Aktenzeichen M 21 S 17.38817
AsylG § 33 Abs. 4, Abs. 5 S. 1, § 34 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz
§ 33 Abs. 4 AsylG ist zu entnehmen, dass die in ihm angeordneten Hinweise, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls in einer für den Asylbewerber verständlichen Sprache erteilt werden müssen, wenn dieser nicht anwaltlich vertreten ist (vgl. BVerwG BeckRS 2013, 57598), in der Aufforderung iSd § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG zu erfolgen haben, hier also – auch wenn eine solche Vorgehensweise wegen des auch in § 33 Abs. 4 AsylG enthaltenen Erfordernisses der Belehrung gegen Empfangsbestätigung praktische Schwierigkeiten bereiten kann – in der Aufforderung zur Anhörung gem. § 25 AsylG hätten enthalten sein müssen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache hinsichtlich des Antragstellers zu 2. für erledigt erklärt haben. Im Übrigen wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin zu 1. im Verfahren M 21 K 17.38813 gegen Ziffern 1. und 3. des Tenors des Bundesamtsbescheids vom 25. April 2017 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller, die bislang weder Personalpapiere noch andere Identitätsnachweise ihres Herkunftslands vorlegten, sind nach eigenen Angaben miteinander verheiratete, in Lakota (Antragstellerin zu 1.) bzw. Dakar (Antragsteller zu 2.) geborene Staatsangehörige der Republik Côte d‘Ivoire.
Sie stellten am 25. August 2016 bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (kurz: Bundesamt) in München einen Asylantrag und gaben dabei als Erst- bzw. Zweitsprache Französisch an.
In der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und den allgemeinen Verfahrenshinweisen, welche die Antragsteller jeweils zu Beginn des Asylverfahrens am 25. August 2016 auch in französischer Sprache gegen Empfangsbestätigung erhielten, wurden sie insbesondere gebeten, den Anhörungstermin beim Bundesamt unbedingt wahrzunehmen. Sie wurden darauf hingewiesen, es könne für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben (Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung) wenn sie zu diesem Termin nicht erschienen, ohne vorher ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben. Ihr Asylantrag gelte als zurückgenommen, wenn sie das Verfahren nicht weiter betrieben oder wenn sie während des Verfahrens in ihrem Herkunftsstaat reisten. Wann ein Nichtbetreiben vermutet werde, bestimme das Gesetz. In diesen Fällen stelle das Bundesamt das Asylverfahren ein und entscheide ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote bestehen. Dieser Belehrung war ein Auszug des § 33 AsylG in deutscher Sprache beigefügt, der den Wortlaut des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG wiedergab.
Mit durch Postzustellungsurkunde zugestelltem Schreiben vom 9. März 2017 wurden die Antragsteller jeweils zur Anhörung am 27. März 2017 um 10:00 Uhr in München geladen. Diese Schreiben enthielten in deutscher Sprache insbesondere den Hinweis darauf, dass der Asylantrag bei Nichterscheinen nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gelte.
Durch Bescheid vom 25. April 2017 entschied das Bundesamt, dass die Asylanträge als zurückgenommen gelten und stellte die Asylverfahren ein (Ziffer 1.), verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 2.), drohte den Antragstellern mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung in die Elfenbeinküste an (Ziffer 3.) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4.). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Asylanträge gälten als zurückgenommen, da die Antragsteller das Verfahren nicht betrieben. Sie seien der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen. Daher werde gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG vermutet, dass sie die Verfahren nicht betrieben. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Bereits das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Antragsteller bislang keinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG im Herkunftsland ausgesetzt gewesen seien und ihnen diese Gefahren auch bei einer Rückkehr nicht drohten. Die Abschiebungsandrohung sei gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 38 Abs. 2 AsylG.
Am 2. Mai 2017 ließen die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage erheben und beantragen, den Bundesamtsbescheid vom 25. April 2017 aufzuheben und festzustellen, dass sie asylberechtigt sind, die Flüchtlingseigenschaft bei ihnen vorliegt, der subsidiäre Schutzstatut bei ihnen vorliegt und Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei ihnen vorliegen.
Über die Klage (M 21 K 17.38813) ist noch nicht entschieden.
Am 2. Mai 2017 ließen die Antragsteller zugleich beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragen,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen anzuordnen.
Die durch Schriftsatz vom 2. Mai 2017 angekündigte Klage- und Antragsbegründung erfolgte bislang nicht.
Durch Schriftsatz vom 19. September 2017 wurden Klage und Eilantrag für den Antragsteller zu 2. in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Durch allgemeine Prozesserklärung vom 27. Juni 2017 erklärte das Bundesamt insbesondere seine Zustimmung zur Erklärung der Erledigung der Hauptsache.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten zu Eil- und Klageverfahren und auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO analog.
Der zulässige, insbesondere statthafte (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO, §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG) Eilantrag der Antragstellerin zu 1. ist begründet.
Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage insbesondere in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des erhobenen Rechtsbehelfs vorzunehmen. Diese Interessenabwägung fällt hier zu Gunsten der Antragstellerin zu 1. aus, weil ihre bei interessengerechter Auslegung (§ 88 VwGO) sowohl gegen die im angegriffenen Bundesamtsbescheid ausgesprochene Einstellung des Asylverfahrens (Ziffer 1.) als auch gegen die in dessen Ziffer 3. enthaltene Abschiebungsandrohung gerichtete Anfechtungsklage nach summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig und begründet ist.
Die Anfechtungsklage der Antragstellerin zu 1. ist in beiden genannten Anträgen mit hoher Wahrscheinlichkeit zulässig.
Entgegen der im Wortlaut der bisherigen Klageanträge zum Ausdruck gekommenen Ansicht der Bevollmächtigten der Antragstellerin zu 1. ist nur die Anfechtungsklage statthaft, um im Falle einer fehlerhaften Verfahrenseinstellung insbesondere nach § 33 AsylG die zunächst dem Bundesamt vorbehaltene Sachentscheidung über den Asylantrag zu erhalten. Den Verwaltungsgerichten ist es in solchen Konstellationen verwehrt, zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung zu entscheiden (vgl. nur BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 14 m.w.N.). Deswegen sind die auf Sachentscheidungen gerichteten, bisherigen Verpflichtungsanträge der Bevollmächtigten der Antragstellerin zu 1. unzulässig.
Die Anfechtungsklage der Antragstellerin zu 1. ist auch in beiden genannten Anträgen mit hoher Wahrscheinlichkeit begründet.
Der Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt (§ 33 Abs. 1 AsylG). Es wird insbesondere vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG). Diese Vermutung gilt nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer insbesondere auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Gemessen an § 33 Abs. 4 AsylG ist die auf Basis des § 32 AsylG statt aufgrund § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG ausgesprochene Einstellung des Asylverfahrens mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin zu 1. in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach der maßgeblichen Vorstellung des Gesetzgebers, die mit der Binnensystematik des § 33 AsylG vereinbar ist, knüpft in den Fällen des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG eine Einstellung wegen einer stillschweigenden Rücknahme an eine ergangene ausdrückliche Aufforderung an den Ausländer an, die mit dem Hinweis nach § 33 Abs. 4 AsylG verbunden ist (vgl. BT-Drucks. 18/7538, S. 17).
§ 33 Abs. 4 AsylG ist somit zu entnehmen, dass die in ihm angeordneten Hinweise, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls dann in einer für den Asylbewerber verständlichen Sprache erteilt werden müssen, wenn dieser – wie hier damals – nicht anwaltlich vertreten ist – (vgl. BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 10 C 1/13 – juris Rn. 31) in der Aufforderung im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG zu erfolgen haben, hier also – auch wenn eine solche Vorgehensweise wegen des auch in § 33 Abs. 4 AsylG enthaltenen Erfordernisses der Belehrung gegen Empfangsbestätigung praktische Schwierigkeiten bereiten kann – in der Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG hätten enthalten sein müssen.
Solche § 33 Abs. 4 AsylG entsprechenden Hinweise enthalten die Schreiben vom 9. März 2017, mit denen die Antragsteller jeweils in deutscher und damit in für sie nicht verständlicher Sprache nicht gegen Empfangsbestätigung zur Anhörung am 27. März 2017 um 10:00 Uhr in München geladen wurden, nicht.
Selbst wenn man davon ausginge, dass die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG grundsätzlich zu Beginn des Asylverfahrens zu geschehen hätte und die Wiedergabe des Gesetzestextes des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG genügte, so muss aus dem Hinweis jedenfalls klar hervorgehen, dass der Asylantrag im Falle des Nichtbetreibens des Verfahrens kraft Gesetzes – ohne dass dem Bundesamt hinsichtlich der Rechtsfolgen Ermessen zustünde – als zurückgenommen gilt. Das gilt insbesondere dann, wenn lediglich „nachteilige Folgen“ im Falle des Nichterscheinens zur Anhörung angekündigt werden (vgl. nur Heusch in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, § 33 AsylG Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Erfordernissen genügen die Belehrungen für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und die allgemeinen Verfahrenshinweise, welche die Antragsteller jeweils zu Beginn des Asylverfahrens am 25. August 2016 auch in französischer Sprache gegen Empfangsbestätigung erhalten haben, nicht, weil sie verunklarend darauf hinweisen, dass das Nichterscheinen zur Anhörung für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann. Dieses Defizit wird auch nicht durch die Wiedergabe des Wortlauts des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG ausgeglichen, weil diese Wiedergabe nur in deutscher Sprache erfolgt ist.
Die Vorgabe der Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG ist für den Eintritt der Rücknahmefiktion des § 33 Abs. 1 AsylG unerlässlich, weshalb ihr Unterbleiben zur Rechtswidrigkeit des Einstellungsbescheids einschließlich der Abschiebungsandrohung führt (vgl. nur Heusch in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.5.2018, § 33 AsylG Rn. 9 m.w.N.), woraus mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine Verletzung der Antragstellerin zu 1. in ihren Rechten folgt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bundesamt hat nun mit ordnungsgemäßer Belehrung zunächst erneut auf eine Anhörung der Antragstellerin zu 1. hinzuwirken.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Antrags des Antragstellers zu 2. auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO, jeweils i.V.m. § 83b AsylG. Billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO entspräche es, die Kosten der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil sie – was die Prüfung des Eilantrags der Antragstellerin zu 1. zeigt – bei Fortsetzung des Verfahrens auch insoweit voraussichtlich unterlegen wäre.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).