Aktenzeichen Au 6 S 16.30700
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz
1 Nach Einstellung des Verfahrens durch das Bundesamt und Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Eilantrag trotz der Möglichkeit, das Bundesamt mit einem Antrag nach § 33 Abs. 5 S. 2 AsylG zur Wiederaufnahme des Verfahrens zu verpflichten. Denn die Möglichkeit der Wiederaufnahme ist nur einmal eingeräumt, so dass ein berechtigtes Interesse besteht, die Rechtmäßigkeit der Einstellung gerichtlich zu überprüfen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Einstellung wegen Nichtbetreibens des Verfahrens kommt nur in Betracht, wenn über diese Rücknahmefiktion belehrt wurde, wozu der Hinweis nicht ausreicht, dass das Bundesamt bei Nichterscheinen zur Anhörung auch ohne Anhörung entscheiden kann. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. April 2016 wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist afghanische Staatsangehörige, reiste im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag.
Mit Schreiben vom 7. April 2016 lud das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Antragstellern zur persönlichen Anhörung am 13; April 2016. Zu diesem Termin erschien die „Antragstellerin nicht.“
Mit Bescheid vom 28. April 2016 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Verfahren eingestellt ist (Ziffer 1) und Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 2). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, anderenfalls würde sie nach Afghanistan abgeschoben (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Die Antragstellerin sei zum Termin zur persönlichen Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, da die Antragstellerin das Verfahren nicht betreibe. Es sei folglich festzustellen, dass das Verfahren eingestellt sei.
Dagegen ließ die Antragstellerin Klage erheben und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. April 2016 anzuordnen.
Die Antragstellerin habe die Ladung zur Anhörung nicht erhalten. Das Rechtschutzinteresse fehle nicht. § 33 Abs. 5 AsylG sei auf rechtmäßige Bescheide anwendbar. Der Begriff Wiederaufnahme gehe begriffsnotwendig von einem vorher beendeten Verfahren aus. Ein nicht beendetes Verfahren könne nur fortgeführt werden. Die Wiederaufnahme sei nicht gleichwertig, weil sie zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung führe, wenn bereits einmal, ein Wiederaufnahmeantrag gestellt worden sei.
Die Antragsgegnerin teilte mit, dass die Ladung am 7. April 2016 per Einschreiben zur Post gegeben worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Dem statthaften Antrag fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
Die Antragstellerin hat keine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung ihres Rechtsschutzes. Insbesondere stellt der Antrag auf Wiederaufnahme – -des Verfahrens beim Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG in der seit dem 17.März 2016 geltenden Fassung keine solche Möglichkeit dar (a.A. VG Ansbach, B.v. 29.04.2016 – AN 4 S 1630410 – juris, Rn. 13 ff.; VG Regensburg, B.v. 18.04.2016-RO 9 S 16.30620-juris, Rn. 11 ff).
Vorrangiges Rechtsschutzziel des Eilverfahrens ist es, die Antragstellerin vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen aufgrund der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung zu schützen. Dieses Ziel kann sie zwar voraussichtlich auch mit dem genannten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen. Diese Vorgehensweise ist indes im Vergleich zu dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit verfahrensmäßigen Nachteilen verbunden, die es insbesondere im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG verbieten, das Vorliegen des Rechtsschutzbedürfnisses zu verneinen
a) Die Antragstellerin könnte mit einem entsprechenden Antrag beim Bundesamt die Wiederaufnahme ihres Asylverfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG erreichen. Diese Möglichkeit räumt die Neufassung des § 33 AsylG ausdrücklich ein. Das Gesetz benennt in § 33 Abs. 5 Satz 6 abschließend die Gründe, in denen das Verfahren auf entsprechenden Antrag nicht wieder, aufzunehmen ist. Dies ist nach der Vorschrift nur dann der Fall’, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits ein Mal nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden war. Aus dem Normkontext sowie der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/7538, S. 17) ergibt sich, dass das Bundesamt verpflichtet ist, das Verfahren wiederaufzunehmen, wenn kein Fall des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob die zur Verfahrenseinteilung führende Versäumung des Anhörungstermins auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Ausländer keinen Einfluss hatte.
Da die Einstellung des Asylverfahrens der Antragstellerin vorliegend noch nicht neun Monate zurückliegt und das Asylverfahren auch in der Vergangenheit nicht bereits nach § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG wieder aufgenommen worden war, müsste das Bundesamt auf einen entsprechenden Antrag die Prüfung des Asylbegehrens in dem Verfahrensabschnitt wieder aufnehmen, in dem sie eingestellt wurde.
b) Es bringt für die Antragstellerin aber erhebliche verfahrensmäßige Nachteile mit sich, wenn dieser das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Antrag versagt und sie stattdessen auf die Möglichkeit eines Antrags nach § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG verwiesen wird.
Wie bereits dargelegt, besteht die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach Einstellung desselben wegen Nichtbetreibens nämlich nur ein Mal. Es soll ausweislich der Gesetzesbegründung die Möglichkeit der Heilung eines einmaligen Fehlverhaltens eingeräumt werden. Wenn die erstmalige Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG aber zu Unrecht erfolgt – weil die Voraussetzungen gar nicht vorlagen – und der Asylbewerber oder die Asylbewerberin diese Entscheidung im Eilverfahren gerichtlich nicht angreifen können, sondern gezwungen sind, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen, so gehen sie dieser Möglichkeit der Heilung für die Zukunft verlustig. Wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens notwendigerweise mit der vollständigen Aufhebung des zunächst ergangenen Einstellungsbescheides verbunden ist, bleibt auch für eine Anfechtungsklage gegen diesen in der Hauptsache kein Raum mehr. Eine gerichtliche Überprüfung, ob die (erste) Einstellung rechtmäßig ergangen ist, fände dann überhaupt nicht statt. Verhält sich die Asylbewerberin oder der Asylbewerber im weiteren Verlauf seines bzw. ihres Asylverfahrens (nochmals) in einer Weise, die die Einstellung des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtfertigt, so wäre das Bundesamt nach dem Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG wohl bei einem erneuten Antrag auf Wiederaufnahme berechtigt, diesen abzulehnen – und zwar unabhängig von der Rechtmäßigkeit der beiden Einstellungsentscheidungen. Eine gegen den erneuten Einstellungsbeschluss gerichtete Klage bzw. ein Antrag auf Eilrechtsschutz wäre aber ebenso ohne Aussicht auf Erfolg, wenn die zweite Einstellungsentscheidung rechtmäßig ist.
Dem Asylbewerber bzw. der Asylbewerberin würde auf diese Weise mithin die – vom Gesetz ausdrücklich eingeräumte – Möglichkeit genommen, eine auf ein einmaliges Fehlverhalten hin ergangene rechtmäßige Einstellungsentscheidung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG aus der Welt zu schaffen, weil er gezwungen ist, den entsprechenden Antrag für eine ggf. rechtswidrig ergangene Einstellungsverfügung zu verbrauchen. Dies begegnet auch unter Gleichheitsaspekten erheblichen Bedenken (VG Köln, B.v. 19.5.2016 – 3 L 1060/16.A-juris).
2. Der Antrag ist auch begründet.
Das Interesse der Antragstellerin, vorläufig von den Wirkungen des kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheids verschont zu bleiben, überwiegt das entgegenstehende öffentliche Interesse, weil bei der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage Überwiegendes dafür spricht, dass der angegriffene Bescheid rechtswidrig ist und deshalb im Klageverfahren keinen Bestand haben wird.
Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer oder die Ausländerin das Verfahren nicht betreibt. Das Nichtbetreiben wird gem. § 33 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 AsylG gesetzlich vermutet, wenn die Ausländerin bzw. der Ausländer einer Aufforderung zur Anhörung nach § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Diese Vermutung gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn unverzüglich nachgewiesen wird, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Asylbewerber oder die Asylbewerberin keinen Einfluss hatte. Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG sind die Betroffenen auf die nach diese Rechtsfolge schriftlich und gegen Empfangsbekenntnis hinzuweisen.
Vorliegend dürfte zwar der Tatbestand einer gesetzlichen Regelvermutung für das Nichtbetreiben erfüllt sein, weil die Antragstellerin der Ladung zur persönlichen Anhörung nicht Folge geleistet hat. Es erscheint aber höchst zweifelhaft, ob dies auf eigenes Verschulden zurückzuführen ist. Nach Angaben der Antragstellern hat sie nämlich die Ladung nicht erhalten. Zwar hat die Antragstellern mitgeteilt, dass die Ladung per Einschreiben zur Post gegeben worden sei, einen Nachweis dafür hat sie jedoch nicht vorgelegt. Auch aus den Akten ergibt sich nicht, dass die Ladung mit Einschreiben zur Post gegeben worden ist. Es ergibt sich aus den Akten nicht einmal, dass das Schreiben überhaupt ausgelaufen ist.
Es fehlt des Weiteren an der Belehrung der Antragstellerin über die mögliche Rechtsfolge der Verfahrenseinstellung bei Nichtbetreiben des Verfahrens schriftlich und gegen Empfangsbestätigung (§ 33 Abs. 4-AsylG). Die Antragstellern war nicht über die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bei Nichtbetreiben belehrt worden. Das Bundesamt hat darin lediglich auf nachteilige Folgen hingewiesen, so dass eine Entscheidung ohne persönliche Anhörung möglich sei. Dies ist keine ausreichende Belehrung im Sinne des § 33 Abs. 4 AsylG, der ausdrücklich eine Belehrung über die eintretenden Rechtsfolgen, mithin die Rücknahmefiktion, verlangt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar § 80 AsylG).
Die Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift wird amtlich beglaubigt. Augsburg, 28. Juni 2016