Verwaltungsrecht

Schutzantrag eines afghanischen Hazara

Aktenzeichen  Au 6 K 16.30939

Datum:
23.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1. Die Sicherheitslage in Kabul ist als unverändert stabil anzusehen; trotz vieler ziviler Opfer liegt keine extreme allgemeine Gefahrenlage vor. (redaktioneller Leitsatz)
2. Für Rückkehrer aus dem Westen gibt es Perspektiven zur Sicherung des Lebensunterhalts aus eigener Kraft. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG liegen nicht (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Ein 9 reise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten ( § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Es ist stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht fest, dass das Vorbringen des Klägers hinsichtlich seines Verfolgungsschicksals nicht glaubhaft und damit nicht zutreffend ist. Es ist bereits nicht ganz klar, von wem er eigentlich bedroht worden sein soll, von den Taliban und/oder vom afghanischen Geheimdienst. Seine Aussagen dahingehend bleiben nur sehr vage und allgemein gehalten. Des Weiteren ist auch nicht nachvollziehbar, wieso er überhaupt bedroht worden sein soll, da er doch nur als Wachmann für eine christliche Organisation tätig gewesen sein will. Ein Interesse der Taliban oder des Geheimdienstes an der Person des Klägers scheint insoweit etwas weit hergeholt. Es ist aber bereits nicht glaubhaft, dass er überhaupt für diese Organisation tätig gewesen ist. Sein Wissen, das er insoweit detailliert preisgibt, betrifft Informationen, die jeder Zeit über Fernsehen und Internet recherchiert werden können, und beweist somit nicht, dass er dort auch beschäftigt war. Des Weiteren ist sein Vortrag auch widersprüchlich und gesteigert. So gab er bei der Anhörung beim Bundesamt bei spielsweise auf Frage, was er zuletzt gearbeitet habe, zuerst an, dass er als Maler gearbeitet habe. Dass er vier Jahre als Wachmann tätig war, erwähnt er zu diesem Zeitpunkt nicht. Dies gibt er erst an, als er zu seinem Verfolgungsschicksal gefragt wird. Erstmals im gerichtlichen Verfahren trägt er auch vor, dass er kurze Zeit nach dem Anschlag auf die Organisation nach Pakistan geflüchtet sei und er sich dort sieben Monate aufgehalten haben will. Beim Bundesamt ist er ausdrücklich gefragt worden, ob er von seinen „Verfolgern“ persönlich angetroffen worden sei. Daraufhin antwortete er, dass er geheim, versteckt gelebt habe. Dass er deshalb nach Pakistan geflüchtet ist, erwähnt er nicht, obwohl dies doch in diesem Zusammenhang mehr als naheliegend gewesen wäre. Sein Erklärungsversuch, dass die Niederschrift beim Bundesamt nicht vollständig bzw. nicht richtig sei, überzeugt insoweit nicht. Ihm wurde die Niederschrift damals rückübersetzt und er hatte keine Einwände. Widersprüchlich ist des Weiteren, dass er beim Bundesamt ausgesagt hat, dass weder die afghanische Regierung noch die Taliban seine Adresse gekannt hätten. Er habe von Freunden erfahren, dass er verfolgt werde. Demgegenüber hat er jetzt im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass sowohl während der 23 Tage, als er im Kartoffelloch versteckt gelebt habe, als auch während der sieben Monate, als er in Pakistan gelebt habe, Taliban und Geheimdienst bei ihm zu Hause nach ihm gesucht hätten. Nicht erklären konnte der Kläger zudem, wie er Vater eines am … 2016 geborene Kindes sein kann, wenn er sich neun bis zehn Monate vor der Geburt in Pakistan aufgehalten und dort keinen Besuch erhalten hat und auch nicht kurzzeitig in Afghanistan gewesen war.
2. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23).
Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger in Kabul als möglichem Zielort der Abschiebung weder aus seiner Volkszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v.19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris). Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2015 zur Lage in Afghanistan (im Folgenden: Lagebericht) ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten verändert habe. Darin war die Sicherheitslage in Kabul unverändert als stabil beschrieben worden. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, MA) führt zwar in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten Jahresbericht für 2015 an, dass sie im Jahr 2015 die höchste Zahl an zivilen Opfern seit 2009 dokumentiert hat. Nachdem es bereits in den Jahren 2013 und 2014 einen Anstieg in der Zahl der zivilen Todesopfer und Verletzten gegeben hatte, stieg im Jahr 2015 die Zahl der durch konfliktbedingte Gewalt getöteten und verletzten ZivilistInnen im Vergleich zum Jahr 2014 um vier Prozent auf 11.002 zivile Opfer (3.545 Tote und 7.457 Verletzte). Wie UNAMA erläutert, ist der Anstieg in der Gesamtzahl der zivilen Opfer vor allem durch eine Zunahme an komplexen Anschlägen und Selbstmordanschlägen sowie gezielten Tötungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu erklären. Darüber hinaus stieg auch die Zahl von Opfern, die durch Regierungskräfte im Zuge von Luft- und Bodengefechten verursacht wurden. UNAMA zu Folge führten komplexe Anschläge und Selbstmordanschläge in der Zentralregion, insbesondere in der Stadt Kabul, zu einem 18-prozentigen Anstieg in der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 (vgl. ACCORD: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, Stand: 5.7.2016, http: …www.ecoi.net/news/-188769::afghanistan/101 .allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie fuer-kabul.htm). Dass sich die Sicherheitslage in Kabul jedoch derart gravierend verschlechtert hat, dass der Kläger Gefahr liefe, dort alsbald einer extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein, ergibt sich auch aus den aktuellen Auskünften nicht (s. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5; zum bewaffneten Konflikt: BayVGH, B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 -Rn. 10 m.w.N).
Dem Kläger droht auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul. Der Kläger ist jung und gesund. Es wird ihm möglich sein, durch Gelegenheitsarbeiten sein Existenzminimum sicherstellen zu können. Hinzukommt, dass seine Familie in Afghanistan lebt. Er hat familiäre Anknüpfungspunkte, die ihm zumindest die Anfangssituation wieder erleichtern können. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12).
3. Gegen die Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten nach § 11 Abs. 7,
Abs. 1 und Abs. 6 AufenthG sind keine substantiierten Einwände erhoben worden; schutzwürdige entgegenstehende Belange des Klägers sind auch sonst nicht ersichtlich.
4. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben