Verwaltungsrecht

Rechtsanwaltsverschulden bei Fristversäumnis; Ausgangskontrolle für fristgebundene Schriftsätze

Aktenzeichen  3 L 66/21

Datum:
25.7.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0725.3L66.21.00
Normen:
§ 125 Abs 2 VwGO
§ 124a Abs 6 VwGO
§ 60 VwGO
§ 85 Abs 2 ZPO
§ 78 Abs 5 S 3 AsylVfG 1992
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt hat sich durch Organisation einer wirksamen Ausgangskontrolle darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde.(Rn.24)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 30. Oktober 2020, 6 A 4/20 HAL, Urteil

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 6. Kammer – vom 30. Oktober 2020 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zur Hälfte; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Kläger, syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbotes.
Die Kläger reisten nach eigenen Angaben gemeinsam mit ihren Eltern am 29. Januar 2017 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier am 3. Februar 2017 Asylanträge. In ihrer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 3. Februar 2017 gaben die Eltern der zum damaligen Zeitpunkt noch nicht volljährigen Kläger an, Schleuser hätten sie nach Rumänien gebracht, obwohl sie nach Deutschland gewollt hätten. In Rumänien habe man sie festgenommen und ihnen Fingerabdrücke abgenommen. Nach drei Monaten Aufenthalt hätten sie Rumänien Richtung Deutschland verlassen.
Mit Bescheid vom 6. Februar 2017 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger und deren Eltern unter Bezugnahme auf Erkenntnisse, nach denen den Klägern und deren Eltern in Rumänien am 15. Dezember 2016 Schutz gewährt worden sei, als unzulässig ab. Außerdem wurde festgestellt, dass hinsichtlich Rumäniens keine Abschiebungsverbote vorlägen. Den Klägern und deren Eltern wurde die Abschiebung nach Rumänien angedroht, falls sie die Bundesrepublik Deutschland nicht binnen einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides verlassen. Eine Abschiebung nach Syrien wurde ausgeschlossen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 20 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Mit Beschluss vom 14. Februar 2017 (Az. 1 B 51/17 MD) lehnte das Verwaltungsgericht Magdeburg einen Antrag der Kläger auf vorläufigen Rechtsschutz ab. Diesen Beschluss hob das Verwaltungsgericht Magdeburg mit Beschluss vom 12. Dezember 2017 (Az. 1 B 679/17 MD) auf und ordnete die aufschiebende Wirkung der von den Klägern und deren Eltern erhobenen Klage (Az. 1 A 52/17 MD) gegen die im Bescheid des Bundesamtes vom 6. Februar 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung an.
Mit Bescheid vom 23. August 2018 lehnte das Bundesamt die Asylanträge der Kläger und deren Eltern erneut als unzulässig ab und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen. Den Klägern und deren Eltern wurde die Abschiebung nach Rumänien angedroht, falls sie die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides, im Falle der Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens verlassen. Erneut wurde eine Abschiebung nach Syrien ausgeschlossen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 20 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Hiergegen haben die Kläger – neben ihren Eltern – am 20. November 2018 Klage beim Verwaltungsgericht Halle erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorgetragen haben, die Beklagte sei für die Entscheidung über ihre Asylanträge zuständig. Ferner habe eine Abschiebung im Hinblick auf den gesundheitlichen Zustand ihrer Eltern und aufgrund des Umstandes, dass sie – die Kläger – die Schule besuchten, zu unterbleiben.
Die Kläger haben (wörtlich) schriftsätzlich beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes vom 23. August 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Flüchtlinge anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihnen Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG vorliegen, sowie die Beklagte zu verpflichten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß Ziffer 4 des Bescheides auf 0 Monate zu befristen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 30. Oktober 2020 hat das Verwaltungsgericht Halle die Klage ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage sei nicht statthaft. Lehne das Bundesamt, wie hier, einen Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ab, sei allein die Anfechtungsklage statthaft. Die statthaft auf die Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Rumäniens gerichtete Verpflichtungsklage bleibe ohne Erfolg, da für die Kläger kein Abschiebungsverbot bestehe.
Auf Antrag der Kläger hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen eines Verfahrensfehlers zugelassen. Den Antrag der Eltern der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. Oktober 2020 hat der Senat hingegen mit Beschluss vom 9. Mai 2022 verworfen.
Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2022 übersandte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem Senat „lediglich zur Kenntnis“ einen Bericht der St. J. GmbH vom 28. April 2022, aus dem sich in Bezug auf die Mutter der Kläger die Notwendigkeit einer psychotherapeutischen Versorgung ergebe. Außerdem werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass der Kläger zu 2., obwohl er aufgrund der Zulassung der Berufung nicht abgeschoben werden dürfe, am 10. Mai 2022 von der Ausländerbehörde einen Anruf erhalten habe, er solle abgeschoben werden.
Nach dem Hinweis des Berichterstatters vom 14. Juni 2022, dass die Berufung der Kläger infolge des Versäumnisses der Berufungsbegründungsfrist unzulässig sein dürfe, haben die Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2022 Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungfrist beantragt und zur Begründung ihrer Berufung ausgeführt. Zum Wiedereinsetzungsantrag trägt der Prozessbevollmächtigte der Kläger vor, die Kläger hätten das Fristversäumnis nicht selbst verschuldet. Er habe die Berufungsbegründung gefertigt, d. h. bereits am 13. Mai 2022 gemeinsam mit einem gesonderten Schreiben an die Beklagte diktiert, und sei davon ausgegangen, dass diese auch ordnungsgemäß bis zum Fristende versandt worden sei. Nach Kenntnisnahme des richterlichen Hinweises sei indes festgestellt worden, dass die Berufungsbegründung nicht an das Gericht übersandt worden sei. Die in seinem analog geführten Fristenbuch für den 10. Juni 2022 notierte Frist zur Berufungsbegründung sei indes gestrichen worden. Welcher Mitarbeiter seines Büros die Frist gestrichen habe, habe auch am 14. Juni 2022 nach sofortiger Recherche und Rekonstruktion der Vorgänge vom 10. Juni 2022 bzw. davor nicht mehr aufgeklärt werden können. Fristsachen würden ihm rechtzeitig vor Fristende zur Bearbeitung vorgelegt. Nach Schriftsatzfertigung und durch Mitarbeiter oder ihn selbst durchgeführten Korrekturen werde der Schriftsatz dann durch ihn per beA an das Gericht übersandt. Dabei bringe er auf dem Schriftsatz einen handschriftlichen Postausgangsvermerk „Versand per beA“ an. Zur Abarbeitung weiterer Verfügungen/Diktate (Mandantenschreiben etc.) gelange die Akte dann wieder zu einem Mitarbeiter. In diesem Zusammenhang würden in der Regel auch Fristen gestrichen. Sein Personal sei hierzu ausgebildet und führe Verfügungen stets gewissenhaft und sorgfältig aus. Am Abend eines jeden Wochentages kontrolliere er das analoge Fristenbuch nochmals auf noch nicht gestrichene Fristen. Hierbei prüfe er im Vertrauen darauf, dass gestrichene Fristen auch abgearbeitet seien, nicht nochmals die tatsächliche Versendung. Im Rahmen der Rekonstruktion könne der Vorgang lediglich so nachvollzogen werden, dass er bei Verfassen der Berufungsbegründungsfrist wohl ebenfalls verfügt habe, dass eine möglicherweise notierte Frist bezüglich der Verteidigung der insoweit ebenfalls betroffenen Eltern der Kläger gegen den Beschluss (Anmerkung des Senates: gemeint ist wohl der Beschluss vom 9. Mai 2022, mit dem der Senat nur die Berufung der Kläger, nicht aber deren Eltern zugelassen hat) nicht in Betracht komme und insoweit Fristen zu streichen wären. Hierbei sei vermutlich die Berufungsbegründungsfrist für die Kläger gestrichen worden. Es komme auch in Betracht, dass ein Mitarbeiter beim Streichen einer abgearbeiteten anderen Frist in der Zeile „verrutscht“ sei bzw. versehentlich die falsche Frist gestrichen habe. In seinem Büro könne sich aufgrund der Vielzahl von Diktaten niemand konkret an diesen Vorgang erinnern.
Die Kläger haben schriftsätzlich keinen konkreten Antrag formuliert, in der Berufungsbegründung aber ausgeführt, ihnen sei „Asyl“ zu gewähren.
Die Beklagte hat im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
1. Die Berufung ist nach § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, über die Verwerfung durch Beschluss zu entscheiden, wozu die Beteiligten zuvor angehört worden sind (vgl. § 125 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwGO).
a) Die Kläger haben die Berufungsbegründungsfrist versäumt.
Gemäß § 78 Abs. 5 Satz 3 AsylG wird das Verfahren zwar als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne dass es der Einlegung einer Berufung bedarf, wenn das Oberverwaltungsgericht – wie hier – die Berufung zugelassen hat. Dies entbindet den Berufungskläger indes nicht davon, gemäß § 124a Abs. 6 VwGO die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen, wobei die Begründung bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen ist und nach § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 – 9 C 6.98 – juris Rn. 10 f.; OVG NRW, Beschluss vom 28. April 2017 – 11 A 60/17.A – juris Rn. 3 ff.). Auf diese Erfordernisse sind die Kläger in der Rechtsmittelbelehrung des Senatsbeschlusses vom 9. Mai 2022 auch hingewiesen worden. Der Zulassungsbeschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 10. Mai 2022 zugestellt worden. Die Berufungsbegründungsfrist endete somit mit Ablauf des 10. Juni 2022 (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB). Bis zu diesem Zeitpunkt ist keine den beschriebenen Anforderungen entsprechende Berufungsbegründung der Kläger beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Während der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist wurde auch kein Antrag auf Fristverlängerung nach § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO gestellt. Der dem Senat vom Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schriftsatz vom 12. Mai 2022 „lediglich zur Kenntnis und zum Verbleib“ übersandte psychologische Bericht vom 28. April 2022 betraf allein die Mutter der Kläger, deren Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil, gegen das sich auch die Kläger wenden, der Senat mit Beschluss vom 10. Mai 2022 abgelehnt hat. Der im Schriftsatz vom 12. Mai 2022 ebenfalls enthaltene „vorsorgliche“ Hinweis, der Kläger zu 2. dürfe aufgrund der Berufungszulassung nicht abgeschoben werden, gleichwohl sei er von der Ausländerbehörde telefonisch darüber in Kenntnis gesetzt, er solle abgeschoben werden, stellt keine den Anforderungen des § 124a Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 3 Satz 4 VwGO genügende Berufungsbegründung, weder in Bezug auf die Klägerin zu 1. noch auf den Kläger zu 2., dar. Die Unzulässigkeit der Berufung in diesem Fall ergibt sich aus § 124a Abs. 3 Satz 5 VwGO).
b) Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung gemäß § 60 Abs. 1 VwGO in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 60 Abs. 1 VwGO auf Antrag nur zu gewähren, wenn der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung ist der Antrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 60 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 VwGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Zwar haben die Kläger mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Juni 2022 neben der Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Berufung begründet. Ausgehend vom Vortrag ihres Prozessbevollmächtigten, er habe erst auf den Hinweis des Berichterstatters am 14. Juni 2022 hin festgestellt, dass dem Senat keine Berufungsbegründung übersandt worden ist, haben die Kläger fristgerecht den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Jedoch haben die Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden daran gehindert waren, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten.
Ein Verschulden im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2021 – 2 B 59.20 – juris Rn. 3 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines bevollmächtigten Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden des am Prozess Beteiligten gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen (zur Verfassungskonformität der vorstehenden Regelungen siehe BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81 – juris Rn. 48 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 6 ff.). Dagegen ist das Verschulden einer Hilfsperson des Prozessbevollmächtigten, insbesondere von Büropersonal eines Rechtsanwalts, dem Beteiligten nicht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Mai 1991 – 3 C 68.89 – juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings können Fehler von Hilfspersonen auf Umständen beruhen, die der Verantwortungssphäre des Prozessbevollmächtigten zuzurechnen sind, so dass diesen ggf. unter dem Gesichtspunkt des sog. „Organisationsverschuldens“ ein eigenes Verschulden bezüglich eines Fristversäumnisses treffen kann (vgl. Beschluss des Senates vom 22. Juli 2019 – 3 L 51/19 – juris Rn. 9 m.w.N.). Von einem solchen, den Klägern zurechenbaren Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten ist vorliegend auszugehen.
Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierbei hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- sowie Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen. Hierzu gehört unter anderem eine Organisation des Kanzleibetriebes, die vorsieht, dass die Erledigung von fristgebundenen Schriftsätzen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird. Eine wirksame Ausgangskontrolle hat sich dabei auch darüber Gewissheit zu verschaffen, dass die fristwahrende Handlung in einer im Fristenkalender als erledigt vermerkten Sache auch tatsächlich vorgenommen wurde. Deshalb ist organisatorisch sicherzustellen, dass ggf. anhand der Akten geprüft wird, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze auch abgesandt worden sind (st. Rspr. des BGH, vgl. nur Beschluss vom 26. Mai 2021 – VIII ZB 55/19 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Das Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Kläger zugrunde gelegt, fehlte es an einer den vorgenannten Anforderungen genügenden Ausgangskontrolle. Der Prozessbevollmächtigte hat angegeben, das analoge Fristenbuch am Abend eines jeden Wochentages selbst nur dahingehend kontrolliert zu haben, ob noch Fristen offen, d. h. noch nicht gestrichen waren. Dass in den Sachen, in denen eine im Fristenkalender notierte Frist gestrichen war, auch tatsächlich ein fristgebundener Schriftsatz versandt worden ist, hat der Prozessbevollmächtigte nach eigenem Bekunden gerade nicht geprüft. Es ist auch nicht vorgetragen, dass er eine/n Angestellten seines Büros mit einer solchen Kontrolle beauftragt hat. Dadurch war nicht hinreichend sicherstellt, dass in den rechtlichen Angelegenheiten, für die eine im Fristenkalender notierte Frist gestrichen wurde, auch tatsächlich ein Schriftsatz binnen der notierten Frist an das betreffende Gericht versandt worden ist.
Die unzureichende Organisation im Zusammenhang mit der Kontrolle der fristgemäßen Versendung von Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsschriftsätzen war auch kausal für das Fristsäumnis. Bei einer wirksamen Ausgangskontrolle wäre rechtzeitig aufgefallen, dass die für den Eingang der Berufungsbegründungsfrist im Verfahren der Kläger notierte Frist gestrichen worden ist, obwohl die Berufungsbegründung tatsächlich noch nicht versandt worden ist. Dies gilt im vorliegenden Fall erst recht, weil der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung bereits am 13. Mai 2022 und damit weit vor dem Fristablauf am 10. Juni 2022 erstellt haben will. Es wäre also noch hinreichend Zeit gewesen, um den betreffenden Schriftsatz fristgemäß zu übersenden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO (i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 4 VwGO) genannten Zulassungsgründe vorliegt.


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