Verwaltungsrecht

Schilderungen zum Verfolgungsschicksal nicht glaubhaft

Aktenzeichen  M 21 K 17.41915

Datum:
11.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 30 Abs. 1, § 78 Abs. 1

 

Leitsatz

An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar ist oder das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt wird. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Die Klage, über die das Gericht trotz Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2017 verhandeln und entscheiden konnte, weil die Beklagte rechtzeitig und unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO geladen worden ist, ist zulässig, aber offensichtlich unbegründet.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bescheides und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Die Ausführungen der Klägerin zu 1) sind insgesamt unglaubhaft.
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, gegenüber dem Tatgericht einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Das Vorbringen der Klägerin zu 1) zu ihrem Verfolgungsschicksal ist in sich widersprüchlich und absolut unglaubhaft. Hinsichtlich der behaupteten drohenden Beschneidung der Klägerin zu 2) hat die Klägerin zu 1) im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt selbst angegeben, das Ansinnen ihrer Schwiegermutter für einen Scherz gehalten zu haben. Zudem hat sie weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, warum es der Klägerin, die weder mit dem Kindsvater zusammengelebt noch mit dessen Familie vor seinem Tod überhaupt Kontakt hatte, nicht gelingen sollte, ihr Kind einer drohenden Beschneidung zu entziehen, zumal die Familie des Kindsvaters die Klägerin zu 1) in einer Stadt wie Lagos mit ihren über 18 Millionen Einwohnern kaum finden dürfte. Die Klägerin zu 1) hat überdies nach eigenen Angaben noch nicht einmal den Versuch unternommen hat, bei staatlichen Organisationen um Schutz zu bitten. Letztlich spricht auch die Tatsache, dass die Klägerin zu 1) nach diesem Anruf noch mehr als ein Jahr in Nigeria verbracht hat, bis sie sich zur Flucht entschlossen hat, gegen die Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens,.
Das Gericht schenkt auch dem weiteren Vortrag der Klägerin zu 1), sie habe eine Frau kennengelernt, die ihren Flug nach Italien sowie sämtliche weitere Kosten ihrer Flucht ohne Gegenleistung übernommen hat, keinen Glauben. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass die von der Klägerin zu 1) erwähnte „Madame“ mit der Übernahme sämtlicher Kosten in Vorleistung geht, nur auf das Versprechen hin, diese Schulden würden später abgearbeitet, dann versucht, die Klägerin zu 1) zur Prostitution zu bewegen und bei der schlichten Weigerung der Klägerin zu 1) diese ohne weitere Druckausübung oder etwa der Rückforderung ihrer Auslagen aus dem Haus wirft. Das Gericht teilt insoweit die Einschätzung des Bundesamtes, dass dieser Vortrag der Klägerin zu 1) einzig das Ziel verfolgt, ihre finanzielle Situation im Heimatland, die es ihr erlaubt hat, auf dem Luftweg ihr Land zu verlassen und in Europa einzureisen, zu verschleiern.
Die Klage ist nach alldem als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieses Urteil ist unanfechtbar.


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