Verwaltungsrecht

Verhängung einer Geldbuße als Disziplinarmaßnahme wegen Gewaltanwendung eines Lehrers gegen einen Schüler

Aktenzeichen  15 A 8/21 MD

Datum:
25.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 15. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0225.15A8.21MD.00
Normen:
§ 34 S 3 BeamtStG
§ 13 Abs 1 DG ST 2006
§ 34 S 3 BeamtStG
§ 13 Abs 1 DG ST 2006
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Die Gewaltanwendung eines Lehrers gegen einen Schüler kann mit einer Geldbuße als Disziplinarmaßnahme geahndet werden.(Rn.26)

Tenor

Unter Abänderung der Disziplinarverfügung des Beklagten vom 09.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2021 wird gegen den Kläger eine Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße in Höhe von 1.300,00 Euro verhängt.
Die darüberhinausgehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung, in der gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 2.000,00 Euro verhängt worden ist.
Er ist Beamter des Landes Sachsen-Anhalt im Rang eines Studienrates (Besoldungsgruppe A 13). Im Jahr 2018 hat der Kläger monatliche Bruttobezüge in Höhe von 5.543, 68 Euro erhalten. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des ihm vorgeworfenen Sachverhaltes war er an der berufsbildenden Schule „H…“ in Magdeburg als Lehrer tätig.
Am 14.09.2017 teilte der Schulleiter dem Landesschulamt mit, der Kläger habe am 13.09.2017, gegen 10.55 Uhr, gegenüber einem Schüler Gewalt angewandt. Der Kläger, welcher an diesem Tag Pausenaufsicht gehabt habe, habe zunächst ihn und einen anderen Schüler aufgefordert, zur Pause auf den Schulhof zu gehen. Die Schüler seien dennoch zur Toilette gegangen. Der Kläger sei den Schülern gefolgt und habe vor der Toilette gewartet. Nachdem die Schüler den Toilettenraum verlassen hätten, habe der Kläger einen Schüler zur Seite gedrängt und dem Schüler mittels „Polizeigriff“ den Arm auf den Rücken gedreht und auf den Weg zum Lehrerzimmer vor sich hergeführt. Vor dem Lehrerzimmer sei durch weitere Schüler ein Tumult entstanden, in dessen Folge der Kläger den Kopf des Schülers gegen die Wand gestoßen habe. Erst durch das Eingreifen eines anderen Lehrers sei der Kläger vom dem Schüler getrennt worden.
Der Kläger unterzog sich am 26.03.2018 einer (externen) amtsärztlichen Begutachtung. Der ärztliche Gutachterdienst kam in seiner Epikrise vom 03.08.2018 zu dem Ergebnis, der Kläger sei noch in der Lage, seinen Beruf als Lehrer auszuüben, wobei die Symptomatik einer psychiatrischen Erkrankung in Konfliktsituationen wieder auftreten könne.
Mit der angefochtenen Disziplinarverfügung vom 09.08.2019 sprach der Beklagte gegenüber dem Kläger eine Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro aus. Der Kläger habe dadurch, dass er dem Schüler am 13.09.2017 den Arm auf den Rücken gedreht, ihn vom Erdgeschoss bis zum Lehrerzimmer im ersten Obergeschoss geführt und ihn mit dem Kopf an die Wand gestoßen habe, ein Dienstvergehen begangen. Die Anwendung von physischer Gewalt sei auch zur Bewältigung von pädagogischen Konfliktsituationen und zur Durchsetzung der Hausordnung nicht erforderlich. Eine Züchtigung von Schülern sei nicht gestattet. Das Verhalten des Klägers erfordere als Disziplinarmaßnahme eine Geldbuße. Zu Gunsten des Klägers sei die bei ihm diagnostizierte mangelnde psychische Belastbarkeit, dass er bislang nicht disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten sei, und die lange Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zu seinen Lasten sei seine fehlende Einsicht und seine Absicht zu berücksichtigen, sein Vorgehen zu wiederholen, wenn es die Situation erfordere. Um dem Kläger die Schwere seines Fehlverhaltens vor Augen zu führen, sei eine fühlbare Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro angemessen, um den Kläger künftig zur Einhaltung der ihm obliegenden Dienstpflichten anzuhalten.
Gegen die Disziplinarverfügung vom 09.08.2019 legte der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2021 als unbegründet zurückwies.
Mit der am 10.05.2021 erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung. Zur Begründung trägt er vor:
Der der Disziplinarverfügung zugrunde gelegte Sachverhalt sei im Wesentlichen zutreffend. Als der Kläger die Schüler aufgefordert habe, das Schulgebäude zu verlassen und sich zur Pause auf den Schulhof zu begeben, habe sich der Schüler gewaltsam an ihm vorbeigedrückt, um in das Schulgebäude zu gelangen. Als der Kläger den Schüler habe festhalten wollen, habe dieser sich losgerissen und hinter verschiedenen Pfeilern im Vorraum versteckt. Als der Kläger sich vor der Toilette hingestellt habe, habe der Schüler versucht, sich hinter dem Kläger vorbeizudrücken. Er habe deshalb den Schüler am Arm gegriffen, und der Schüler habe versucht, sich zu wehren. Um den Schüler ruhig zu stellen und ins Lehrerzimmer zu bringen, habe er ihn in den „Abführgriff“ genommen und ins Lehrerzimmer gebracht, um dort dessen Identität feststellen zu können, weil der Schüler ihm nicht namentlich bekannt gewesen sei. Vor dem Lehrerzimmer habe er den Schüler nicht mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, sondern den Schüler im Rückenbereich gegen die Wand gedrückt, so dass der Kopf ebenfalls erst an der Wand zur Ruhe gekommen sei.
Mit dem „polizeilichen Abführgriff“ und dem Fixieren des Schülers an der Wand habe der Kläger gegen seine Wohlverhaltenspflicht nicht jedoch gegen das Züchtigungsverbot verstoßen. Angesichts der langen Verfahrensdauer sei eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr angezeigt. Zugunsten des Klägers seien seine bisherige Leistung und Führung zu berücksichtigen, die durch Unbescholtenheit geprägt sei, weil er weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten sei. Seine dienstlichen Aufgaben habe er bisher ordnungsgemäß wahrgenommen. Die bei ihm diagnostizierte Erkrankung führe bei besonders konfliktreichen Situationen zu einer mangelhaften psychischen Belastung. Es sei auch mildernd zu berücksichtigen, dass der Schüler durch sein Verhalten den Kläger ersichtlich provoziert habe. Durch den „polizeilichen Fesselgriff“ sei eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Schülers nicht eingetreten. Er habe keine Gelegenheit gehabt, sich beim Schüler entschuldigen zu können. Auf der Grundlage eines weiteren amtsärztlichen Gutachtens stünde zwischenzeitlich fest, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, seinen Beruf als Lehrer auszuüben. Es solle nun seine Umschulung für den allgemeinen Verwaltungsdienst erfolgen. Es komme wegen der Länge des Verfahrens und der fehlenden Wiederholungsgefahr allenfalls ein Verweis, gegebenenfalls auch eine mildere Geldbuße als angemessene Disziplinarmaßnahme in Betracht.
Der Kläger beantragt,
die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 09.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.04.2021 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Klageerwiderung trägt er vor: Die ausgesprochene Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro sei angemessen und verhältnismäßig. Bei dem „Abführ- oder Polizeigriff“ handele es sich um eine unmittelbare körperliche Gewalteinwirkung, die grundsätzlich geeignet sei, die Gesundheit zu schädigen. Der betroffene Schüler habe seiner Einlassung zufolge über Schmerzen am Arm geklagt. Das Verhalten des Klägers erfülle den Tatbestand einer Körperverletzung. Dem Kläger könne nicht zugutegehalten werden, dass der Schüler ihn provoziert habe. Es handele sich um ein Verhalten eines 17-jährigen Schülers, mit dem eine Lehrkraft jederzeit rechnen müsse. Der betroffene Schüler sei bislang nicht auffällig geworden. Die Pflichtverletzung betreffe den Kernbereich der Pflichten einer Lehrkraft. Die Anwendung von Gewalt in der Schule sei ein sensibles Thema, das in der Öffentlichkeit, insbesondere bei Lehrern und Eltern sehr kritisch gesehen werde. Ausweislich der Zeugenaussagen habe der Kläger weder den geschädigten Schüler noch die anderen anwesenden Schüler noch die Lehrkräfte nach dem Namen des Festgehaltenen gefragt. Es handele sich nicht um ein Augenblicksversagen des Klägers, weil die Rangelei einige Zeit angedauert habe. Der Kläger habe sich in keiner psychischen Ausnahmesituation befunden. Die Pausenaufsicht und das Zusammentreffen mit zu disziplinierenden Schülern sei ein ganz normaler Lehreralltag und könne nicht als extrem konfliktträchtig angesehen werden. Es könne insbesondere nicht von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen werden. Bei seiner abschließenden Anhörung vom 04.05.2018 habe der Kläger in keiner Form ein Bedauern oder eine Entschuldigung geäußert. Die lange Verfahrensdauer könne vorliegend nicht als mildernd angesehen werden. Auch wenn der Kläger nach Feststellung seiner Dienstunfähigkeit für den Schuldienst künftig in der Verwaltung tätig sein sollte, spräche dies nicht für die Unzweckmäßigkeit der Anordnung einer Geldbuße wegen mangelnder Wiederholungsgefahr.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtene Disziplinarverfügung in Form der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 2000,00 Euro ist insoweit rechtswidrig, als eine höhere Geldbuße als 1.300,00 Euro verhängt wurde, und verletzt den Kläger damit in seinen Rechten (§ 3 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt; DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Geldbuße ist in Höhe des überschießenden Teils unverhältnismäßig, weil unangemessen, und bedarf insoweit der Abänderung. Unter Berücksichtigung dessen erweist sich die ausgesprochene Disziplinarverfügung zur Überzeugung des Gerichtes auch in der überschießenden Höhe als unzweckmäßig, welches ebenso zur Aufhebung bzw. Abänderung durch das Disziplinargericht führt (§ 59 Abs. 3 DG LSA).
Nach § 59 Abs. 3 DG LSA prüft das Disziplinargericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Dies eröffnet dem Gericht in Abweichung von § 114 VwGO eine eigene Prüfungskompetenz und Ermessensentscheidung (Gesetzesbegründung zum gleichlautenden § 60 Abs. 3 BDG, BT-Drs. 14/4659, S. 48; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; OVG NRW, Beschl. v. 19.09.2007, 21 dA 3600/06.O; Bay. VGH, Beschl. v. 27.01.2010, 16 a DZ 07.3110, Bay. VGH, Beschl. v. 02.07.2012, 16 a DZ 10.1644; ausführlich VG Magdeburg, Urt. v. 18.12.2013, 8 A 15/13 MD; Urteil v. 27.11.2014, 8 A 5/14 MD; Urteil v. 29.09.2016, 15 A 13/16 MD alle juris).
Anders als sonst bei einer Anfechtungsklage ist das Disziplinargericht danach nicht nur gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darauf beschränkt, eine rechtswidrige Verfügung aufzuheben. Das Disziplinargericht prüft nicht nur, ob der dem Beamten zum Vorwurf gemachte Lebenssachverhalt tatsächlich vorliegt und disziplinarrechtlich als Dienstvergehen zu würdigen ist, sondern übt in Anwendung der in § 13 Abs. 1 DG LSA niedergelegten Grundsätze innerhalb der durch die Verfügung vorgegebenen Disziplinarmaßnahmeobergrenze selbst die Disziplinarbefugnis aus (vgl. zuletzt: BVerwG, Urt. v. 27.06.2013, 2 A 2.12; Beschl. v. 21.05.2013, 2 B 67.12; beide juris).
1. Zwar hat über die angefochtene Disziplinarverfügung nicht die zuständige Widerspruchsbehörde, sondern der Beklagte selbst entschieden. Denn gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 DG LSA wird der Widerspruchsbescheid von der obersten Dienstbehörde erlassen. Oberste Dienstbehörde des Klägers ist das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt.
Die oberste Dienstbehörde kann zwar ihre Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerspruch gegen eine Disziplinarverfügung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für die diesen zugeordneten Beamten übertragen (§ 42 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Eine solche Übertragung des Kultusministeriums liegt aber nicht vor. Mit dem Runderlass vom 09.01.2012 hat das Kultusministerium die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerspruch gegen eine Disziplinarverfügung nicht wirksam auf das Landesschulamt übertragen. Denn in Ziffer 3 des Runderlasses werden pauschal einzelne personalrechtliche Befugnisse, soweit sie dem Ministerium vorbehalten sind und diese Vorschriften eine Delegationsmöglichkeit vorsehen, übertragen. Dieser Anordnung ist bereits nicht zu entnehmen, welche konkreten Befugnisse übertragen werden sollen. Soweit mit der Anordnung die Entscheidung über den Widerspruch gegen eine Disziplinarverfügung dem Landesschulamt übertragen werden soll, ist das nicht von der Rechtsgrundlage des § 42 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gedeckt. Denn hiernach kann die Befugnis zur Entscheidung über den Widerspruch nur auf den unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten übertragen werden. Das Landesschulamt ist aber kein unmittelbar nachgeordneter Dienstvorgesetzter. Unmittelbar nachgeordneter Dienstvorgesetzter ist vielmehr der Direktor des Landesschulamtes (vgl. VG Magdeburg, B. v. 10.02.2022 – 15 B 14/21 MD – juris gemeldet). Darüber hinaus sollen nach dieser Anordnung nur personalrechtliche Befugnisse übertragen werden. Dass danach auch disziplinarrechtliche Entscheidungen auf einen nachgeordneten Dienstvorgesetzten übertragen werden sollen, ist nicht ersichtlich.
Dass der Beklagte als unzuständige Behörde über den Widerspruch des Klägers entschieden hat, führt zwar zu einer ermessensfehlerhaften Entscheidung. Diese Entscheidung wird jedoch dadurch geheilt, indem das Gericht vorliegend eine eigene Zweckmäßigkeitsentscheidung getroffen hat.
2. Die Würdigung der zugrunde zu legenden Feststellungen ergibt, dass der Kläger am 13.09.2017 durch die Anwendung von Gewalt gegen einen Schüler seine Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verletzt hat. Der diesbezügliche Sachverhalt ist geklärt und wird von dem Kläger auch eingeräumt. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts hat der Kläger dadurch schuldhaft ein – nicht unbedeutendes – innerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger durch sein Verhalten gegen das Züchtigungsverbot verstoßen hat. Gegen eine Züchtigung des Schülers spricht, dass eine Bestrafung des Schülers durch die Gewaltanwendung des Klägers nicht ersichtlich ist. Jedenfalls hat er durch seinen Übergriff auf einen Schüler seine Wohlverhaltenspflicht gemäß § 34 Satz 3 BeamtStG verletzt. Er hat den Schüler gegen seinen Willen unter Einsatz von körperlicher Gewalt zum Lehrerzimmer gebracht. Er hat den Arm des Schülers auf dessen Rücken gedreht, den Schüler mit auf den Rücken gedrehtem Arm zum Lehrerzimmer geführt und ihn vor dem Lehrerzimmer an die Wand gedrückt. Dadurch hat der Kläger Gewalt ausgeübt, ohne dazu berechtigt zu sein. Die in § 44 Abs. 4 SchulG LSA geregelten Ordnungsmaßnahmen, über die wegen der höheren Eingriffsintensität nur der Schulleiter oder die Lehrerkonferenz entscheiden dürfen, sehen keine Gewaltanwendung vor. Auch im Rahmen der dem einzelnen Lehrer zur Erfüllung seines Bildungs- und Erziehungsauftrages zustehenden Erziehungsmittel (Ermahnung, Auferlegung besonderer Pflichten, Wiederholung nachlässig gefertigter Arbeiten, zusätzliche häusliche Übungsarbeiten, besondere schulische Arbeitsstunden unter Aufsicht, mündlicher Tadel mit schriftlichem Vermerk, Wiedergutmachung eines angerichteten Schadens, Verweisung aus dem Unterrichtsraum sowie Ausschluss eines Schülers von einzelnen Schulveranstaltungen) ist die Ausübung von unmittelbarem Zwang oder sonstiger Gewalt durch einen Lehrer gegenüber einem Schüler nicht vorgesehen und nicht zulässig (vgl. hierzu: VG Münster, U. v. 19.04.2016 – 13 K 2455/15.0 -, juris, Rdnr. 19).
3. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor. Der Kläger kann sein Fehlverhalten nicht mit etwaigen Verstößen des Schülers gegen die Schulordnung rechtfertigen. Zur Ahndung oder weiteren Verhinderung eines solchen Verstoßes besteht keine Rechtsgrundlage für die Anwendung von körperlicher Gewalt gegen einen Schüler. Dass der Kläger aufgrund seines Gesundheitszustandes bei seinem Fehlverhalten schuldunfähig i. S. v. § 20 StGB war, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen wegen seiner psychischen Erkrankung auch nicht im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit i. S. v. § 21 StGB begangen. Im Disziplinarrecht hängt die Erheblichkeit i. S. v. § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab. Sie wird bei leicht einsehbaren Dienstpflichtverletzungen und strafbaren Handlungen nur in Ausnahmefällen (z. B. bei einer schwerwiegenden psychischen Persönlichkeitsveränderung) erreicht werden (VG Magdeburg, U. v. 08.03.2021 – 15 A 14/19 -, juris, Rdnr. 69 ff. m. w. N.). Bei der Anwendung von körperlicher Gewalt gegen einen Schüler durch einen Lehrer handelt es sich um die Verletzung einer leicht einsehbaren Kernpflicht des Beamten. Dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Dienstvergehens an einer seine Persönlichkeit verändernden schwerwiegenden psychischen Erkrankung litt, ist auch in Ansehung des ärztlichen Gutachtens vom 03.08.2018 nicht ersichtlich.
4. Die Auswahl der im Einzelfall erforderlichen Disziplinarmaßnahme richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten und der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Dazu sind die genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht zu ermitteln und in die Entscheidung einzustellen, um dem in Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot) zu genügen. Die Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalles in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen.
Die innerdienstliche Pflichtverletzung des Klägers betraf den Kernbereich der Pflichten einer Lehrkraft. Die Anwendung körperlichen Zwangs (oberhalb der Bagatellgrenze) gegen einen Schüler führt zu einer Beeinträchtigung des Vertrauens der Integrität der Lehrkraft beim Dienstherrn und bei der Allgemeinheit. Die Anwendung von Gewalt in der Schule ist ein sensibles Thema, das in der Öffentlichkeit, insbesondere von Lehrern und Eltern sehr kritisch gesehen wird. Jegliche Form des körperlichen Zwangs wird allgemein abgelehnt. Dabei wird nicht differenziert, ob es sich um Gewaltausübung in Züchtigungsabsicht oder um Gewalt im Sinne der Ausübung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung pädagogischer Maßnahmen handelt. Jedem Lehrer ist daher bekannt, dass ihm körperlicher Zwang, der eine gewisse über die Bagatellgrenze hinausgehende Intensität hat, untersagt ist. Das Führen des Schülers unter Anwendung von unmittelbarem Zwang zum Lehrerzimmer und das Drücken des Schülers an die Wand haben von der Intensität der Gewalteinwirkung die disziplinarerhebliche Bagatellgrenze deutlich überschritten. Hinzu kommt, dass der Schüler bereits 17 Jahre alt war und mehrere seiner Mitschüler den Vorgang beobachtet haben. Selbst unter Berücksichtigung von mildernden Umständen (lange Verfahrensdauer, seelische Erkrankung des Klägers) wäre ein Verweis angesichts des nicht nur geringfügigen Fehlverhaltens des Klägers keine ausreichende Disziplinarmaßnahme, um den Kläger wirksam von einem ähnlichen Fehlverhalten abzuhalten. Zu Recht ist der Beklagte demzufolge von der Auferlegung einer Geldbuße (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, § 7 DG LSA als angemessene Disziplinarmaßnahme ausgegangen.
Anders als der Beklagte sieht das erkennende Gericht jedoch die Auferlegung einer Geldbuße in Höhe von 1.300,00 Euro als ausreichend und angemessen an. Im Hinblick auf das angemessen zu würdigende Persönlichkeitsbild des Klägers ist als mildernder Umstand zu berücksichtigen, dass er weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist. Vor allem ist die lange Dauer des behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu Gunsten des Klägers mildernd zu berücksichtigen. Eine lange Dauer des Disziplinarverfahrens vermindert das disziplinarrechtliche Sanktionsbedürfnis, weil anzunehmen ist, dass das Verfahren selbst den Betroffenen belastet hat. Die in Folge des Zeitablaufs und aufgrund der veränderten Lebensumstände eingetretenen nachteiligen Wirkungen können der disziplinarrechtlichen Sanktion gleichkommen (vgl. zuletzt: VG Magdeburg, U. v. 30.06.2020 – 15 A 16/19 -, juris, Rdnr. 57 m. w. N.). Das dem Kläger vorgeworfene Fehlverhalten liegt mehr als vier Jahre zurück, und er ist seit mehr als vier Jahren einem Disziplinarverfahren ausgesetzt. Wegen der sehr langen Dauer des Disziplinarverfahrens und von ihm für den Kläger ausgehenden belastenden Wirkung ist die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro gegen ihn nicht mehr angemessen. Hinzu kommt, dass die Erkrankung des Klägers es ihm erschwert hat, angemessen auf das Verhalten des Schülers zu reagieren. Denn der ärztliche Gutachterdienst des Landes Sachsen-Anhalt ist in seiner Epikrise vom 03.08.2018 zu dem Ergebnis gekommen, bei dem Kläger könne in Konfliktsituationen ein Teil der Symptomatik seiner psychischen Erkrankung wieder auftreten.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist eine etwaige Provokation der Konfliktsituation durch den Schüler nicht zu seinen Gunsten mildernd zu berücksichtigen. Denn bei dem Verhalten des Schülers handelt es sich um eine schulalltägliche Situation, mit der eine Lehrkraft jederzeit rechnen muss. Ein Lehrer muss in der Lage sein, einem Fehlverhalten eines Schülers, das alltäglich vorkommen kann, ohne Gewaltanwendung zu begegnen.
Das Gericht folgt auch nicht der Argumentation des Klägers, wonach keine Wiederholungsgefahr mehr bestünde, weil er seinen Lehrerberuf aufgebe und sich für den allgemeinen Verwaltungsdienst umschulen lassen werde. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass er auch im allgemeinen Verwaltungsdienst Konfliktsituationen ausgesetzt sein wird, in denen man keine Gewalt anwenden darf. Aus diesem Grunde sieht das erkennende Gericht die Auferlegung einer Geldbuße als zweckmäßige Disziplinarmaßnahme zur Ahndung der Gewaltanwendung durch den Kläger an.
5. Der Auferlegung einer Geldbuße steht trotz der langen Zeitdauer seit der Vollendung des Dienstvergehens nicht das absolute Disziplinarmaßnahmeverhängungsverbot nach § 15 Abs. 4 Satz 2 DG LSA entgegen. Hiernach darf eine Disziplinarmaßnahme nicht mehr verhängt werden, falls seit der Vollendung des Dienstvergehens oder einer als Dienstvergehen geltenden Handlung das Doppelte der Zeit vergangen ist, nach deren Ablauf das Disziplinarmaßnahmeverbot wegen Zeitablaufs nach § 15 Abs. 1 – 3 DG LSA eintreten würde. Für die Disziplinarmaßnahme einer Geldbuße legt § 15 Abs. 2 DG LSA hierfür eine Frist von drei Jahren nach Vollendung des Dienstvergehens fest. Vorliegend sind seit der Vollendung des Dienstvergehens am 13.09.2017 bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch keine sechs Jahre, das Doppelte der Zeit nach § 15 Abs. 2 DG LSA (zwei mal drei Jahre) verstrichen.
6. Auch das Disziplinarmaßnahmeverbot des § 15 Abs. 2 DG LSA steht der Auferlegung einer Geldbuße nicht entgegen. Hiernach darf unter anderem eine Geldbuße nicht ausgesprochen werden, wenn seit der Vollendung eines Dienstvergehens mehr als drei Jahre vergangen sind. Denn gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 DG LSA beginnt mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens (14.12.2017), dem Erlass der Disziplinarverfügung (09.08.2019) und dem Erlass des Widerspruchsbescheides (22.04.2021) die Frist des
§ 15 Abs. 2 DG LSA jeweils neu zu laufen (vgl. zum Disziplinarmaßnahmeverhängungsverbot und zum Disziplinarmaßnahmeverbot: nur VG Magdeburg, U. v. 08.03.2021 – 15 A 14/19 -, juris).
Weil die Auferlegung einer Geldbuße in Höhe von 1.300,00 Euro angemessen und auch notwendig ist, um den Kläger von nicht gerechtfertigter Gewaltanwendung abzuhalten, ist seine darüberhinausgehende Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4 DG LSA, 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.


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