Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Abschiebung mangels Duldung

Aktenzeichen  B 6 E 17.646

Datum:
17.8.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71 Abs. 5 S. 2
VwVfG VwVfG § 51
AufenthG AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 39 Nr. 4, § 81 Abs. 3 S. 1
VwGO VwGO § 123

 

Leitsatz

1 Nach dem Vollzug der Abschiebung hat sich ein Antrag, der Ausländerbehörde im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Antragsteller abzuschieben, erledigt, weil die Aussetzung der Abschiebung nach ihrer Durchführung objektiv unmöglich geworden ist. Für eine Entscheidung über einen erledigten Antrag fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein gemäß Art. 1 Abs. 1 iVm Anlage I Ziff. 2 EG-Visa-VO visumpflichtiger Kosovare hat keinen Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, wenn er die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 S. 1 AufenthG nicht erfüllt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 1.250 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen seine am 16.08.2017 erfolgte Abschiebung in den Kosovo.
Der Antragsteller ist kosovarischer Staatsangehöriger und verfügt über eine gültige kosovarische ID-Karte. Am 30.09.2014 reiste er auf dem Landweg über Ungarn ohne Visum und Ausweispapiere erstmals in das Bundesgebiet ein. Als Wohnsitz wurde ihm der Landkreis … zugewiesen. Am 03.12.2014 stellte er einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 18.03.2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag im Hinblick auf die Zuständigkeit Ungarns für die Durchführung des Asylverfahrens als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Dagegen erhob der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth. Mit Beschluss vom 02.04.2015 lehnte das Gericht zunächst die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab (B 3 S. 15.50069) und wies mit Urteil vom 27.05.2015 die Klage ab (B 3 K 15.50070). Da es nicht gelang, den Antragsteller, der seit 15.04.2015 unbekannten Aufenthalts war, innerhalb der entsprechenden Frist nach Ungarn zu überstellen, hob das Bundesamt am 05.10.2015 den Bescheid auf und hielt fest, dass das Asylverfahren nunmehr im nationalen Asylverfahren fortgeführt werde.
Am …. ….2016 kam in … (Kreis …) als Kind des Antragstellers und der deutschen Staatsangehörigen A.M. sein Sohn M. zur Welt. Das Kind besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Antragsteller und die Kindsmutter sind nicht miteinander verheiratet. Mit notarieller Urkunde vom …. ….2016 erkannte der Antragsteller die Vaterschaft an. Die Mutter des Kindes stimmte der Erklärung zu.
Am 07.04.2017 beantragten die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers beim Kreis …, in dessen Zuständigkeitsbereich der Antragsteller sich, ohne Erlaubnis und ohne gemeldet zu sein, tatsächlich aufhielt, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG.
Mit Bescheid vom 09.05.2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als offensichtlich unbegründet ab und drohte ihm, falls er innerhalb der gesetzten Ausreisefrist nicht freiwillig ausgereist sei, die Abschiebung in den Kosovo an.
Am 11.05.2017 erklärten der Antragsteller und die Kindsmutter gegenüber dem Jugendamt der Stadt … (Kreis …), die elterliche Sorge gemeinsam ausüben zu wollen.
Nachdem der Antragsteller am 17.05.2017 seinen Asylantrag zurückgenommen hatte, hob das Bundesamt am 26.06.2017 den Bescheid vom 09.05.2017 auf. Außerdem stellte die Behörde mit seit 15.07.2017 bestandskräftigem Bescheid vom 26.06.2017 das Asylverfahren ein, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Antragsteller, sollte er seiner Ausreisepflicht binnen einer Woche nicht nachkommen, die Abschiebung in den Kosovo an. Das Einreise-, Aufenthalts- und Titelerteilungsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG befristete die Behörde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Mit Schreiben vom 26.07.2017 leitete die Ausländerbehörde des Kreises … den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Regierung von Oberfranken-Zentrale Ausländerbehörde weiter, die seit Ende April 2017 die Sachbearbeitung vom Landratsamt …übernommen hatte. Der Antragsgegner entschied bis heute nicht über den Antrag.
Am 08.08.2017 stellte der Antragsteller einen Folgeantrag. Bereits am 09.08.2017 teilte das Bundesamt dem Antragsgegner mit, dass kein weiteres Verfahren durchgeführt werde.
Daraufhin betrieb der Antragsgegner die Rückführung des Antragstellers in den Kosovo im Rahmen der Sammelabschiebung am 16.08.2017 (Abflug Flughafen Frankfurt am Main 12.00 Uhr, Ankunft Pristina 14.05 Uhr). Der Antragsteller wurde am Morgen des 16.08.2017 in der Aufnahmeeinrichtung … festgenommen und nach Frankfurt am Main verbracht.
Mit Telefax vom 16.08.2017, das um 11.36 Uhr beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth einging, hat die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers im Wege eines Antrages gemäß § 123 VwGO beantragt,
der Ausländerbehörde … zu untersagen, den Antragsteller abzuschieben.
Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller habe seiner Prozessbevollmächtigten am 16.08.2017 telefonisch mitgeteilt, dass er heute Morgen von der Polizei zum Zweck der Abschiebung abgeholt worden sei. Seine Abschiebung sei nicht zulässig, weil er am 08.08.2017 beim Bundesamt einen Folgeantrag gestellt habe. Außerdem sei er sorgeberechtigter Vater eines deutschen Sohnes, zu dem er guten Kontakt habe.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung beruft er sich unter Verweis auf eine am 11.08.2017 dem Gericht übermittelte Schutzschrift insbesondere darauf, dem Antragsteller, der ohne das für den angestrebten längerfristigen Aufenthalt zum Zweck des Familiennachzuges zu seinem deutschen Sohn erforderliche Visum eingereist sei, sei es zuzumuten gewesen, das Visumverfahren nachzuholen.
Am 16.08.2017 wurde der Antragsteller mit dem Flugzeug, das um 12.00 Uhr abhob und um 14.05 Uhr landete, nach Pristina verbracht und den dortigen Behörden überstellt.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die per E-Mail übermittelte Behördenakte verwiesen.
II.
1. Der Antrag gemäß § 123 VwGO ist unzulässig, weil es zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
a) Aufgrund der Kürze der Zeit konnte das Gericht über den erst am 16.08.2017 um 11.36 Uhr per Telefax eingegangenen Antrag nicht mehr entscheiden, bevor der Flug um 12.00 Uhr startete und die Abschiebung kurz nach 14.05 Uhr mit der Überstellung des Antragstellers an die Behörden in Pristina endete.
b) Nach dem Vollzug der Abschiebung hat sich der Antrag erledigt, weil die Aussetzung der Abschiebung nach ihrer Durchführung objektiv unmöglich geworden ist. Für eine Entscheidung über einen erledigten Antrag fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis.
2. Abgesehen davon bestehen gegen die Abschiebung auch keine rechtlichen Bedenken. Denn dem Antragsteller stand zum Zeitpunkt seiner Abschiebung kein sicherungsfähiger Duldungsanspruch zu.
a) Die Abschiebung war nicht nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG vorübergehend ausgesetzt.
Gemäß § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG darf die Abschiebung erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden. Solange diese Mitteilung nicht ergangen ist, ist die Abschiebung unmittelbar kraft Gesetzes ausgesetzt und die zuständige Ausländerbehörde hat gemäß § 60 a Abs. 4 AufenthG eine Duldungsbescheinigung zu erteilen (Funke-Kaiser in GKAsylG, Stand Juni 2017, § 71 AsylG Rn.150).
Die Voraussetzungen für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung kraft Gesetzes lagen nicht vor. Zwar hatte der Antragsteller am 08.08.2017 einen Folgeantrag gestellt. Doch bereits tags darauf endete die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, weil das Bundesamt am 09.08.2017 ausweislich der Behördenakte mitteilte, dass kein weiteres Verfahren durchgeführt wird.
b) Ein Duldungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG.
Gemäß § 60 a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers u.a. auszusetzen, solange sie aus rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Rechtlich unmöglich ist eine Abschiebung u. adann, wenn der Antragsteller einen offenbaren Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat, den zu verfolgen ihm durch die Abschiebung erschwert oder unmöglich gemacht wird.
Ein derartiger Anspruch stand dem Antragsteller nicht zu.
Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AsylG darf einem Ausländer, der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, vor der Ausreise nur ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 22-26 AufenthG erteilt werden. Satz 1 findet im Fall eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung (§ 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).
Ein Erteilungsanspruch liegt nur bei einem strikten Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vor, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergib und bei dem alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (BVerwG, B. v. 16.02.2012 – 1 B 22/11 – juris Rn.4).
Zu Lasten des Antragstellers greift die Sperre für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ein. Er hat keinen Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, weil er die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Er war als Kosovare gemäß Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Anlage I Ziff. 2 EG-Visa-VO visumpflichtig. Der Tatbestand des § 39 Nr. 4 AufenthV ist nicht erfüllt, weil der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Aufenthaltsgestattung mehr besitzt. Denn die Aufenthaltsgestattung ist gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG mit Zustellung der Einstellungsentscheidung des Bundesamtes am 30.06.2017 erloschen. Ob der Antragsgegner gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege von der Nachholung eines Visumverfahrens absehen konnte, ist nicht zu prüfen, weil dann kein strikter, sich bereits aus dem Gesetz ergebender Rechtsanspruch vorliegt.
Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, für die die Titelerteilungssperre nicht eingreift, scheitert an der Regelerteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, weil der Antragsteller nicht nachgewiesen hat, wie er seinen Lebensunterhalt sichern will. Für die Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis muss der Lebensunterhalt jedoch, anders als gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, nachweislich gesichert sein.
c) Schließlich stand der Abschiebung auch nicht die Duldungsfiktion gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen.
Gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, einen Aufenthaltstitel beantragt.
Ein Asylbewerber, dem gemäß § 55 Abs. Satz 1 AsylG eine Aufenthaltsgestattung zu erteilen ist, hält sich zwar rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dennoch erwirbt (auch) ein Asylbewerber, der den Aufenthaltstitel nach der Asylantragstellung beantragt, kein vorläufiges Bleiberecht gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG. Es wäre widersprüchlich, einen Ausländer, der zuerst Asyl und dann einen Aufenthaltstitel beantragt, günstiger zu behandeln als einen Ausländer, der umgekehrt zunächst einen Aufenthaltstitel beantragt und anschließend einen Asylantrag stellt. Denn in dieser zweiten Konstellation erlischt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 AsylG die Duldungsfiktion gemäß § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 81 AufenthG Rn. 32).
Der Antragsteller war bei Antragstellung am 07.04.2017 Asylbewerber, so dass deshalb die Duldungsfiktion nicht entstehen konnte. Die Duldungsfiktion entstand jedoch auch nach Einstellung des Asylverfahrens am 26.06.2017 nicht, als er vollziehbar ausreisepflichtig geworden war. Denn ab dann war sein Aufenthalt nicht mehr rechtmäßig, wie es
§ 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausdrücklich verlangt (BayVGH, B. v. 28.01.2016 – 10 CE 15.2653 – juris Rn. 25).
Darüber hinaus hätte § 81 AufenthG, auch wenn die Duldungsfiktion entstanden wäre, die Abschiebung nicht gehindert. Denn § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylG schreibt vor, dass außer im Falle eines Verlängerungsantrages § 81 AufenthG der Abschiebung nicht entgegensteht.
3. Als unterliegender Teil trägt der Antragsteller die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert bestimmt sich nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr.1 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.3 und 1.5 Streitwertkatalog).


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