Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Androhung der Abschiebung in den Irak

Aktenzeichen  AN 2 K 17.30376, AN 2 K 17.32669

Datum:
26.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9613
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 34 Abs. 1
AufenthG § 59

 

Leitsatz

1. Für irakische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischer Religionszugehörigkeit bestehen innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten innerhalb der Region Kurdistan-Iraks. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung begründet für Mitglieder dieser Gruppe aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3 a AsylG im Irak. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klagen sind zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes sind rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO). Weder besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG und Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch die getroffenen Nebenentscheidungen begegnen keinen Bedenken.
Das Gericht nimmt zur Begründung des Urteils gemäß § 77 Abs. 2 AsylG Bezug auf die ausführlichen und zutreffenden Begründungen der streitgegenständlichen Bescheide des Bundesamtes und führt ergänzend aus:
Das Bundesamt hat zu Recht festgestellt, dass die Kläger keine Flüchtlinge im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG sind. Gemäß § 3 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Im Rahmen des Asylverfahrens gehört es gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO i.V.m. § 25 Abs. 1 AsylG zu den Obliegenheiten des Klägers, seine Gründe darzulegen und unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72.89 – juris Rn. 15).
Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) ist nicht davon auszugehen, dass den Klägern im Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG droht.
Die Kläger trugen vor dem Bundesamt im Wesentlichen vor, sie hätten bis zum 20. September 2016 in dem Dorf … in der Provinz … gelebt. Sie hätten den Irak verlassen, da die Eltern der Klägerin zu 2) nicht mit ihrer Ehe einverstanden gewesen seien. Sie sei einem anderen versprochen gewesen und habe gesagt, dass ihr Vater und ihr Onkel sie schlagen würden. Sie habe auch mit Selbstmord gedroht. Die Kläger seien deswegen nach … geflohen. Dort habe auch ein Bruder des Klägers zu 1), der bei den Peshmerga sei, gelebt. Etwa sechs Monate später habe der Bruder dem Kläger zu 1) gesagt, dass er den Bruder der Klägerin zu 2) in … gesehen habe. Auf Rat seines Großonkels, des Scheichs, habe sich der Kläger zu 1) dann nur noch zu Hause aufgehalten und das Haus nur noch nachts verlassen, um einkaufen zu gehen. Ansonsten habe der Bruder die Kläger mit Lebensmitteln versorgt. Am 6. September 2014 habe der Bruder dem Kläger zu 1) dann gesagt, dass der IS … einnehmen werde und sie fliehen sollten. Sie seien dann auf den Rat des Vaters des Klägers zu 1) hin nach … geflohen und hätten dort im Haus des Stammesführers der …, … … …, gelebt. Der Vater des Klägers zu 1) habe gedacht, dass es dort sicherer sei, als andernorts allein zu leben. Der Kläger zu 1) habe auch angefangen, dort zu arbeiten. Am 15. oder 16. September 2016 habe der … … … den Vater des Klägers zu 1) angerufen und diesem gesagt, dass in … nach ihm gefragt worden sei. Der Kläger zu 1) müsse fliehen und den Irak verlassen. Die Eltern des Klägers zu 1) seien auch bedroht worden. Es habe eine Schlägerei gegeben, die Familien sprächen nicht mehr miteinander und es sei den Eltern des Klägers zu 1) auch mit dem Tod und dem Tod seiner Frau gedroht worden. Die Klägerin zu 2) bestätigte die Angaben des Klägers zu 1) im Wesentlichen. Ergänzend führte sie aus, ihr Bruder und ihr Onkel hätten ihr auch gedroht, sie umzubringen, falls sie ihren Cousin nicht heirate. Zum damaligen Zeitpunkt habe sie noch bei ihren Eltern gelebt. Ihr Bruder habe sie auch geschlagen. Ihre Familie habe gewollt, dass sie ihren Cousin heirate, da dieser sehr reich sei.
In Rahmen des Klageverfahrens trugen die Kläger über ihre Bevollmächtigten im Wesentlichen vor, dass durch die irakischen Sicherheitsbehörden kein effizienter Schutz gegen die Familie der Klägerin zu 2) zu erlangen sei.
In der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2020 erschienen die Kläger nicht persönlich, sodass kein weiterer Vortrag zum Verfolgungsschicksal erfolgen konnte.
Dieser Vortrag kann nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Aus den dargestellten Handlungen der Familie ergibt sich schon kein relevantes Anknüpfungsmerkmal im Sinne eines Verfolgungsgrundes nach §§ 3 Abs. 1, 3 b AsylG, da es sich hier um einen Streit aus dem privaten Umfeld handelte, der nicht an flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfte. Die Bedrohung habe nach den Angaben der Kläger darauf beruht, dass die Kläger zu 1) und 2) entgegen dem Wunsch der Eltern der Klägerin zu 2) geheiratet hätten.
Zudem ist der in § 3a Abs. 3 AsylG geforderte Kausalzusammenhang zwischen der Verfolgung durch die Familie und der Ausreise äußerst zweifelhaft. Die Ausführungen der Kläger beschränken sich im Hinblick auf eine unmittelbar vor ihrer Ausreise in der Provinz Dohuk noch bestehende Bedrohungslage darauf, dass einmal im September 2016 nach ihnen gefragt worden sei. Von wem gefragt worden sei, wüssten die Kläger nicht. Auch wurden sie nicht persönlich angetroffen, sondern der Stammesführer habe hiervon berichtet. Die Kläger waren 2014 wieder in den Großraum … und in unmittelbare Nähe der Familie der Klägerin zu 2) zurückgezogen. Konkret ihnen persönlich gegenüber geäußerte Bedrohungen oder körperliche Übergriffe gab es in den zwei Jahren bis zur Ausreise jedoch nicht. Zweifeln begegnet auch das weitere Vorbringen des Klägers zu 1), sie seien in Kenntnis der angeblichen Bedrohungslage durch die Familie der Klägerin zu 2) wieder in die Nähe ihres ehemaligen Heimatdorfs gezogen. Hätte tatsächlich eine Verfolgung durch die Eltern der Klägerin zu 2) gedroht, so wäre ein Umzug in deren unmittelbare Nähe nicht nachvollziehbar.
Zudem sind die Kläger – würde man eine Bedrohung als gegeben erachten – auf innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten innerhalb der Region Kurdistan-Iraks zu verweisen, § 3 e AsylG. Die Kläger sind Kurden und können sich innerhalb Kurdistan-Iraks frei bewegen. Durch einen Umzug in eine andere Großstadt, beispielsweise Erbil oder Sulamaniya, könnten sie sich etwaigen Bedrohungen in … entziehen. Die Großstädte bieten den Klägern einen ausreichenden Abstand zu deren Herkunftsstadt und eine genügende Anonymität. Die Kläger können diese Städte auch sicher und legal erreichen, vgl. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Auch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Kurdistan-Irak in einer hunderte Kilometer weit entfernten Großstadt von der Familie der Klägerin zu 2) aufgespürt werden würden, wenn dies der Familie schon im Nachbarort zwei Jahre lang nicht möglich gewesen sei.
Auch eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über die Grundsätze der Gruppenverfolgung ist hier nicht möglich. Die Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung begründet aktuell nicht die Gefahr von Verfolgung bzw. Übergriffen im Sinne von § 3 a AsylG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 21.4.2009, 10 C 11/08 – juris) liegt eine asyl-rechtlich erhebliche Verfolgungsgefahr für Mitglieder einer Gruppe dann vor, wenn Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern auch ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht. Dies gilt nach den vom Gericht beigezogenen Erkenntnisquellen weder für Sunniten mit einem Herkunftsgebiet in den Regionen, die von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ besetzt gewesen sind noch in den übrigen Landesteilen. Das „Kalifat“ des Islamischen Staats wurde 2017 im Irak weitestgehend besiegt. Die vom IS kontrollierten Gebiete wurden nach und nach durch irakische Sicherheitskräfte (incl. kurdischer Peschmerga) befreit. Zwar hat es die Schwäche der irakischen Sicherheitskräfte vornehmlich diversen schiitischen Milizen – wie den vom Iran unter-stützten Badr-Brigaden – erlaubt, Parallelstrukturen im Zentral-Irak und im Süden des Landes aufzubauen. Diese stehen formal unter Regierungskontrolle und erhalten staatliche Zahlungen; dennoch ist der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen nicht zuverlässig sicherzustellen. Die Milizen waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt, nachdem es eine Vielzahl an Vorwürfen von gewaltsamen Übergriffen gegen Sunniten gegeben hatte. Dabei handelte es sich jedoch um einzelne Übergriffe, die kein solches Ausmaß erreichen, dass ohne Weiteres von einer aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit auszugehen ist. Außerhalb der vom „Islamischen Staat“ ehemals besetzten Gebiete sind Sunniten auch nicht einem pauschalen Verdacht der Kollaboration mit diesen ausgesetzt. Von einer allgemeinen Verfolgung von Sunniten in überwiegend schiitisch bewohnten Gebieten kann nicht ausgegangen werden (in diesem Sinne auch BayVGH B.v. 8.1.2018 – 20 ZB 17.30839 – juris).
Angesichts der allgemeinen Situation im Irak und in der Herkunftsregion der Klägerseite ist auch keine Situation im Sinne von § 4 AsylG, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes führen würde, anzunehmen. Ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt liegt in der Heimatregion der Klägerseite nach Auswertung der zum Verfahren beigezogenen Erkenntnisquellen nicht vor. Einzelne terroristische Anschläge und Gewaltakte, zu denen es im gesamten Irak gekommen ist und weiter kommen kann, genügen hierfür nicht. Nach den dargelegten Erkenntnissen besteht ohne weiteres die Möglichkeit einer Rückkehr in die Heimatregion der Kläger ohne größere Probleme.
Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Klägerseite ihren Lebensunterhalt in der Heimat nicht auf Dauer bestreiten könnte.
Die Abschiebungsandrohungen der Bescheide beruhen auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und sind rechtmäßig, da die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
Die im Rahmen der nach § 11 Abs. 3 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidungen über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG sind nicht zu beanstanden, § 114 Abs. 1 VwGO.
Die Kostenentscheidung der damit abzuweisenden Klagen resultiert aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylG nicht erhoben.


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