Verwaltungsrecht

Rechtswidrige Ablehnung des Asylantrags als unzulässig

Aktenzeichen  RN 13 K 18.31580

Datum:
9.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9829
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Ob eine Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme des Asylverfahrens möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Zweitantrag kann auch dann vorliegen, wenn Deutschland nicht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Legaldefinition des Zweitantrags in § 71a Abs. 1 AsylG stellt nicht auf die Zuständigkeit ab. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2018 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klage ist zulässig. Die Klagefrist von einer Woche wurde eingehalten, da der angefochtene Bescheid tatsächlich erst am 23. Mai 2018 zugestellt worden war.
Die Klage ist auch in der Sache erfolgreich, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Die Ablehnung des Antrags als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt sich bereits als rechtswidrig dar, weil die tatbestandsmäßige Voraussetzung „wenn im Falle … eines Zweitantrags nach § 71 a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist“ nicht gegeben ist.
Der Anknüpfungspunkt des Bundesamts bei seiner Entscheidung stellt sich als unzutreffend dar. Der Asylantrag des Klägers vom (spätestens) 14. September 2016 ist kein Zweitantrag im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG.
Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist nach § 71 a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
Definition, Umfang und nähere Bestimmungen zur Stellung eines Asylantrags ergeben sich aus den §§ 13 Abs. 1 und 2, 14 bzw. 14 a AsylG. Diese nationalen Vorschriften werden jedoch überlagert durch Art. 20 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO. Danach gilt ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedsstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Protokoll in diesem Sinne ist die Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA). Der Antrag auf internationalen Schutz gilt daher als gestellt, wenn dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
– ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz nachgesucht hat, und gegebenenfalls,
– wenn ihm nur die wichtigsten in der BÜMA enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen ist (vgl. EuGH vom 26. Juli 2017, C-670/16, Rz 103).
Die erste BÜMA für den Kläger wurde am 6. September 2016 ausgestellt (vgl. Bl. 33 der Bundesamtsakte). Auf den 6. September 2016 datiert das Bundesamt auch die EURODAC-Treffermeldung (vgl. Bl. 157 der Bundesamtsakte). Die formelle Niederschrift über die Stellung des Asylantrags wurde am 14. September 2016 gefertigt. Als Zeitraum für die Stellung des Asylantrags in vorgenanntem Sinn kann daher die Zeit zwischen dem 6. und dem 14. September 2016 eingegrenzt werden.
Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-) Verfahren noch wiedereröffnet werden kann. Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. BVerwG vom 14. Dezember 2016, 1 C 4/16, juris, Rz 29). Offen gelassen wurde vom Bundesverwaltungsgericht allerdings die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist. Es führte lediglich aus, dass insoweit in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht kommen (vgl. BVerwG vom 14. Dezember 2016, a.a.O., Rz 40).
Infolgedessen haben sich in der untergerichtlichen Rechtsprechung verschiedene Rechtsauffassungen herausgebildet. Für beide vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Varianten haben sich Befürworter (Antragstellung: z.B. VG Frankfurt/Oder vom 13. Juli 2017, 6 L 665/17.A, juris, Rz 6; VG Hamburg vom 20. Juli 2017, 8 AE 3383/18, juris, Rz 10; VG Regensburg vom 8. August 2018, RN 12 K 18.31824, juris, Rz 21; Zuständigkeitsübergang: z.B. VG Augsburg vom 1. März 2017, Au 2 S 17.30752, juris, Rz 33; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht vom 27. November 2017, 1 B 190/17, juris, Rz 35; VG Hannover vom 7. Februar 2019, 3 B 217/19, juris, Rz 29 ff.) gefunden.
Da der im Beschluss vom 6. November 2017 festgestellte Mangel der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs zwischenzeitlich durch die im April 2018 versandten Fragebögen beseitigt wurde, stellt sich die Frage, ob der spätestens am 14. September 2016 gestellte Asylantrag einen Asylantrag darstellt, der „nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens“ im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG gestellt wurde, als entscheidungserheblich dar. Die Bestandskraft der Ablehnung des Asylantrags in der Schweiz trat am 22. September 2016 ein, während die Zuständigkeit nach der Dublin-III-VO erst am 7. November 2016 überging. In letzterem Fall wäre das Asylverfahren in der Schweiz wegen des Eintritts der Bestandskraft am 22. September 2016 abgeschlossen, in ersterem Fall hingegen nicht.
Aufgrund der aktuellen Rechtslage (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) liegt ein Zweitantrag im Sinne des § 71 a Abs. 1 AsylG nur vor, wenn der in Deutschland gestellte Asylantrag zu einem Zeitpunkt gestellt wurde, an welchem das Asylverfahren in der Schweiz bereits unanfechtbar abgeschlossen war. Die Gründe der Gegenmeinung, die vorwiegend auf Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung abstellen, sind zwar durchaus beachtlich. Es wird aber übersehen, dass § 71 a Abs. 1 AsylG als nationale deutsche Vorschrift mehrere Tatbestandsvoraussetzungen enthält, die kumulativ erfüllt sein müssen (Zweitantrag, Zuständigkeit, § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG). Ein Zweitantrag kann mithin auch dann vorliegen, wenn Deutschland nicht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Legaldefinition des Zweitantrags in § 71 a Abs. 1 AsylG stellt nicht auf die Zuständigkeit ab. Diese ist u.a. nur erforderlich, um ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Hinsichtlich des erfolglosen Abschlusses ist ausschließlich auf die Rechtslage in dem anderen Staat abzustellen. Ob Deutschland nach der Dublin-III-VO der für die Durchführung zuständige Mitgliedstaat ist, beurteilt sich nicht danach, ob ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat erfolglos abgeschlossen ist oder nicht.
Dafür, dass die rechtswidrige Ablehnung des Antrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG in eine Ablehnung nach § 29 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 AsylG umgedeutet werden könnte, finden sich keine Anhaltspunkte.
Die Entscheidungen in den Nummern 2 bis 4 des angefochtenen Bescheids beruhen auf der Ablehnung des Antrags als unzulässig in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids. Sie sind folglich ebenfalls aufzuheben.
Kosten: §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.


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