Verwaltungsrecht

Offensichtlich unbegründeter Antrag eines Asylbewerbers aus Mali

Aktenzeichen  M 21 S 17.42846

Datum:
3.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 16a Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
AsylG AsylG § 3, § 3e, § 4, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1, § 60a Abs.1

 

Leitsatz

1 Das Gericht hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus und keine Abschiebungsverbote zuzuerkennen sind, zum Gegenstand der Prüfung zu machen; dafür sprechen § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch wenn sich die politische und die Sicherheitslage in Mali zum Zeitpunkt September 2017 durch Wiederaufnahme der Kämpfe und steigender politischer Unruhen verschlechtert hat, muss sich der Antragsteller auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako, verweisen lassen. (Rn. 19 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
3 Angesichts der hohen Hepatitis-Prävalenz in Mali spricht alles dafür, dass bei dieser dort weit verbreiteten Krankheit eine allgemeine Gefahr iSv § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG vorliegt, die eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG erfordern würde. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise seines Herkunftslands vorlegte, ist nach eigenen, letzten Angaben ein lediger, in Timbuktu geborener Staatsangehöriger der Republik Mali muslimischen Glaubens vom Volk der Bambara.
Er stellte am 18. August 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für … (kurz: Bundesamt) in M. einen Asylantrag.
Zur Niederschrift über seine Anhörung bei der Außenstelle des Bundesamts in M. am 7. Oktober 2016 gab der Antragsteller im Wesentlichen an, sich bis zur Ausreise in Dara Djoloff aufgehalten zu haben. 2006 habe er Senegal verlassen und sei nach Mali, wo er bei seinem Vater in Timbuktu gewohnt habe. 2009 habe er seine Flucht von Mali aus begonnen. September oder Oktober 2015 sei er in das Bundesgebiet eingereist. Seine Eltern seien verstorben. Er habe keine weiteren Verwandten mehr in Mali. Er habe bei seinem Koranlehrer, der auch eine Landwirtschaft betrieben habe, gearbeitet. Die Koranschule, die er in Mali besucht habe, sei ganz schlecht gewesen, weil man dort, bevor man etwas zu essen bekommen habe, auf die Straße habe gehen und betteln müssen. Er habe daher Depressionen bekommen. Wegen der Lebensbedingungen in Mali habe er das Land verlassen. Wegen der Depressionen sei er einmal in Deutschland beim Arzt gewesen. Der habe ihm aber kein Attest gegeben.
Mit Schreiben vom 24. Dezember 2016 übersandte eine Frau C. dem Bundesamt ein ärztliches Attest der Gemeinschaftspraxis für Allgemeinmedizin Dr. G. und Kollegen vom 23. Dezember 2016 (Bl. 76 der Bundesamtsakte). Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, beim Antragsteller habe sich die Diagnose einer aktiven Hepatitis Bbestätigt. Weitere Diagnostik im spezialisierten Zentrum für die anstehenden Therapieentscheidungen sei unabdingbar.
Mit Schreiben vom 5. April 2017 übersandte eine Frau C. dem Bundesamt einen Arztbrief des Leberzentrums München vom 5. März 2017 (Bl. 94 f Bundesamtsakte). Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, beim Antragsteller sei insbesondere eine chronische HBV Infektion diagnostiziert worden, die ihm seit 2015 bekannt sei. Sollten aufwändige medizinische Untersuchungen alle sechs Monate nicht möglich sein und die Transaminasen dauerhaft erhöht bleiben, bestehe das Risiko einer Leberzirrhose oder einer Tumorbildung.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge des Antragstellers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) als offensichtlich unbegründet ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4.) und drohte ihm mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Mali an (Ziffer 5.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe nicht vorgetragen, in Mali in irgendeiner Form verfolgt worden zu sein. Ihm drohe auch offensichtlich kein ernsthafter Schaden. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Lediglich langfristig drohe durch eine Hepatitis B-Erkrankung zwar ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose sowie das Auftreten von Leberkarzinomen. Das tatsächliche Auftreten dieser Folgen bleibe aber ungewiss. Laut Attest des Leberzentrums München vom 5. März 2017 lägen beim Antragsteller keine bestehenden Leberveränderungen vor. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 36 Abs. 1 AsylG.
Am 29. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 22. Mai 2017 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.42841) ist noch nicht entschieden.
Am 29. Mai 2017 ließ der Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zugleich beantragen,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen.
Die durch Schriftsatz vom 29. Mai 2017 angekündigte Klagebegründung erfolgte bislang nicht. Zur Antragsbegründung wurde durch Schriftsatz vom 18. Juli 2017 im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller leide an einer chronischen Hepatitis B. Aufgrund dieser Erkrankung sei ausweislich des als Anlage beigefügten Arztbriefs des Leberzentrums München vom 2. Juni 2017 zunächst eine dauerhafte, antivirale Therapie nötig. Nach Angaben des Leberzentrums habe der Befund vom 11. Mai 2017 von Herrn Dr. G. ergeben, dass der Antragsteller nunmehr dauerhaft therapiert werden müsse. Seine Leberwerte hätten sich offensichtlich verschlechtert. Im Falle einer Nichtbehandlung im Heimatland bestehe die Gefahr, dass sich der Gesundheitszustand des Antragstellers lebensbedrohlich verschlechtern würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Eilantrag ist unbegründet.
Gemäß Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG wird die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen insbesondere in Fällen, die offensichtlich unbegründet sind, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Im Anschluss an Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG bestimmt § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, dass die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (Art. 16a Abs. 4 Satz 2 GG, § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). „Ernstliche Zweifel“ im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GG liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass dem Antragsteller kein subsidiärer Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen ist und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung in § 36 AsylG nicht unmittelbar zu entnehmen, dafür sprechen jedoch § 34 Abs. 1 AsylG und Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 17.7.1996 – 2 BvR 1291/96 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Maßstäben bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen, an die Ausreisefrist von einer Woche (§ 36 Abs. 1 AsylG) anknüpfenden Abschiebungsandrohung.
Ernstliche Zweifel bestehen insbesondere nicht an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet und an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
Zur näheren Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bundesamtsbescheids Bezug genommen (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen.
Abgesehen von der Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens muss sich der Antragsteller auf Basis aktueller Lageberichte sowohl überstaatlicher (vgl. nur http://www.refworld.org/pdfid/59d388b84.pdf) als auch staatlicher (vgl. nur https://www.state.gov/documents/organization/265488.pdf) und nichtstaatlicher Stellen (vgl. nur https://www.amnesty.de/jahresbericht/2017/mali) jedenfalls hinreichend gesichert auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako, verweisen lassen (§ 3e AsylG).
Im Vergleich zum Bericht des Generalsekretärs des Sicherheitsrats der UN über die Lage in Mali im Juni 2017 haben sich die politische und die Sicherheitslage dort zum Zeitpunkt Ende September 2017 verschlechtert. Die UN berichten allerdings in diesem Zusammenhang von einer Wiederaufnahme der Kämpfe zwischen den bewaffneten Signatarkräften in Nordmali, wachsender Unsicherheit im Zentrum des Landes und steigender politischer Unruhe im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Prüfungsprozess, der zu einer verspäteten Umsetzung des Abkommens geführt habe. Für die Region Kidal wird von einer Verschlechterung der Sicherheitslage berichtet. Asymmetrische Angriffe gegen internationale Kräfte seien insbesondere in den Regionen Gao, Kidal und Timbuktu zu verzeichnen. Die Sicherheit von Zivilisten habe sich in den Gegenden um Ménaka und Mopti verschlechtert.
Dementsprechend wird vom Außenministerium der Vereinigten Staaten festgehalten, für Teile des Nordens und des Zentrums des Landes werde insbesondere von ernsthaften Menschenrechtsverletzungen durch nichtstaatliche, extremistische Organisationen berichtet. Die Truppen der Regierung und der Französischen Republik hätten jedoch dort verschiedene Terrorgruppen bekämpft. Angriffe durch bewaffnete Gruppen, welche die Vereinbarung von 2015 unterzeichnet hatten, seien im Berichtszeitraum 2016 sporadisch und örtlich begrenzt gewesen. Terroristische Gruppen hätten ihre Aktivitäten (nur) im Norden und zentralen Teilen des Landes fortgesetzt. Die Regierung habe nicht genügend Ressourcen gehabt, um diese Fälle im Norden (allein) zu verfolgen und zu untersuchen.
Auch Amnesty International berichtet Stand 19. Mai 2017, die Instabilität habe in Mali vom Norden auf das Landesinnere übergegriffen. Es habe immer mehr bewaffnete Gruppierungen gegeben, die Anschläge verübten. Die Stadt Kidal im Norden des Landes sei von bewaffneten Gruppen kontrolliert worden. In Gao und Ménaka sei die Versorgung mit humanitärer Hilfe durch Entführungen seitens bewaffneter Gruppen behindert worden.
Bei dieser Lage muss sich der Antragsteller hinreichend gesichert auf internen Schutz im Süden Malis, insbesondere auf die Gegend in und um Bamako, verweisen lassen.
Es besteht darüber hinaus – unter Berücksichtigung sämtlicher Stellungnahmen zum Gesundheitszustand des Antragstellers – auch kein greifbarer Anhaltspunkt für die Annahme eines nationalen Abschiebungsverbots, insbesondere für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Ausgehend davon, dass der Antragsteller an einer chronischen Hepatitis-B-Infektion leidet, spricht angesichts der hohen Hepatitis-B-Prävalenz in Mali (vgl. nur https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4403772/: 10-18%) alles dafür, dass bei dieser dort weit verbreiteten Krankheit eine allgemeine Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG vorliegt, die eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG erfordern würde (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1998 – 9 C 13/97 – juris Leitsatz 1; BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 9), die jedoch nicht existiert. Dafür, dass der Antragsteller – was von Verfassungs wegen eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ermöglichen würde – „sehenden Auges“ dem Tod ausgeliefert würde, spricht nichts Greifbares.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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