Verwaltungsrecht

Schwierige Lebensverhältnissen im Senegal begründen kein Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  M 21 K 16.30127

Datum:
4.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Senegal ergibt sich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist und bei der Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 S. 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60 a Abs. 1 S. 1 AufenthG gewährt wird. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

Aufgrund des rechtzeitig gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung gilt der Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2017 gemäß § 84 Abs. 3 Halbs. 2 VwGO als nicht ergangen. Über die Klage ist aufgrund ihrer Beschränkung in der Hauptsache hinsichtlich der Verpflichtungsbegehren nur noch in Bezug auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden.
Die mit diesem Inhalt zulässige Klage ist unbegründet. Die vom Bundesamt getroffene Sachentscheidung ist im Hinblick auf die Zuständigkeit Deutschlands rechtmäßig – insofern wird gemäß § 84 Abs. 4 VwGO auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2017 Bezug genommen. Die getroffene Sachentscheidung verletzt die Klägerin im angefochtenen Umfang auch inhaltlich nicht in ihren Rechten, da sie keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Senegal ergeben sich weder aus den geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden noch im Hinblick auf eine extreme Gefährdung durch allgemeine Gefahren.
Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Aus der Menschenrechtskonvention leitet sich kein Recht auf Verbleib in einem Konventionsstaat ab, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Anderes kann nur in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.). Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf Senegal nicht vor.
Die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin begründen für sich gesehen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Im Zusammenhang mit den geltend gemachten Magen-Darm-Beschwerden ergibt sich aus der Bescheinigung vom 30. August 2016, dass die Klägerin in gutem Allgemeinzustand in die hausärztliche Entsorgung entlassen wurde. Auch die in dem Attest vom 6. März 2017 bescheinigten Beschwerden (Kopf-, Bauch-, und Knieschmerzen) sowie die ausstehenden Kontrollen im Nachgang zu den behandelten Magen-Darm-Erkrankungen beinhalten keine lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen.
Auch aus den schwierigen Lebensverhältnissen in Senegal ergibt sich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Bei den dort vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist und bei der Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird.
Eine extreme Gefährdungslage bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ausnahmsweise nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris LS 3 und Rn. 14; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38), liegt nicht vor.
Wann allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – juris Rn. 20; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Entsprechend diesem Maßstab liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen einer extremen Gefährdung nicht vor.
Zum einen geht das Gericht davon aus, dass es der Klägerin mangels schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen trotz ihres fortgeschrittenen Alters und der Reintegrationsschwierigkeiten bei einer Rückkehr nach mehreren Jahren möglich ist, im Senegal durch Gelegenheitstätigkeiten zumindest ihr Existenzminimum zu sichern. Zum anderen hat die Klägerin immer noch zwei im Senegal lebende Geschwister – unter anderem eine Schwester, bei der auch zwei Kinder von ihr leben. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass eine vorübergehende Unterstützung der Klägerin bei der Reintegration sowie eine finanzielle Unterstützung auch durch die in Deutschland lebende Tochter möglich ist, besteht keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für eine extreme Gefährdung der Klägerin durch eine Rückkehr in den Senegal.
Nach alledem ist die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht zu beanstanden – im Zusammenhang mit der Tenorierung des Bescheids wird gemäß § 84 Abs. 4 VwGO auf den Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2017 verwiesen. Das Vorbringen möglicher inlandsbezogener Abschiebungshindernisse im Zusammenhang mit der alters-, gesundheits-, und familiär bedingten Gesamtsituation der Klägerin sowie ihrer Unterstützung durch die in Deutschland lebende Tochter spielt im Rahmen der hier maßgeblichen asylrechtlichen Abschiebungsandrohung nach Maßgabe von § 34 AsylG keine Rolle und ist ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen des Aufenthaltsrechts zu klären (vgl. zur Bedeutung einer familiären Beziehung mit Beistandsgemeinschaft im Rahmen von § 60a Abs. 2 AufenthG Kluth in BeckOK-AuslR, 13. Edition, AufenthG, § 60a Rn. 15).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben