Verwaltungsrecht

Rechtswidrigkeit einer dienstlichen Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit wegen fehlender Begründung des Gesamturteils

Aktenzeichen  M 21 K 15.2920

Datum:
20.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BLV BLV § 49
GG GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Hat sich das Gesamturteil gegenüber der Vorbeurteilung in nicht unerheblichem Maße verschlechtert und drängt sich es nicht schon nach Art einer Ermessensreduzierung auf null zwingend aus einem einheitlichen Bild der Einzelbewertungen heraus auf, hat die Begründung des Gesamturteils schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen (Rn. 24). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis 30. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für den genannten Zeitraum unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu beurteilen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat Anspruch auf erneute dienstliche Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Mai 2012 bis zum 30. April 2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die für den genannten Zeitraum abgegebene dienstliche Beurteilung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Dienstliche Beurteilungen nach §§ 48 ff. der Verordnung über die Laufbahnen der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten (Bundeslaufbahnverordnung – BLV) vom 12. Februar 2009 (BGBl. I S. 284) sind ihrem Wesen nach persönlichkeitsbedingte Werturteile, die verwaltungsgerichtlich nur beschränkt nachprüfbar sind. Nach dem erkennbaren Sinn der Regelungen über die dienstliche Beurteilung soll nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde Beurteiler ein persönliches Werturteil darüber abgeben, ob und inwieweit der Beamte den vom Dienstherrn zu bestimmenden, zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes entspricht. Bei einem derartigen, dem Dienstherrn vorbehaltenen Akt wertender Erkenntnis steht diesem eine der gesetzlichen Regelung immanente Beurteilungsermächtigung zu. Demgegenüber hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf zu beschränken, ob der Beurteiler den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind (Art. 3 Abs. 1 GG) und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen, speziell denen der BLV über die dienstliche Beurteilung, und auch sonst mit gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle kann dagegen nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche oder persönliche Beurteilung des Beamten durch den Dienstherrn in vollem Umfang nachvollzieht oder diese gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (zum Ganzen: BVerfG vom 29.05.2002 – 2 BvR 723/99 – ZTR 2002, 451 = DVBl 2002, 1203 = PersV 2002, 470 = BayVBl 2002, 697 = NVwZ 2002, 1368 = NJW 2003, 127 = DÖD 2003, 82 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/D I 2 Nr. 63; BVerwG vom 13.05.1965 – II C 146.62 – BVerwGE 21, 127 = DVBl 1965, 650 = MDR 1965, 853 = BayVBl 1965, 384 = ZBR 1965, 358 = ZBR 1966, 22 = VerwRspr 17, 683 = Buchholz 237.1 Art. 72 BayBG Nr. 1; vom 13.11.1997 – 2 A 1.97 – DokBer B 1998, 103 = DVBl 1998, 638 = Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 17; vom 19.12.2002 – 2 C 31.01 – BayVBl 2003, 533 = DÖD 2003, 200 = ZBR 2003, 359 = NVwZ 2003, 1398 = DVBl 2003, 1545 = DokBer 2003, 155 = IÖD 2003, 147 = ZTR 2003, 419 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/D I 2 Nr. 64 = Buchholz 237.9 § 20 SaarLBG Nr. 1; vom 21.03.2007 – 2 C 2.06 – DokBer 2007, 221 = IÖD 2007, 206 = PersV 2008, 27 = RiA 2007, 275 = DÖD 2007, 281 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/D I 2 Nr. 86 = Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 27; vom 11.12.2008 – 2 A 7.07 – DokBer 2009, 187 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/D I 2 Nr. 98 = Buchholz 232.1 § 41a BLV Nr. 2).
Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die streitgegenständliche Beurteilung des Klägers rechtlichen Bedenken, weil sie nicht allen an sie formal zu stellenden inhaltlichen Anforderungen gerecht wird. Nach dem insoweit einschlägigen § 49 Abs. 1 BLV sind in der dienstlichen Beurteilung die fachliche Leistung des Beamten nachvollziehbar darzustellen sowie Eignung und Befähigung einzuschätzen. In § 49 Abs. 2 BLV werden – hier nicht entscheidungserhebliche – Anforderungen an die Beurteilung der fachlichen Leistung gestellt. Die Beurteilung schließt mit einem Gesamturteil und einem Vorschlag für die weitere dienstliche Verwendung (§ 49 Abs. 3 Satz 1 BLV).
Hierzu ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schon bisher geklärt gewesen, dass das Gesamturteil und die Einzelbewertungen einer dienstlichen Beurteilung in dem Sinne miteinander übereinstimmen müssen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt (BVerwG vom 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – IÖD 2017, 38). Dabei steht es im Ermessen des Dienstherrn, festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen beimessen will. Das abschließende Gesamturteil ist durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen, auf die Bestenauswahl bezogenen Gesichtspunkte zu bilden (BVerwG, ebenda; sowie vom 25.10.2011 – 2 VR 4.11 – IÖD 2012, 2 = NVwZ-RR 2012, 241 = DokBer 2012, 85 = DÖD 2012, 59 = RiA 2012, 79 = PersV 2012, 191 = Schütz/Maiwald BeamtR ES/A II 1.4 Nr. 210 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 50, Rn. 15, m.w.N.). Diese Gewichtung bedarf schon deshalb einer Begründung, weil nur so die Einhaltung gleicher Maßstäbe gewährleistet und das Gesamturteil nachvollzogen und einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden kann (BVerwG vom 17.09.2015 – 2 C 27.14 – BVerwGE 153, 48 = DokBer 2016, 74 = NVwZ 2016, 327 = ZBR 2016, 166 = Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 29).
Neu ist, dass die Begründung des Gesamturteils – jedenfalls dann, wenn dieses sich gegenüber der Vorbeurteilung in nicht unerheblichem Maß verschlechtert hat und sich nicht schon nach Art einer Ermessensreduzierung auf null zwingend aus einem einheitlichen Bild der Einzelbewertungen heraus aufdrängt – nun schon in der dienstlichen Beurteilung selbst zu erfolgen hat (BVerwG vom 21.12.2016, a.a.O., Rn. 41). Anders als etwa bei nachträglich erhobenen Einwänden gegen Einzelbewertungen in der dienstlichen Beurteilung genügt es nun nicht mehr, das Gesamturteil nachträglich zu plausibilisieren. Ansonsten käme die besondere Bedeutung, die dem Gesamturteil im Vergleich zu den Einzelbewertungen zukommt, nicht zum Tragen. Die Einheitlichkeit der Maßstäbe, die der Bildung des Gesamturteils zugrunde zu liegen hat, kann nur dann hinreichend gewährleistet und ggf. gerichtlich überprüft werden, wenn diese von vornherein in der Beurteilung niedergelegt ist (BVerwG vom 21.12.2016, a.a.O.).
An diesem Begründungsmangel leidet die hier angefochtene dienstliche Beurteilung. Es liegt auf der Hand, dass sich ihr Gesamtergebnis gegenüber der Vorbeurteilung von dem Prädikat B (= übertrifft die Anforderungen) auf das Prädikat C (= entspricht den Anforderungen) nicht unwesentlich verschlechtert hat. Dabei spricht vieles dafür, dass die betreffende Bewertung zu einem nicht vernachlässigbaren Anteil auf der uneinheitlichen Bewertung der beiden Leitkriterien des Teils I „Arbeitsqualität“ und „Arbeitsquantität“ einmal mit dem Prädikat B (= übertrifft die Anforderungen) und einmal mit dem Prädikat C (= entspricht den Anforderungen) beruht. Schon deshalb liegen hier die Voraussetzungen für die nach der oben zitierten Rechtsprechung erforderliche Begründung des Gesamturteils bereits in der dienstlichen Beurteilung selbst vor und bedarf es der die Leistungen des Klägers würdigenden, gewichtenden und abwägenden Erläuterung, weshalb das Gesamturteil auf C anstatt auf B lautet.
Auf den Aussagegehalt des Teils II (Kompetenzbeurteilung) kommt es daher nicht mehr entscheidungserheblich an. Dieser ist schwer nachvollziehbar, weil zu seinem Verständnis die Heranziehung der außerhalb der dienstlichen Beurteilung hinterlegten Soll-Anforderungen im individuellen Tätigkeits- und Kompetenzprofil (TuK) erforderlich ist mit der Wirkung, dass selbst dann, wenn der Beurteilte in allen Kriterien einen anforderungsgerechten, gleichwertigen und der Schulnote 3 (= befriedigend) entsprechenden Kompetenzausprägungsgrad erzielt hat, sich in der tabellarischen Darstellung ein (hier die drei Grade von 3 bis 5 umfassendes), die Nachvollziehbarkeit in Frage stellendes Zackenmuster ergibt. Es besteht daher die Besorgnis, dass auch der Teil II (Kompetenzbeurteilung) einer kritischen Überprüfung am Maßstab des § 49 Abs. 1 BLV nicht standhalten würde, weil zum einen dieser Teil nicht aus sich heraus verständlich ist und zum andern bei weitem nicht alle der zu bewertenden Kriterien entweder eignungs- oder befähigungsbezogen und daher nach § 49 Abs. 1 BLV nur „einzuschätzen“ sind, sondern in fast allen Kriterien (Ausnahmen sind allenfalls Diskussion/Argumentation, Belastbarkeit sowie Lern- und Kritikfähigkeit) zumindest auch fachlich-leistungsbezogene Elemente enthalten sind, deren Bewertung „nachvollziehbar darzustellen“ ist.
Abschließend weist die Kammer noch darauf hin, dass die dienstliche Beurteilung wohl nicht zu beanstanden gewesen wäre, wären die Ausführungen zu Teil III des Widerspruchsbescheids vom 12. November 2015, insbesondere dessen Absätze 4 bis 6, bereits in der angefochtenen dienstlichen Beurteilung selbst zum Gegenstand der Begründung des Teils IV (= Gesamturteil aus den Teilen I – III) gemacht worden.
Nach allem war der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren beruht auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.


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