Verwaltungsrecht

Rechtsweg für Klagen auf Entschädigung oder Schadensersatz wegen flächendeckender Betriebsschließungen und -einschränkungen während der Corona-Pandemie

Aktenzeichen  3 O 209/21

Datum:
10.5.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGST:2022:0510.3O209.21.00
Normen:
§ 40 VwGO
§ 17 Abs 2 GVG
§ 17a Abs 2 GVG
§ 56 IfSG
§ 68 IfSG
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Spruchkörper:
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Leitsatz

Für eine Klage auf Zahlung eines Ausgleichs für wirtschaftliche Einbußen aufgrund flächendeckender Betriebsschließungen und -einschränkungen während der Corona-Pandemie ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht eröffnet.(Rn.2)

Verfahrensgang

vorgehend VG Halle (Saale), 12. November 2021, 1 A 230/21 HAL, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle – 1. Kammer – vom 12. November 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Die gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG und § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtswegbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle – 1. Kammer – vom 12. November 2021 ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss den Verwaltungsrechtsweg für den Rechtsstreit, in dem die Klägerin den Beklagten auf finanziellen Ausgleich der ihr durch die Schließung von Betriebsstätten im Verlauf der COVID-19-Pandemie während des sog. „ersten Lockdowns“ entstandenen Schäden in Anspruch nimmt, zutreffend als nicht eröffnet angesehen und den Rechtsstreit gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG an das sachlich und örtlich zuständige Landgericht Magdeburg verwiesen.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn der Kläger aus dem vorgetragenen Sachverhalt Rechtsfolgen aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts herleitet. Öffentlich-rechtliche Normen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur auf Rechtsbeziehungen zwischen Privaten und öffentlich-rechtlich organisierten Trägern, insbesondere Trägern der Staatsverwaltung, Anwendung finden können. Sie müssen ausschließlich einen derartigen Träger berechtigen oder verpflichten (st.Rspr., siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 4. März 2015 – 6 B 58.14 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Kann das Klagebegehren auf mehrere materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden, für die jeweils verschiedene Rechtswege eröffnet sind, prüft das (zuerst) angerufene Gericht den prozessual verfolgten Anspruch nach allen in Betracht kommenden rechtlichen Maßstäben, sofern seine Rechtswegzuständigkeit für zumindest eine Anspruchsgrundlage gegeben ist. Dies folgt aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten entscheidet. Ob für das Klagebegehren eine Anspruchsgrundlage in Betracht kommt, für deren Prüfung der beschrittene Rechtsweg gegeben ist, ist auf der Grundlage des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 – 5 B 144.91 – juris Rn. 3). Dabei hat es für die Entscheidung des Gerichts zur Eröffnung des beschrittenen Rechtswegs keine Bedeutung, welcher Klagegrund vom Kläger in den Vordergrund gestellt wird (vgl. Ziekow, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 32). Es genügt, wenn eine rechtswegbegründende Norm möglicherweise anwendbar ist (Ehlers, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2021, GVG, § 17 Rn. 34). Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs hängt nicht vom Ergebnis einer materiell-rechtlichen Prüfung der Begründetheit des Klagebegehrens ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. März 2015, a. a. O. Rn. 19; Beschluss vom 15. Dezember 1992, a. a. O. Rn. 4). Mithin ist der beschrittene Rechtsweg schon dann zulässig, wenn sich nicht offensichtlich, d.h. nach jeder rechtlichen Betrachtungsweise, ausschließen lässt, dass das Klagebegehren auf eine Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, für die dieser Rechtsweg eröffnet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. März 2015, a. a. O. Rn. 11).
In Anwendung dieser rechtlichen Grundsätze, von denen auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, sind die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs im Hinblick auf das Klagebegehren der Klägerin nicht gegeben. Der von der Klägerin geltend gemachte Entschädigungsanspruch lässt sich offensichtlich auf keine dem Verwaltungsrechtsweg zuzuordnende rechtliche Grundlage stützen.
Eine Entschädigungspflicht des Beklagten ergibt sich nicht unmittelbar aus den §§ 56 bis 58 oder 65 IfSG, über die im Streitfall gemäß § 68 Abs. 1 IfSG in der Fassung des Gesetzes vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370) die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlagen sind in Fällen, in denen ein Betriebsinhaber – wie hier die Klägerin – Ansprüche geltend macht, die auf Ausgleich wirtschaftlicher Einbußen gerichtet sind, die er nicht aufgrund an ihn als Störer gerichteter Einzelmaßnahmen, sondern infolge flächendeckender Betriebsschließungen oder -einschränkungen im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu verzeichnen hat, offensichtlich nicht gegeben (vgl. hierzu NdsOVG, Beschluss vom 3. September 2021 – 13 OB 321/21 – juris Rn. 10 ff.; im Einzelnen nunmehr BGH, Urteil vom 17. März 2022 – III ZR 79/21 – juris Rn. 18 ff.). Die Klägerin beruft sich auch nicht auf eine unmittelbare Anwendbarkeit dieser Normen. Sie macht vielmehr geltend, ihr Anspruch müsse sich aus einer analogen Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG ergeben, da die Norm ansonsten wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig wäre.
Auch ein Anspruch auf Entschädigung auf der Grundlage einer analogen Anwendung des § 56 Abs. 1 IfSG kommt indes offensichtlich nicht in Betracht. Im Hinblick auf Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche, die an flächendeckende Betriebsschließungen oder -einschränkungen zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 bzw. der dadurch hervorgerufenen COVID-19-Erkrankung anknüpfen, fehlt es ersichtlich an einer planwidrigen Regelungslücke. Wegen der Einzelheiten hierzu verweist der Senat auf die detaillierten Ausführungen des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 3. September 2021 – 13 OB 321/21 -, a. a. O. Rn. 15 ff.), des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 6. Mai 2021 – OVG 1 L 16/21 – juris Rn. 5 ff.) sowie des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 2. November 2021 – 1 S 2802/21 – juris Rn. 10 ff.), denen der Senat nach eigener Prüfung folgt (s. im Übrigen auch BGH, Urteil vom 17. März 2022, a. a. O. Rn. 37 ff.). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang ausführt, § 56 IfSG wäre als verfassungswidrig anzusehen, wenn man die Norm im Hinblick auf den geltend gemachten Entschädigungs- bzw. Schadensersatzanspruch nicht für analog anwendbar hielte, betrifft dieser Einwand allein die Rechtmäßigkeit der staatlichen Schutzmaßnahmen, die auf der Grundlage der §§ 28 ff. IfSG zur Eindämmung der weiteren Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 ergriffen worden sind und unter anderem zu den Betriebsschließungen oder -einschränkungen geführt haben, von denen auch die Klägerin betroffen war (vgl. zu diesem Gesichtspunkt im Rahmen der rechtlichen Überprüfung solcher Maßnahmen: Beschluss des Senates vom 5. März 2021 – 3 R 20/21 – juris Rn. 52 ff.).
Eine Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichte für im IfSG nicht vorgesehene und dementsprechend auch nicht von der Zuständigkeitsregelung in § 68 Abs. 1 IfSG erfasste Entschädigungsansprüche lässt sich mit einer – hier ausscheidenden – analogen Anwendung des § 56 IfSG auch sonst nicht begründen.
Insoweit darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es außerhalb der hier nicht einschlägigen §§ 56 bis 58 oder 65 IfSG rechtliche Anknüpfungspunkte für den von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruch gibt, für die der ordentliche Rechtsweg gegeben ist (ähnlich NdsOVG, Beschluss vom 3. September 2021, a. a. O. juris Rn. 21; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 6. Mai 2021, a. a. O. Rn. 12). Dies betrifft etwa Ansprüche aus Amtshaftung (vgl. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG), aus Aufopferung für das gemeine Wohl sowie Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO), oder auf Schadensausgleich wegen einer Inanspruchnahme als Nichtstörer (vgl. §§ 69 ff., 75 SOG LSA). Die Klägerin, welche die unter anderem sie betreffenden Betriebsschließungen oder -einschränkungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung ausweislich ihrer Klagebegründung für nicht vereinbar mit höherrangigem Recht, insbesondere für unverhältnismäßig, mithin für rechtswidrig hält, ist darauf zu verweisen, ihr Entschädigungsbegehren anknüpfend an die vorgenannten Anspruchsgrundlagen, die zum Teil ein rechtswidriges hoheitliches Handeln voraussetzen, auf dem dafür vorgesehenen Rechtsweg zu verfolgen. Die Berufung auf die analoge Anwendung von Anspruchsnormen kann nicht dazu führen, dass ein an sich nicht eröffneter Rechtsweg ohne Weiteres beschritten werden darf, obwohl für das geltend gemachte Klagebegehren unmittelbar anwendbare Anspruchsgrundlagen bestehen, deren Prüfung einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind. Anders gewendet: gibt es eine gesetzliche oder jedenfalls eine anerkannte ungeschriebene rechtliche Grundlage, die für die Begründung des im Klageweg verfolgten Anspruchs zumindest in Betracht gezogen werden muss, ist allein diese – vor einer eventuellen analogen Anwendung bestehender rechtswegfremder Anspruchsgrundlagen – für die Frage der Rechtswegzuständigkeit maßgebend. Sollte keine der unmittelbar in Betracht zu ziehenden rechtlichen Anknüpfungspunkte den geltend gemachten Anspruch tragen, hat die Gerichtsbarkeit, deren Rechtsweg im Hinblick auf diese Rechtsgrundlagen eröffnet ist, nach § 17 Abs. 2 GVG zu prüfen, ob sich der Anspruch ggf. auf die analoge Anwendung anderer – auch rechtswegfremder – Normen stützen lässt. Andernfalls könnte die (gesetzliche) Rechtswegaufteilung dadurch unterlaufen werden, dass der Kläger bestehende rechtliche Anknüpfungspunkte für den von ihm geltend gemachten prozessualen Anspruch außer Betracht lässt und sich ausschließlich auf die analoge Anwendung einer Norm beruft, deren Prüfung, wäre sie unmittelbar einschlägig, einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen ist.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedurfte es nicht, weil für die Beschwerde nach Ziffer 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr erhoben wird.
4. Die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht war nicht gemäß § 152 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zuzulassen, da Gründe nach § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG für eine Zulassung nicht vorliegen.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).


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