Verwaltungsrecht

Verlängerung der Übergangsfrist bei Novellierung der Lehramtsprüfungsordnung I

Aktenzeichen  7 CE 16.1861

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
UN-BRK UN-BRK Art. 24
GG GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
BV BV Art. 118a
LPO I § 123 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Verlängerung einer achtjährigen Übergangsfrist bei Inkrafttreten einer neuen Prüfungsordnung wegen Erkrankung oder Behinderung eines oder einer Studierenden ist weder nach dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG oder des Art. 118a Satz 1 BV noch nach der UN-Behindertenrechtskonvention geboten. (amtlicher Leitsatz)

Verfahrensgang

4 E 16.3766 2016-08-23 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt die Verlängerung der Übergangsfrist gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 der Ordnung der Ersten Prüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen (Lehramtsprüfungsordnung I – LPO I) vom 13. März 2008 in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. März 2008 (GVBl S. 180; BayRS 2038-3-4-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 22. Juli 2014 (GVBl S. 286), bis mindestens Herbst 2018. Nach dieser Vorschrift gilt die mit Wirkung vom 1. Oktober 2007 außer Kraft getretene alte Fassung der Lehramtsprüfung I für Prüfungsteilnehmer und -teilnehmerinnen weiter, die ihr Studium nach den bis dahin geltenden Bestimmungen bis einschließlich Wintersemester 2008/2009 aufgenommen haben und die Erste Staatsprüfung für ein Lehramt an öffentlichen Schulen spätestens zum Prüfungstermin Herbst 2016 ablegen.
Im Zeitpunkt der Antragstellung am 22. August 2016 war die Antragstellerin in einem Studiengang für das Lehramt an Gymnasien im 43. Fachsemester eingeschrieben. Obwohl sie bereits 2005 alle erforderlichen Studienleistungen bis auf die Zulassungsarbeit erbracht hatte, konnte sie die Prüfung wegen einer unheilbaren Krankheit bis heute nicht ablegen. Ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, den Antragsgegner zu verpflichten, die Übergangsfrist zu verlängern, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die achtjährige Übergangsfrist verhältnismäßig und angemessen sei, um auch Härtefällen vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung zu tragen. Eine zusätzliche Härtefallklausel darüber hinaus habe nicht vorgesehen werden müssen. Die Übergangsfrist sei besonders schonend ausgestaltet, weil sie weit über die Regelstudienzeit der betroffenen Studiengänge hinausgehe. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gebiete nicht, die Übergangsregelungen so auszugestalten, dass die Prüfung nach altem Modus so lange möglich sei, bis auch der letzte Student oder die letzte Studentin, die ihr Studium nach der alten Prüfungsordnung aufgenommen haben, dieses auch danach abgeschlossen haben. Den Interessen der Antragstellerin könne bei Anwendung der neuen Prüfungsordnung ggf. durch einen Nachteilsausgleich Rechnung getragen werden.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Die achtjährige Übergangsfrist möge angemessen sein, um typischen Studierenden einen Abschluss nach der alten Prüfungsordnung zu sichern. Die Übergangsfrist habe der Antragstellerin aber aufgrund ihrer Erkrankung faktisch nicht zur Verfügung gestanden. Werde die Übergangsfrist nicht verlängert, verstieße das gegen das Diskriminierungsverbot von Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 118a Satz 1 BV. Der besondere Schutz von Menschen mit chronischer Krankheit und Behinderung, insbesondere im Bildungsbereich gemäß Art. 24 Abs. 2 Buchst. c UN-Behindertenrechtskonvention, sei ein derart wichtiges Gemeinschaftsgut, dass demgegenüber die Gründe einer Ökonomisierungsvereinheitlichung nachrangig seien. Die Übergangsfrist werde dem Vertrauensschutz der Antragstellerin nicht gerecht, weil sie seit 2006 durchgehend erkrankt gewesen sei und sich auf die Rechtsänderung nicht habe einstellen können. Obwohl sie bereits bis 2005 fast alle erforderlichen Studienleistungen erbracht habe, müsse sie nunmehr ein vollständig neues Studium absolvieren. Ein Nachteilsausgleich sei nicht möglich, weil ihr die Ablegung der Prüfung nach der neuen Prüfungsordnung aus physischen Gründen unmöglich sei.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Akten beider gerichtlichen Instanzen Bezug genommen.
II.Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragstellerin nicht.
Die nahezu die doppelte Regelstudienzeit der betroffenen Studiengänge betragende achtjährige Übergangsfrist des § 123 Abs. 2 Satz 2 LPO I (vgl. Art. 57 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG) überschreitet den für einen typischen Fall erforderlichen Rahmen bei weitem. Sie wird auch ungewöhnlichen Fallgestaltungen und Härtefällen gerecht. Vereinzelt verbleibende Härtefälle, in denen – wie hier – nicht absehbar ist, wie lange die Übergangsfrist verlängert werden muss, um betroffenen Studierenden einen Studienabschluss nach der Altregelung zu ermöglichen, müssen gegenüber den Interessen an einem einheitlich geordneten neuen Prüfungsmodus, der den sich ändernden Ansprüchen an das Lehramt geschuldet ist, zurücktreten. Der Normgeber darf nach einer derart langen und schonenden Übergangsfrist einen Schlussstrich ziehen.
Die Antragstellerin wird nicht in einer durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 118a Satz 1 BV verbotenen Weise benachteiligt. Die achtjährige Übergangsfrist knüpft nicht an die Krankheit oder Behinderung der Antragstellerin an. Eine Benachteiligung im Sinn dieser Diskriminierungsverbote ist unabhängig davon aber nicht nur die Verschlechterung der Situation von Behinderten wegen ihrer Behinderung, beispielsweise indem ihnen der tatsächlich mögliche Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird oder Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustehen, verweigert werden. Eine Benachteiligung ist vielmehr auch dann gegeben, wenn behinderte Menschen durch die öffentliche Gewalt von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden, und dieser Ausschluss nicht durch auf ihre Behinderung bezogene Förderungsmaßnahmen hinlänglich kompensiert wird. Die Kompensationsmaßnahmen stehen jedoch unter dem Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen (BVerfG, B. v. 8.10.1997 – 1 BvR 9/97 – BVerfGE 96, 288).
Gemessen daran ist der Normgeber des § 123 Abs. 2 Satz 2 LPO I seiner Kompensationspflicht nachgekommen. Die außergewöhnlich lange Übergangsfrist ermöglicht es, dass auch Erkrankte und Behinderte weitestgehend einen Studienabschluss nach der Altregelung erreichen können. Soweit einzelne dennoch infolge von Krankheit oder Behinderung den Studienabschluss nicht schaffen, ist dies insbesondere den fehlenden organisatorischen Möglichkeiten geschuldet. Unbegrenzte Übergangsfristen belasten die Organisation des Lehr- und Prüfungsbetriebs über Gebühr und werden den geänderten Anforderungen an die berufliche Qualifikation der Absolventen des betroffenen Studiengangs nicht gerecht. Dies gilt auch im Hinblick auf den Vertrauensschutz der betroffenen Studierenden.
Ein Anspruch der Antragstellerin auf Verlängerung der Übergangsfrist ergibt sich auch nicht aus Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention – BRK). Die UN-Behindertenrechtskonvention ist auf die Erreichung der vereinbarten Ziele ausgerichtet, ohne die Zielerreichung in einer bestimmten Art und Weise festzulegen. Vielmehr gilt es, die in Art. 24 BRK proklamationsartig formulierten Ziele, u. a. des Zugangs von Menschen mit Behinderung zu allgemeiner Hochschulbildung (Art. 24 Abs. 5 BRK) durch von den Vertragsstaaten zu ergreifende Maßnahmen zu erreichen. Dem genannten Ziel dient die lange, achtjährige Übergangsfrist im Hinblick auf die Anwendung der neuen Prüfungsordnung. Begrenzt wird die Zielerreichung auch hier von den finanziellen und insbesondere den organisatorischen Möglichkeiten des jeweiligen Vertragsstaats (BayVGH, B. v. 4.9.2015 – 7 CE 15.1791 – juris). Auch insoweit darf der nationale Normgeber einen Schlussstrich im Hinblick auf die ausschließliche Geltung einer Neuregelung ziehen.
Nicht entscheidungserheblich ist, ob – sofern die Antragstellerin die erste Lehramtsprüfung unter Geltung der neuen Prüfungsordnung ablegt – ein Nachteilsausgleich aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist. Abgesehen davon reicht allein die unsubstantiierte Behauptung der Antragstellerseite, ein Nachteilsausgleich sei im Falle der Antragstellerin aus physischen Gründen nicht möglich, nicht hin, davon auszugehen, dass das individuelle Bild der Erkrankung und der Behinderung der Antragstellerin berücksichtigende Ausgleichsmaßnahmen nicht möglich sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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