Aktenzeichen 6 ZB 18.493
Leitsatz
1 Ob eine Stichstraße beitragsrechtlich eine selbständige Ortsstraße bildet oder lediglich einen unselbständigen Teil der (Haupt-) Straße, von der sie abzweigt, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Verkehrseinrichtung vermitteln. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Stichstraßen sind grundsätzlich als unselbständig zu qualifizieren, wenn sie nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, das heißt – jedenfalls ungefähr – wie eine Zufahrt aussehen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn sie bis zu 100 m tief und nicht abgeknickt oder verzweigt sind (Fortführung von BayVGH BeckRS 2016, 42646). Dem Umstand, dass eine Straße straßenverkehrsrechtlich nicht als “Sackgasse” (Verkehrszeichen 357) beschildert ist, kommt beitragsrechtlich keine, auch keine indizielle Bedeutung zu. (Rn. 4 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 3 K 16.428 2017-12-07 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 7. Dezember 2017 – W 3 K 16.428 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 6.350,00 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Solche Zweifel wären begründet, wenn vom Rechtsmittelführer zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
Der Kläger wurde von der beklagten Gemeinde mit Bescheid vom 30. Juni 2015 zu einer Vorauszahlung auf den Beitrag für den Ausbau der Weinbergstraße in Höhe von 6.350,00 € herangezogen. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Es ist zum Ergebnis gelangt, der Vorauszahlungsbescheid sei nicht nur dem Grunde nach rechtmäßig, sondern auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Abzurechnende Ortsstraße im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG (in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung) sei die Weinbergstraße. Die von dieser abzweigende Stichstraße Am Steinbruch gehöre entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu, sondern bilde nach natürlicher Betrachtungsweise eine selbstständige Einrichtung, weshalb die nur an dieser gelegenen Grundstücke an der Aufwandsverteilung für den Ausbau der Weinbergstraße nicht zu beteiligen seien und der auf das klägerische Grundstück entfallende Anteil nicht ermäßigt werden müsse. Diese mit dem Zulassungsantrag angegriffene Wertung begegnet keinen Zweifeln, die in einem Berufungsverfahren geklärt werden müssten.
Ob eine Stichstraße (Sackgasse) schon eine selbstständige Ortsstraße bildet oder noch ein lediglich unselbstständiges „Anhängsel“ und damit einen Bestandteil der (Haupt-)Straße, von der sie abzweigt, bestimmt sich grundsätzlich – vorbehaltlich spezifischer, hier nicht in Rede stehender ausbaubeitragsrechtlicher Besonderheiten (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2012 – 6 CS 11.2636 – juris Rn. 9) – nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Verkehrseinrichtung vermitteln. Stichstraßen sind grundsätzlich als unselbstständig zu qualifizieren, wenn sie nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, das heißt (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Da eine Zufahrt typischerweise ohne Weiterfahrmöglichkeit endet, typischerweise nur eine bestimmte Tiefe aufweist und ebenso typischerweise gerade, also nicht in Kurven verläuft, ist dies regelmäßig dann der Fall, wenn sie bis zu 100 m tief und nicht abgeknickt oder verzweigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2012 – 6 ZB 09.1855 – juris Rn. 8; B.v. 17.2.2016 – 6 ZB 14.1871 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 22 zur vergleichbaren Abgrenzung im Erschließungsbeitragsrecht).
In Anwendung dieses Maßstabs hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der beim gerichtlichen Augenschein getroffenen Feststellungen und der bei den Akten befindlichen Unterlagen zutreffend angenommen, dass es sich bei der Stichstraße Am Steinbruch nicht um ein unselbstständiges „Anhängsel“ der Weinbergstraße handelt, sondern um eine eigene, selbstständige Ortsstraße. Der Senat teilt diese Bewertung. Die Stichstraße ist zwar „nur“ 84 m lang. Sie verläuft aber nicht gerade, sondern ausweislich der beim Augenscheintermin gefertigten Fotos in einer s-förmigen Kurve und sieht deshalb nicht wie eine bloße Zufahrt aus. Es sind keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine Abweichung von der genannten Regel rechtfertigen und trotz des kurvigen Straßenverlaufs eine beitragsrechtliche Bewertung als bloße unselbstständige Zufahrt zulassen. Dem Umstand, dass die Straße Am Steinbruch straßenverkehrsrechtlich nicht als „Sackgasse“ beschildert ist (Verkehrszeichen 357), kommt beitragsrechtlich keine, auch keine indizielle Bedeutung zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).