Verwaltungsrecht

Unterschutzstellung von Teilen von Natur und Landschaft durch Einzelanordnung, Abgrenzbarkeit des zu schützenden Objekts zur umgebenden Landschaft

Aktenzeichen  14 B 15.1245

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NuR – 2017, 639
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayNatSchG BayNatSchG Art. 12 Abs. 3
BNatSchG BNatSchG § 29 Abs. 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Wird dem Adressaten durch einen Verwaltungsakt ein Handeln, Dulden oder Unterlassen aufgegeben, muss das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass dieses nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Einem Verbot muss folglich auch entnommen werden können, auf welchen Geltungsbereich es sich bezieht. Die Konkretisierung dessen, was ge- oder verboten ist, muss in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben. (red. LS Andreas Decker)
2 Geschützte Landschaftsbestandteile iSv § 29 BNatSchG stellen eine Kategorie des Objektschutzes dar. Hieraus folgt, dass sich das zu schützende Objekt optisch hinsichtlich seiner Naturausstattung zur umgebenden Landschaft abgrenzen muss; in der Natur muss sich widerspiegeln, dass diese Schutzkategorie dem Objektschutz dient. (red. LS Andreas Decker)
3 Der Einordnung eines Schutzgegenstandes als Landschaftsbestandteil steht eine gewisse Ausdehnung ins Flächenhafte nicht entgegen, solange die bei natürlicher Betrachtung feststellbare Abgrenzbarkeit von der jeweiligen Umgebung gegeben ist. (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

Au 2 K 12.231 2013-09-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 12. September 2013 wird abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2012, ergänzt durch Bescheid vom 2. Dezember 2016, aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2012, ergänzt durch Bescheid vom 2. Dezember 2016, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts war daher abzuändern und der Bescheid aufzuheben.
I. Der streitgegenständliche Bescheid ist schon nicht hinreichend bestimmt.
Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG regelt die allgemeinen Bestimmtheitsanforderungen an einen Verwaltungsakt. Neben der Bestimmtheit der Behörde und des Adressaten muss die getroffene Regelung hinsichtlich Sachverhalt und Rechtsfolge genügend bestimmt sein. Dies ist dann der Fall, wenn der Wille der Behörde für die Beteiligten des Verfahrens, in dem der Verwaltungsakt ergeht, unzweideutig erkennbar und nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.7.1982 – 7 B 122.81 – Buchholz 316 § 37 VwVfG Nr. 1). Wird dem Adressaten durch einen Verwaltungsakt ein Handeln, Dulden oder Unterlassen aufgegeben, muss das Ziel der geforderten Handlung so bestimmt sein, dass dieses nicht einer unterschiedlichen subjektiven Beurteilung zugänglich ist. Einem Verbot muss folglich auch entnommen werden können, auf welchen Geltungsbereich es sich bezieht. Die Konkretisierung dessen, was ge- oder verboten ist, muss in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 37 Rn. 31).
Gemessen daran ist der Bescheid vom 30. Januar 2012 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 2. Dezember 2016 zu unbestimmt. Denn nach dem objektiven Empfängerhorizont kann weder dem Text des streitgegenständlichen Bescheids noch dem beigefügten Lageplan entnommen werden, auf welche konkreten Bäume sich die verbotenen Handlungen beziehen sollen. Der Bescheid spricht von einem auf der schraffierten Teilfläche im beigefügten Lageplan befindlichen Baumbestand bestehend aus fünf alten Kastanien, die die Beklagte unter Schutz stellen wolle. Tatsächlich befinden sich auf dieser Teilfläche jedoch sechs Kastanienbäume. Da die Bäume weder nummeriert sind noch deren Standort in der schraffierten Fläche eingezeichnet wurde, bleibt unklar, welcher Baum von der Unterschutzstellung ausgenommen worden ist. Der Hinweis der Beklagten in der E-Mail vom 13. Januar 2017, es handele sich bei der im Bescheid genannten Anzahl von „fünf“ um einen Schreibfehler, verfängt nicht, da auch im weiteren Verfahren, etwa in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 12. September 2013, die Vertreter der Beklagten erklärt haben, dass von den sieben auf dem Grundstück befindlichen Bäumen lediglich fünf unter Schutz gestellt worden seien (vgl. VG-Akte Bl. 88). Ebenso nicht nachvollziehbar ist die Einlassung der Beklagten in der E-Mail vom 13. Januar 2017, es sei vorrangig auf die zu schützende (schraffiert gekennzeichnete) Fläche abgestellt worden. Abgesehen davon, dass es in § 29 BNatSchG nicht um Flächenschutz, sondern um Objektschutz geht (dazu unten II.), steht dieser Hinweis ebenfalls im Widerspruch zur Aussage der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 12. September 2013.
II. Der Bescheid ist auch deshalb rechtswidrig, da der (geschützte) Landschaftsbestandteil in der Natur nicht als räumlich eindeutig abgrenzbares Einzelobjekt erkennbar ist.
Gemäß Art. 12 Abs. 3 BayNatSchG i.V.m. § 29 Abs. 1 BNatSchG können auch ohne Erlass einer Rechtsverordnung durch Einzelanordnung Teile von Natur und Landschaft, deren besonderer Schutz aus den dort näher in den Nummern 1 bis 4 genannten Gründen erforderlich ist, als geschützte Landschaftsbestandteile unter Schutz gestellt werden. Geschützte Landschaftsbestandteile stellen – auch bei einer Flächenhaftigkeit des Schutzgegenstands – eine Kategorie des Objektschutzes dar. Dies ist in der zu § 29 BNatSchG ergangenen Rechtsprechung und Literatur unbestritten und lässt sich nicht nur anhand von Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift eindeutig aus dem Gesetz ermitteln, sondern wird auch durch die Gesetzeshistorie sowie die zu den Vorgängerregelungen des § 29 BNatSchG ergangene frühere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt (vgl. dazu ausführlich BayVGH, U.v. 28.7.2016 – 14 N 15.1870 – juris Rn. 79 ff. m.w.N.).
Aus der Einordnung des § 29 BNatSchG als Instrument des Objektschutzes folgt, dass sich das zu schützende Objekt optisch hinsichtlich seiner Naturausstattung zur umgebenden Landschaft abgrenzen muss; in der Natur muss sich widerspiegeln, dass diese Schutzkategorie dem Objektschutz dient. Ausgehend vom Standpunkt des gebildeten, für den Gedanken des Natur- und Landschaftsschutzes aufgeschlossenen Betrachters muss die Objekthaftigkeit anhand von eindeutigen, objektivierbaren Merkmalen in der Natur zu erkennen sein. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich im konkreten Einzelfall anhand der jeweiligen Örtlichkeit (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2016 – 14 N 15.1870 – juris Rn. 103 m.w.N.). Als mögliche Abgrenzungskriterien kommen Besonderheiten in der Topographie, unterschiedliche Farbstrukturen und Zusammensetzung der jeweiligen Flora, gut erkennbare unterschiedliche Wuchshöhen oder sonstige optisch eindeutige, sich aus der Naturausstattung ergebende Unterscheidungsmerkmale in Betracht. Die optische Abgrenzbarkeit eines Landschaftsbestandteils kann sich dabei durchaus daraus ergeben, dass er (weitgehend) nur aus einer Gattung besteht und die Gattung – vor allem in den Randbereichen – optisch deutlich prägend erscheint (vgl. BayVGH, U.v. 28.7.2016 a.a.O.) Der Einordnung eines Schutzgegenstands als Landschaftsbestandteil steht eine gewisse Ausdehnung ins Flächenhafte nicht entgegen, solange die bei natürlicher Betrachtung feststellbare Abgrenzbarkeit von der jeweiligen Umgebung gegeben ist (vgl. Fischer-Hüftle/J. Schumacher/A. Schumacher in Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. 2010, § 29 Rn. 2). Aus dem Verweis in Art. 12 Abs. 3 BayNatSchG auf § 29 Abs. 1 BNatSchG folgt, dass es auch bei einer Unterschutzstellung durch Einzelanordnung ohne Erlass einer Rechtsverordnung ausschließlich um Objekte als Schutzgegenstand gehen kann.
Gemessen daran stellt der im Bescheid bezeichnete Baumbestand aus fünf Kastanien auf der schraffierten Teilfläche des beigefügten Lageplans keinen abgrenzbaren Landschaftsbestandteil i.S.d. § 29 Abs. 1 BNatSchG dar. Wie aus den sich in den Akten befindlichen Luftaufnahmen sowie den anlässlich des Augenscheins des Verwaltungsgerichts gefertigten Lichtbildern hervorgeht, befindet sich auf dem Grundstück der Klägerin im Biergarten eine Baumgruppe bestehend aus sieben Kastanienbäumen. Auch wenn Baum Nr. 7 etwas abgesetzt von den übrigen sechs Kastanienbäumen steht, lässt der Gesamteindruck – insbesondere aufgrund der einheitlichen Gattung – keine Abgrenzbarkeit der von der Beklagten als schutzwürdig angesehenen fünf Kastanien gegenüber den anderen Bäumen zu. Weder Besonderheiten in der Topographie des Grundstücks noch unterschiedliche Farbstrukturen lassen vorliegend diese Bäume als abgrenzbares Einzelgebilde in Erscheinung treten. Wenn die Beklagte meint, sie habe vorrangig auf die zu schützende (schraffiert gekennzeichnete) Fläche und weniger auf die genaue Anzahl der darauf befindlichen Bäume abgestellt, vermag diese Betrachtung die erforderliche Objekthaftigkeit gerade nicht zu begründen, da das zu schützende Objekt die Baumgruppe bestehend aus fünf Kastanien ist, die sich in der Natur gerade nicht von den beiden am Rand stehenden Kastanien abgrenzt.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass nach dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten – und von der Beklagten auch nicht bestritten – eine zeitnahe Entnahme der Bäume Nr. 4 (Standort innerhalb der schraffierten Fläche) und Nr. 7 (Standort außerhalb der schraffierten Fläche) wegen festgestellter Schäden empfohlen wird und daher die beiden Bäume isoliert betrachtet mangels Schutzwürdigkeit wohl nicht in den Landschaftsbestandteil hätten aufgenommen werden können. Denn die Frage der Abgrenzbarkeit des Landschaftsbestandteils zu seiner Umgebung ist unabhängig von der Frage der Schutzwürdigkeit der einzelnen Bestandteile zu bewerten. Ob für eine Unterschutzstellung von Baumbeständen nach § 29 BNatSchG sämtliche Bäume schutzwürdig sein müssen, bedarf vorliegend keiner Klärung.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Nichtzulassung der Revision: § 132 Abs. 2 VwGO.


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