Aktenzeichen W 5 S 17.31363
Leitsatz
1 Im Falle der Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht innerhalb der Wochenfrist zu stellen, da es für die Einstellung des Verfahrens an einer den § 34a Abs. 2 S. 1, S. 3 AsylG und § 36 Abs. 3 S. 1, S. 10 AsylG entsprechenden Regelung fehlt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Anders als die Stellung eines Asylantrages ist seine Stellung nicht formgebunden; sie kann insbesondere zur Niederschrift bei dem Bundesamt aber auch zur Niederschrift bei der Ausländerbehörde erklärt werden, die ihrerseits verpflichtet ist, die Erklärung unverzüglich an das Bundesamt weiterzuleiten. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage W 5 K 17.31362 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. März 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der angedrohten Abschiebung nach Afghanistan, nachdem sein Asylverfahren vom Bundesamt wegen Rücknahme seines Asylantrags eingestellt wurde.
1. Der am … 1998 geborene Antragsteller, nach seinen Angaben afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit, reiste am 26. Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 10. März 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung am 18. Oktober 2016 trug er vor, dass er an Multipler Sklerose leide. Derzeit müsse er keine Medikamente nehmen und sei auch nicht in ärztlicher Behandlung. Er habe psychische Probleme. Er sei im Iran aufgewachsen. In Afghanistan habe er etwas von den Feinden seines Vaters zu befürchten. Sein Vater sei vor seiner Geburt vor den Taliban in den Iran geflüchtet.
2. Mit Bescheid vom 10. März 2017 stellte das Bundesamt das Asylverfahren ein (Nr. 1). Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller seinen Asylantrag am 6. März 2017 zurückgenommen habe. In Anbetracht der Rücknahme des Asylantrags sei gemäß § 32 Satz 1 AsylG festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien weder überzeugend vorgetragen worden noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor.
3. Gegen den Bescheid, der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen worden war, wonach innerhalb von zwei Wochen Klage erhoben werden könne und der am 13. März 2017 als Einschreiben zur Post gegeben worden war, ließ der Antragsteller am 24. März 2017 beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben (W 5 K 17.31362), über die noch nicht entschieden ist.
Am gleichen Tag ließ er im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. März 2017 wieder herzustellen.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen vorbringen: Die Rechtsbehelfsbelehrung:sei wohl unrichtig bzw. unvollständig. Der Antragsteller habe den Bescheid am 22. März 2017 erhalten. Entgegen dem Bescheid habe der Antragsteller seinen Asylantrag nicht zurückgenommen, sondern vormals erklärt, dass er freiwillig ausreisen würde. Die Erklärung der freiwilligen Ausreise habe er zurückgenommen. Durch den Bevollmächtigten sei vorsorglich beim Bundesamt die Fortführung/Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt worden.
4. Das Bundesamt äußerte sich nicht.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Verfahrensakten W 5 K 17.31362 und die beigezogene Bundesamtsakte verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage (vgl. § 75 Abs. 1 AsylG) gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts vom 10. März 2017 anzuordnen, hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere wurde er fristgerecht innerhalb der Antragsfrist gestellt. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz richtet sich auf eine Klage, die fristgemäß innerhalb der gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG maßgeblichen Zweiwochenfrist erhoben wurde. Die auf eine Woche verkürzte Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG gilt im vorliegenden Fall nicht. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht innerhalb einer Woche zu stellen, da es für die Einstellung des Verfahrens an einer § 34a Abs. 2 Satz 1 und 3 AsylG und § 36 Abs. 3 Satz 1 und 10 AsylG entsprechenden Regelung fehlt (vgl. VG Minden, B.v. 26.7.2016 – 10 L 1078/16.A – juris).
2. Der Antrag ist auch begründet.
2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf An-trag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG (Fall des § 38 Abs. 2 AsylG – Ausreisefrist eine Woche im Falle der Rücknahme des Asylantrags) folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Hierbei ist insbesondere auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen. Ist die Klage in der Hauptsache im Rahmen einer summarischen Prüfung offensichtlich erfolgreich, kann kein überwiegendes öffentliches Interesse am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides bestehen. Andererseits kann der Antragsteller kein schutzwürdiges privates Interesse daran haben, von der Vollziehung eines offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakts verschont zu bleiben. Insoweit ist eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten, aber auch ausreichend.
Der Maßstab des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG, nach dem die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, ist vorliegend nicht anwendbar. Denn § 36 AsylG gilt ausweislich seiner amtlichen Überschrift nur bei Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und bei offensichtlicher Unbegründetheit, nicht jedoch im Fall der vorliegenden Einstellung nach § 32 AsylG. § 38 Abs. 2 AsylG hingegen enthält keine § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG entsprechende Regelung (vgl. VG Minden, B.v. 26.7.2016 – 10 L 1078/16.A – juris).
Unter Berücksichtigung der vg. Grundsätze überwiegt vorliegend das Sus-pensivinteresse des Antragstellers das behördliche Vollzugsinteresse.
2.2. Nach summarischer Prüfung erweist sich der Bescheid des Bundesamts vom 10. März 2017 als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Bundesamt hat das Asylverfahren des Antragstellers wohl zu Unrecht gemäß § 32 Satz 1 AsylG eingestellt, da es an einer wirksamen Rücknahme des Asylantrags fehlt.
Nach § 32 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt im Falle der Antragsrücknahme oder des Verzichts gemäß § 14a Abs. 3 AsylG in seiner Entscheidung fest, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Für die Antragsrücknahme bestehen anders als für die Antragstellung (§ 14 AsylG) keine Formvorschriften. Die überwiegend vertretene Auffassung geht jedoch davon aus, dass die Rücknahmeerklärung in der gleichen Form wie ein Antrag im Sinne des § 14 AsylG zu erfolgen hat, die Rücknahme also schriftlich oder zur Niederschrift erfolgen müsse. Die Rücknahme kann daher insbesondere zur Niederschrift beim Bundesamt erklärt werden. Sie kann aber auch – wie im vorliegenden Fall – zur Niederschrift bei der Ausländerbehörde erklärt werden, wobei diese dann verpflichtet ist, die Erklärung unverzüglich an das Bundesamt weiterzuleiten (Heusch in Kluth/Heusch, Beck`scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 13. Edition 2017, § 32 AsylG Rn. 14; Hailbronner, AuslR, Stand Dez. 2016, § 32 AsylG Rn. 13 f.). Wird die Rücknahme zur Niederschrift erklärt, ohne dass der Asylbewerber seinerseits für einen Sprachenmittler gesorgt hätte, so ist ein solcher in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 AsylG von Amts wegen hinzuzuziehen (Hailbronner, AuslR, § 32 AsylG Rn. 15).
Im vorliegenden Fall bestehen erhebliche Zweifel an einer wirksamen Rücknahme des Asylantrags seitens des Antragstellers. In der Behördenakte des Bundesamts (Bl. 93) ist ein – auf den 6. März 2017 datiertes – Formblatt enthalten, das überschrieben ist sowohl mit „Niederschrift über den Verzicht auf die Stellung eines Asylantrags“ als auch mit „Niederschrift über Rücknahme des Asylantrags“. Beide Alternativen enthalten in dem ihnen vorangestellten „Kästchen“ jeweils ein Kreuz und auch im weiteren Verlauf des Formblatts wurde der Text „Hiermit erkläre ich den Verzicht auf die Stellung eines Asylantrags“ als auch der Text „Hiermit nehme ich meine Asylantrag zurück“ angekreuzt. Allerdings handelt es sich beim „Verzicht“ um einen eigenständigen Beendigungstatbestand (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 32 AsylG Rn. 5) im Rahmen der sog. Familieneinheit nach § 14a Abs. 3 AsylG, so dass dieser hier in der Person des Antragstellers nicht vorliegen kann. Unklar ist insgesamt, welche Erklärungen der Antragsteller überhaupt abgeben wollte, denn neben den vorgenannten „Kästchen“ sind auch alle anderen in dem Standardformular vorgesehenen „Kästchen“ angekreuzt. Dies gilt insbesondere für das Textfeld „Hiermit nehme ich die Klage/n gegen den Bescheid vom zurück“. Eine Klage war zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung allerdings nicht erhoben worden, so dass diese Aussage ins Leere geht. Schließlich wurden in der Folge wiederum zwei sich widersprechende Aussagen getroffen, nämlich jeweils ein Kreuz gesetzt unter „Bei der Vorsprache traten keine Verständigungsprobleme auf. Die Verständigung erfolgte in deutscher Sprache“ und „Als Übersetzer war anwesend“. Ein Übersetzer wird dann allerdings in der Folge nicht genannt und die Formblatterklärung enthält auch nicht die Unterschrift eines Übersetzers. Im Gegensatz hierzu enthält die Formblatterklärung der „Niederschrift über die Rücknahme der freiwilligen Ausreise“ (Bl. 123 der Behördenakte) sehr wohl die Unterschrift eines Übersetzers, wenn auch diese Erklärung den Vermerk enthält: „Bei der Aussprache traten keine Verständigungsprobleme auf. Die Verständigung erfolgte in deutscher Sprache“. Dass diese Formblatterklärung über die “Rücknahme der freiwilligen Ausreise“ auf den „06.02.2017“ datiert ist, also einen Monat vor der Erklärung der angeblichen Antragsrücknahme und der freiwilligen Ausreise, kann von Seiten des Gerichts (ebenfalls) nicht nachvollzogen werden. Jedenfalls spricht der Umstand, dass diese Erklärung unter Hinzuziehung eines Sprachenmittlers erfolgt ist, dafür, dass ein solcher auch bei dem Termin am 6. März 2017 notwendig gewesen wäre.
Nach allem bestehen hier nach Aktenlage erhebliche Zweifel daran, ob der Antragsteller seinen Asylantrag wirksam zurückgenommen hat, zumal er nun im gerichtlichen Verfahren erklären lässt, dass er seinen Asylantrag überhaupt nicht zurückgenommen habe, sondern nur eine Erklärung hinsichtlich seiner freiwilligen Ausreise abgegeben habe, die er aber zwischenzeitlich zurückgenommen habe.
2.3. Es sprechen damit überwiegende Gründe dafür, dass die Einstellung des Asylverfahrens durch das Bundesamt nach § 32 Satz 1 AsylG rechtswidrig ist. Die zu treffende Interessenabwägung ergibt daher ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.