Aktenzeichen M 26 S 17.40913
Leitsatz
Verweigert ein Asylsuchender trotz ordnungsgemäßer Belehrung über seine Mitwirkungspflichten die Durchführung der Anhörung, ohne hierfür einen Entschuldigungsgrund anzugeben, kann ein (einfach) unbegründeter Asylantrag gem. § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben ein am … 1988 geborener tunesischer Staatsangehöriger. Er reiste am … Februar 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.
Der Antragsteller war bereits im Jahr 2014 in das Bundesgebiet eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Mit Bescheid vom 23. Juni 2014 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Italien angeordnet. Am 21. Oktober 2014 wurde der Antragsteller im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien überstellt. Für den Antragsteller ergaben sich mehrere EURODAC-Treffer: für Deutschland (DE …; Bl. 56 der Behördenakte), für die Schweiz (CH …; Bl. 56 der Behördenakte) und für Österreich (AT …; Bl.55 der Behördenakte).
Mit Schreiben vom 20. April 2017 teilte das Bundesamt für … (Bundesamt) dem Antragsteller sowie dessen Bevollmächtigten mit, dass der Termin für die persönliche Anhörung auf den … April 2017 festgesetzt worden sei und die Anhörung in der Justizvollzugsanstalt stattfinden solle, wo der Antragsteller derzeit inhaftiert ist. Der Antragsteller wurde darauf hingewiesen, dass er persönlich zum Termin erscheinen, selbst die Tatsachen erklären, die seine Furcht vor politischer Verfolgung begründen und die hierfür erforderlichen Angaben machen müsse. Bei der Anhörung obliege es ihm auch, alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen. Sollte er ohne genügende Entschuldigung nicht zur Anhörung erscheinen, werde über seinen Antrag nach Aktenlage entschieden, wobei auch sein Nichtmitwirken am Asylverfahren gewürdigt werde.
Laut einem Aktenvermerk der Anhörerin konnte die Anhörung am … April 2017 nicht durchgeführt werden. Nach Auskunft des Beamten in der JVA habe der Antragsteller kein Interesse daran gehabt, die Anhörung durchzuführen. Daraufhin sei der Beamte gebeten worden, noch einmal nachzufragen und den Antragsteller darüber zu informieren, dass er seine Mitwirkungspflicht verletze und der Antrag in der Folge abgelehnt werden würde. Der Antragsteller sei trotzdem nicht bereit gewesen, die Entscheiderin zu sehen.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2017, zur Post gegeben am 16. Mai 2017, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2). Den Antrag auf subsidiären Schutz lehnte es ebenfalls als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 3). Es stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde die Abschiebung nach Tunesien oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen darf und der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
Hiergegen erhob der Antragsteller am 19. Mai 2017 Klage. Zugleich begehrt er die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes; er beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die gemäß § 75 AsylG ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2017 nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.
Gegenstand der gerichtlichen Prüfung im asylrechtlichen Aussetzungsverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist die Frage, ob zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinn liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BVR 1516/93 -juris Rn. 99).
Derartige ernstliche Zweifel bestehen im vorliegenden Fall nicht. Vielmehr erweist sich der streitgegenständliche Bescheid nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts als rechtmäßig.
Die Anträge auf Asyl, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutzes wurden von der Antragsgegnerin zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Nach § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. Nach § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG ist Ein (einfach) unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Antragsteller seine Mitwirkungspflichten nach § 25 Abs. 1 AsylG, i.e. die für den Asylantrag relevanten Gründe im Rahmen der Anhörung vorzutragen, gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich.
Den Akten sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Tunesien Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht. Des Weiteren hat er nach Aktenlage trotz ordnungsgemäßer Belehrung über seine Mitwirkungspflichten die Durchführung der Anhörung verweigert, ohne hierfür einen Entschuldigungsgrund anzugeben. Die Klage wurde innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat (§ AsylG) ebenfalls nicht begründet, so dass sich ein geänderter Sachverhalt nicht ergeben hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht daher auf die zutreffende Begründung des Bescheids Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Für das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nichts ersichtlich. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Tunesien eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben droht oder dass er dort seine Existenz nicht sichern könnte. Auch nach den neueren Erkenntnismitteln, insbesondere dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 16. Januar 2017 (Stand Dezember 2016) gilt die soziale Grundversorgung der tunesischen Bevölkerung als gut. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau, d.h. es kann in Einzelfällen, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist aber grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich.
Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet. Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Die aktuelle Regierung hat aber zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinneren eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme Weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen.
Nach Würdigung dieser Umstände ist eine Verletzung von Art. 3 EMRK oder eine extreme individuelle Gefahrenlage für den Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auch insoweit gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 9. Mai 2017 Bezug genommen.
Da sich die Abschiebungsandrohung nach alledem voraussichtlich als rechtmäßig erweist, bleibt auch der zweite Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig nicht durchgeführt werden darf, erfolglos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.