Verwaltungsrecht

Recht am eigenen Bild und Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts: Darstellung einer realen Person durch einen Schauspieler; Zulässigkeit der Darstellung des Missbrauchsgeschehens an der Odenwaldschule in einem Spielfilm

Aktenzeichen  VI ZR 441/19

Datum:
18.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:180521UVIZR441.19.0
Normen:
§ 22 S 1 KunstUrhG
§ 823 Abs 1 BGB
§ 1004 Abs 1 BGB
Art 1 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 5 Abs 1 GG
Art 5 Abs 3 GG
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

1. Die als solche erkennbare bloße Darstellung einer realen Person durch einen Schauspieler ist kein Bildnis der dargestellten Person i.S.d. § 22 Satz 1 KUG.
2. Zur Zulässigkeit der Darstellung des Missbrauchsgeschehens an der Odenwaldschule in einem Spielfilm (hier: “Die Auserwählten”).

Verfahrensgang

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 1. Oktober 2019, Az: 7 U 141/16vorgehend LG Hamburg, 3. Juni 2016, Az: 324 O 78/15, Urteil

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 1. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Unterlassung der weiteren Verbreitung von Szenen aus dem Film “Die Auserwählten” in Anspruch.
2
Der im Jahr 1969 geborene Kläger war in den Jahren 1982 bis 1985 Schüler der Odenwaldschule. Die im Jahr 1910 gegründete Odenwaldschule galt lange Zeit als Vorzeigeschule der Reformpädagogik. Langjähriger Rektor der Schule war    B.    . Der Kläger war Mitglied der “Heimfamilie” von     B.   und wurde dort über mehrere Jahre regelmäßig Opfer sexuellen Missbrauchs. Obwohl sämtliche Ermittlungsverfahren gegen B.    und weitere Lehrer wegen Verjährung eingestellt wurden, gilt der Missbrauch von mindestens 132 Schülern als erwiesen.
3
Im Jahr 1998 informierte der Kläger gemeinsam mit einem früheren Mitschüler den damaligen Schulleiter der Odenwaldschule über das Missbrauchsgeschehen. Im Jahr 1999 wandte er sich an die Frankfurter Rundschau, die die Vorwürfe öffentlich machte. Im Mai 2011 wurde der Dokumentarfilm “Und wir sind nicht die Einzigen” des Regisseurs Christoph Röhl über das Geschehen an der Odenwaldschule auf 3sat ausgestrahlt. Für den Film hatte der Kläger dem Regisseur ein ca. zweistündiges Interview vor laufender Kamera gegeben. Teile des Interviews werden in dem Film gezeigt, wobei der Kläger nicht erkennbar ist und er unter einem Pseudonym auftritt. Im September 2011 veröffentlichte der Kläger unter seinem Pseudonym das Buch “Wie laut soll ich denn noch schreien? Die Odenwaldschule und der sexuelle Missbrauch”, in dem er u.a. die sexuellen Übergriffe schildert. Im Jahr 2012 erhielt der Kläger den Geschwister-Scholl-Preis; anlässlich der Preisverleihung legte er im November 2012 sein Pseudonym ab.
4
Im Herbst 2011 trat Christoph Röhl an den Kläger heran mit der Idee eines fiktionalisierten Spielfilms über das Geschehen. Der Kläger lehnte eine fiktionalisierte Verarbeitung ab. Stattdessen plante er gemeinsam mit einem ehemaligen Mitschüler eine nicht-fiktionale Verfilmung seiner Missbrauchserfahrungen. Dieses Filmvorhaben wurde bislang nicht realisiert.
5
Im September 2014 veröffentlichte die Zeitschrift “Stern” den in Zusammenarbeit mit dem Kläger erstellten Artikel “Unser Leben als Rohstoff”, der sich kritisch mit dem von der Beklagten zu 2 im Auftrag der Beklagten zu 1 produzierten streitgegenständlichen Film “Die Auserwählten” des Regisseurs Christoph Röhl befasst. Der an Originalschauplätzen gedrehte Film thematisiert den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, er wurde am 1. Oktober 2014 um 20.15 Uhr in der ARD (5,05 Millionen Zuschauer, Marktanteil 17 %) und am 4. Oktober 2014 auf “EinsFestival” ausgestrahlt.
6
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger durch die zentrale Filmfigur “Frank Hoffmann”, als Teenager gespielt von Leon Seidel, porträtiert wird und ob dies für den Zuschauer erkennbar ist. Realen Personen nachgebildet sind die Filmfiguren des Schulleiters und eines ebenfalls im Zentrum der Vorwürfe stehenden Musiklehrers. Fiktiv ist die Filmfigur der Biologielehrerin, die Frank Hoffmann vergeblich zu helfen sucht, die Schule aber letztlich verlassen muss. Nach dem weiteren Vortrag des Klägers habe auch die Figur des Zimmergenossen von Frank Hoffmann ein reales Vorbild; zudem seien Schlüsselszenen des Films seinem autobiographischen Buch “Wie laut soll ich denn noch schreien?” nachgebildet.
7
Der Kläger begehrt Unterlassung hinsichtlich der Filmszenen, die die Filmfigur Frank Hoffmann, verkörpert durch den Schauspieler Leon Seidel, zeigen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.


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