Verwaltungsrecht

Rücknahmefiktion nach § 33 Abs. 2 AsylG wegen Heimreise während des Verfahrens nur bei Ausreise aus Deutschland

Aktenzeichen  M 17 S 16.30307

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 33 Abs. 2

 

Leitsatz

§ 33 Abs. 2 AsylG verlangt eine Heimreise “während des Verfahrens”, d.h. der Ausländer muss aus Deutschland in den Herkunftsstaat gereist sein. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Er reiste nach eigenen Angaben am … September 2015 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Oktober 2015 Asylantrag.
Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Oktober 2015 gab er im Wesentlichen an, dass er hierhergekommen sei, weil er eine Frau kennengelernt habe, die er näher kennenlernen möchte. Seine Verlobte habe ihn nicht im Kosovo besuchen können, da sie bis Ende des Jahres nicht in den Kosovo reisen könne. Außerdem möchte er hier gerne studieren. Im Kosovo sei er ohne jegliche Perspektive.
Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2015 übersandten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers einen ausgefüllten Fragebogen „zum Sachstand des Verfahrens für die Zuerkennung des internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union“. Darin ist angekreuzt, dass der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt. Handschriftlich wurde ergänzt, dass er nach zehn Tagen freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt sei.
Mit Bescheid vom 26. Januar 2016, per Einschreiben am 17. Februar 2016 zur Post gegeben, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein (Nr. 1). Es stellte weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Nr. 2) und forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte, da der Antragsteller während des Verfahrens in den Heimatstaat zurückgekehrt sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG seien weder vorgetragen noch lägen sie nach den Erkenntnissen des Bundesamts vor.
Gegen diesen Bescheid erhoben die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 20. Februar 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (M 17 K 16.30306) und beantragten gleichzeitig,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ziffern 1 bis 3 des Bescheids anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag in Deutschland nicht vom Kläger zurückgenommen worden sei. Er sei auch nicht nach zehn Tagen aus Deutschland ausgereist. Vielmehr sei vom Kläger in dem dem Schriftsatz vom 11. Dezember 2015 beiliegenden Fragebogen angegeben worden, dass dieser seinen Antrag in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht weiterbetrieben habe, sondern nach zehn Tagen freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt sei.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 17 K 16.30306 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte erreichen, dass die kraft Gesetzes (§ 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 26. Januar 2016 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 AsylG angeordnet wird.
Der Antrag ist zulässig und begründet, da die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes ernsthaft zu bezweifeln ist (vgl. Art. 16a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylG).
1. Gemäß Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.), was nach ständiger Rechtsprechung aber nicht anzunehmen ist, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Abweisung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 5.2.1993 – 2 BvR 1294/92 – Inf-AuslR 1993, 196).
2. An der Rechtmäßigkeit der insoweit seitens des Bundesamts getroffenen Entscheidungen bestehen hier derartige ernstliche Zweifel:
Gemäß § 33 Abs. 2 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer während des Asylverfahrens in seinen Herkunftsstaat gereist ist. In diesem Fall ist das Verfahren von Amts wegen einzustellen (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014 zum wortgleichen § 33 AsylVfG, Rn. 22).
Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht erfüllt, da sich die Angabe des Antragstellers, er sei nach zehn Tagen freiwillig in den Kosovo zurückgekehrt, nach dem eindeutigen Wortlaut des Fragebogens, in dem diese Angabe gemacht wurde, auf ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bezog. In dem hier anhängigen Asylverfahren, das heißt dem auf dem Asylantrag vom 30. Oktober 2015 beruhenden Verfahren, ist der Antragsteller nicht zurückgereist. § 33 Abs. 2 AsylG verlangt aber ausdrücklich eine Heimreise „während des Asylverfahrens“, das heißt der Ausländer muss aus Deutschland in den Herkunftsstaat gereist sein (vgl. Marx, a. a. O., Rn. 23; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Juni 2015, § 33 AsylVfG Rn. 13).
Dem (gerichtskostenfreien, § 83b AsylG) Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben