die Nummern 4, 5 und 6 des streitgegenständlichen Bescheids gerichtete Klage bleibt ohne Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 34 und 38 AsylG, die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in § 11 AufenthG.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
Der Vortrag des Klägers weist nicht die erforderliche Glaubwürdigkeit auf. Das Gericht verweist auf die diesbezüglichen ausführlichen und nachvollziehbaren Darlegungen des Bundesamts. Auch in der mündlichen Verhandlung ergaben sich keine anderen Gesichtspunkte. Im Gegenteil vertiefte sich die Unglaubwürdigkeit. Der Kläger führte nämlich auf konkrete Nachfrage aus, dass er in Karatschi von Leuten seines Onkels gefunden und von diesen wieder in sein Dorf zurückgebracht worden sei, wo er dann von seinem Onkel weiter misshandelt und gefoltert worden sei. Demgegenüber erklärte der Kläger in seiner Anhörung vor dem Bundesamt, dass ihn in Karatschi sein Onkel abgeholt und in das Dorf gebracht hätte; der Onkel habe Kontakte zu Leuten in Karatschi, welche Kontakte zur Polizei hätten, gehabt (siehe Niederschrift zur Anhörung, Bl. 6 d.A., 5. Frage).
Schon wegen der fehlenden Unglaubwürdigkeit des Verfolgungsvortrags kommt eine Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nicht in Betracht.
Selbst wenn – wie nicht – der Vortrag glaubwürdig wäre, hätte der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung dieser Abschiebungsverbote.
1. Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung (siehe schon BVerwG, u.v. 11.11.1997 – 9 C 13/96 – juris Rn. 8 ff. zur Vorgängerregelung des § 53 Abs. 4 AuslG) umfasst der Verweis auf die EMRK lediglich Abschiebungsverbote, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen, insbesondere nach Art. 3 EMRK das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe drohen. Bei § 60 Abs. 5 AufenthG sind alle Verbürgungen der EMRK in den Blick zu nehmen, aus denen sich ein Abschiebungsverbot ergeben kann (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 36). Für die Frage, wie die Gefahr beschaffen sein muss, mit der die Rechtsgutverletzung droht, ist auf den asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ zurückzugreifen.
Ein solches Abschiebungsverbot, insbesondere nach Art. 3 EMRK, liegt nicht vor, und zwar schon deswegen, weil dem Kläger die behaupteten, vom Onkel ausgehende Gefahren nicht landesweit in Pakistan drohen. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte landesweit droht. Es darf also für den Betroffenen keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen. Für die Annahme einer solchen Fluchtalternative müssen jedoch gewisse, dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche, Voraussetzungen erfüllt sein (ausführlich hierzu VGH Mannheim, U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris Rn. 281 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR). Die Voraussetzungen des § 3e AsylG, nämlich dass der Kläger in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und er in diesen Landesteil reisen, dort aufgenommen werden und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt, sind erfüllt. Nach der aktuellen Erkenntnislage (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand August 2018, S. 20) können potentiell Verfolgte in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan aufgrund der dortigen Anonymität unbehelligt leben. In einem flächen- und bevölkerungsmäßig großen Land wie Pakistan (Fläche 880.000 m², ca. 200 Mio. Einwohner) ohne funktionierendes Meldewesen ist es grundsätzlich möglich, in einer der größeren Städte dauerhaft der Aufmerksamkeit der lokalen Behörden oder eines potentiellen Verfolgers zu entgehen (Auswärtiges Amt, Stellungnahme an VG Leipzig vom 15.1.2014). Der Kläger hat bei Weitem nicht dargelegt, dass die behauptete Verfolgung durch seinen Onkel landesweite Bedrohensmächtigkeit aufweist (vgl. auch § 3c Nr. 3 AsylG). Besondere individuelle Ausschlussgründe sind beim Kläger nicht ersichtlich. Der Kläger ist ein junger volljähriger gesunder erwerbsfähiger Mann, der nach seinen Angaben bereits in Pakistan als Schweißer gearbeitet und damit seine Existenz finanziert hat. Nichts spricht dagegen, dass er auch in anderen Landesteilen Pakistans seinen Lebensunterhalt wird sichern können.
2. Es liegt auch kein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht. Für die Annahme einer „konkreten“ Gefahr im Sinne dieser Vorschrift genügt aber nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die geschützten Rechtsgüter zu werden. Vielmehr ist insoweit der Maßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzuwenden und zwar unabhängig davon, ob der Ausländer vorverfolgt ausgereist ist oder nicht. Zudem muss eine auf den Einzelfall bezogene, individuell bestimmte und erhebliche, also auch alsbald nach der Rückkehr eintretende Gefährdungssituation vorliegen und es muss sich um Gefahren handeln, die dem Ausländer landesweit drohen, denen er sich also nicht durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann. § 60 Abs. 7 Satz 1 AuslG erfasst nur einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituationen. Gefahren, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen allgemein ausgesetzt ist bzw. sind, werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG allein bei Entscheidungen über eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Allgemeine Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG unterfallen § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG selbst dann nicht, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ein Ausländer aber trotz der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz dann – und nur dann – beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr in sein Heimatland aufgrund der dortigen Existenzbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre oder sonst eine individuelle existenzielle Gefahr für ihn bestünde. Dann – und nur dann – gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Voraussetzung eines solchen Abschiebungsverbots ist, dass der Ausländer bei einer Abschiebung „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen“ ausgeliefert würde und sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren würden (siehe BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – juris Rn. 21 ff.; siehe auch VGH Mannheim a.a.O., juris Rn. 506 ff.).
Hiervon ausgehend vermag das Gericht bei Weitem kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu erkennen. Der Kläger ist, wie bereits oben unter Nr. 1 erwähnt, ein junger volljähriger gesunder Mann mit Arbeits- und Erwerbserfahrung, von dem zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt in Pakistan wird sichern können, und dem es im Übrigen zuzumuten ist, wegen der behaupteten Bedrohungen durch seinen Onkel andere davor sichere Landesteile in Pakistan aufzusuchen.
Die Klage war von daher abzuweisen. Die Abweisung hat als offensichtlich unbegründet zu erfolgen, da der Vortrag des Klägers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert und in sich widersprüchlich ist (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und selbst dann, wenn – wie nicht – der Vortrag glaubhaft wäre, aus dem Inhalt des Vortrags rechtlich offensichtlich ist, dass damit kein Anspruch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote begründet werden kann und sich dem Gericht die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt (§ 78 Abs. 1 AsylG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Urteil ist unanfechtbar, § 78 Abs. 1 AsylG.