Verwaltungsrecht

Schutzimpfung gegen Masern, Pflicht zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses über eine medizinische Kontraindikation, Streitiges Rechtsverhältnis

Aktenzeichen  25 CE 21.2383

Datum:
6.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33604
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1
VwGO § 123
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 Alt. 2, Abs. 13, 33 Nr. 1 bis 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 5 E 21.1516 2021-08-25 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die fristgerecht vorgebrachten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und dem im Beschwerdeverfahren weiterverfolgten Sachantrag der Antragstellerin zu entsprechen, im Wege einer einstweiligen Anordnung
vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen, dass das ärztliche Zeugnis vom 4. April 2020 zugunsten der Antragstellerin die gesetzlichen Anforderungen an ein Masernimpfbefreiungsattest bezüglich einer medizinischen Kontraindikation erfüllt.
Das Verwaltungsgericht, auf dessen Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Beschluss verwiesen wird, hat diesen Antrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Der Antragstellerin fehle es an einer Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog. Sie habe nicht schlüssig und plausibel dargelegt, dass ihr ein Anordnungsanspruch zustehen könne. Denn jedenfalls im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner bestehe kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, welches zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Hauptsacheverfahren führen könnte. Die Antragstellerin sei persönlich zu keiner Zeit verpflichtet worden, ein Attest vorzulegen; ihr sei auch nicht mit dem Ergreifen bußgeldrechtlicher Sanktionen gedroht worden. Vielmehr sei ein Übergang der Verpflichtung zur Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 IfSG wegen ihrer Minderjährigkeit gemäß § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG auf ihre personensorgeberechtigte Mutter erfolgt. Auch sei auf die Antragstellerin kein Druck ausgeübt worden, um ein bestimmtes verwaltungsrechtlich relevantes Verhalten zu erzielen. Denn mögliche bußgeldrechtliche Konsequenzen bei der Verletzung der Verpflichtung aus § 20 Abs. 12 Satz 1 i.V.m. Abs. 13 IfSG würden wiederum nicht die Antragstellerin – die gemäß § 12 Abs. 1 OWiG eine Ordnungswidrigkeit ohnehin nicht vorwerfbar begehen könne – treffen, sondern deren Mutter. Ein Betretungsverbot bezüglich der Schule könne die Antragstellerin ebenso wenig treffen, da gegenüber einer Person, die der Schulpflicht unterliege, das Betreten der Schule gemäß § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG gerade nicht untersagt werden könne. Im Übrigen sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auch unbegründet, weil das vorgelegte Attest vom 4. April 2020 – gemessen an den Anforderungen der Rechtsprechung des Senats – nicht geeignet sei, eine medizinische Kontraindikation nachzuweisen.
Mit ihrem Beschwerdevorbringen kann die Antragstellerin nicht durchdringen.
Das Verwaltungsgericht geht im angefochtenen Beschluss zurecht davon aus, dass im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO besteht, welches zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage im Hauptsacheverfahren führen und einen Anordnungsanspruch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begründen könnte.
Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19.09 – juris Rn. 24; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 12).
Gemessen daran besteht zwischen der Antragstellerin und dem Antragsgegner kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Denn die rechtlichen Beziehungen hinsichtlich der hier in Streit stehenden Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses über eine medizinische Kontraindikation bei einer Masernimpfung sind für den hier vorliegenden Fall, dass die nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG verpflichtete Person minderjährig ist, in § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG konkretisiert. Danach hat derjenige für die Einhaltung der die minderjährige Person nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht. Dieser Verpflichtungsübergang ist notwendig, da ein erheblicher Regelungsgehalt der Pflicht ansonsten wegen der Minderjährigkeit der überwiegenden Anzahl der Adressaten leerliefe (vgl. Kießling/Gebhard, IfSG, 2. Aufl. 2021, § 20 Rn. 71). Entsprechend wäre eine Verpflichtung der elfjährigen und im vorliegenden Verfahren nicht handlungsfähigen (Art. 12 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG) Antragstellerin weder geeignet noch erfolgversprechend. Eine bußgeldrechtliche Ahndung nach § 73 Abs. 1a Nr. 7c IfSG wäre mangels Verantwortlichkeit nach § 12 OWiG ausgeschlossen. Agierten die Personensorgeberechtigten – wie die Antragstellerin meint – lediglich als Vertreter oder Bekanntgabeadressaten, wäre § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG überflüssig. Bei Personen, die nicht handlungsfähig im Sinne des Art. 12 BayVwVfG sind oder für die ein Betreuer bestellt ist, sind Bescheide ohnehin bereits an den gesetzlichen Vertreter (z. B. Eltern gemäß § 1629 BGB, Betreuer gem. § 1902 BGB) zuzustellen (Art. 7 Abs. 1 VwZVG) und bekanntzugeben (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 50). Für die Behauptung der Beschwerdebegründung, der Gesetzgeber habe lediglich eine Vertretung, jedoch keine Übertragung der Verpflichtung auf die Sorgeberechtigten gewollt, ergeben sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/13452 S. 25 ff.) keine Anhaltspunkte. Inwieweit sich dies aus der Gleichstellung von Sorgeberechtigten mit Betreuern (§ 20 Abs. 13 Satz 2 IfSG) ergeben soll, erschließt sich dem Senat nicht. Die Beschränkung des Verpflichtungsübergangs auf den Betreuer nur für den Fall, dass die Erfüllung der Verpflichtungen nach § 20 Abs. 9 bis 12 IfSG zu seinem Aufgabenkreis gehört, ist vielmehr konsequent und vermag den Verpflichtungsübergang als solchen nicht infrage zu stellen.
Die Antragstellerin kann sich ferner nicht mit Erfolg auf die sog. „Damokles-Rechtsprechung“ (vgl. zu dieser Fallgruppe: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 43 Rn. 33) berufen, wonach das Interesse an der Vermeidung von Sanktionen, etwa in Fällen verwaltungsrechtsakzessorisch strafbaren Handelns und auf dem Gebiet des Ordnungswidrigkeitenrechts das qualifizierte Feststellungsinteresse für die vorbeugende Feststellungsklage begründet. Bei dieser Fallgruppe ist zwischen den Parteien eine Rechtslage nicht geklärt mit der Folge, dass der Kläger entweder ein Recht, das ihm seiner Meinung nach zusteht, nicht ausüben oder er sich der Gefahr aussetzen muss, dass die unerlaubte Tätigkeit mit einer Geldbuße oder einem Strafverfahren geahndet wird (vgl. BVerfG, B.v. 7.4.2003 – 1 BvR 2129/02 – NVwZ 2003, 856 – juris unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 17.1.1972 – I C 33.68 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 24.4.2015 – 3 BV 13.834 – juris Rn. 66). Diese Unsicherheit rechtfertigt ein schutzwürdiges anzuerkennendes Interesse für eine vorbeugende Feststellungsklage. In dem hier vorliegenden Fall bedarf es jedoch keiner eigenen fachgerichtlichen Klärung verwaltungsrechtlicher Zweifelsfragen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Bußgeld- oder Strafverfahren zu Lasten der Antragstellerin stehen. Denn durch die Pflichtenübertragung gemäß § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG wird hier ausschließlich für die Personensorgeberechtigten eine Verantwortlichkeit in Bußgeld- oder Strafverfahren nach § 73 Abs. 1a Nr. 7c IfSG i.V.m. § 20 Abs. 12 Satz 1, Abs. 13 IfSG begründet. Der im Bescheid vom 11. Juni 2021 enthaltene Hinweis, dass bei Nichtvorlage des angeforderten Nachweises innerhalb der gesetzten Frist ein Betretungsverbot (§ 20 Abs. 12 Satz 3 IfSG) verfügt werden kann, genügt diesen Anforderungen nicht, da es der Antragstellerin auch vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG zuzumuten wäre, gegen ein derartiges, im vorliegenden Fall wegen der Vorschrift des § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG rechtswidriges Verbot gerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO in Anspruch zu nehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 39 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (wie Erstinstanz).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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