Verwaltungsrecht

Versagung einer Niederlassungserlaubnis

Aktenzeichen  19 CS 17.37

Datum:
17.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 25b, § 28 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, Abs. 3, § 31, § 54 Abs. 2 Nr. 9

 

Leitsatz

Die nach Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 AufenthG schützt die Familie in erster Linie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Dieses Schutzes bedarf eine Hausgemeinschaft zwischen erwachsenen Familienangehörigen nicht, sofern nicht ein Familienmitglied auf wesentliche Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe im Sinne einer besonderen Beistandsgemeinschaft tatsächlich erbringt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 5 S 16.337 2016-12-11 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses, mit dem es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Versagung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sowie der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis – verbunden mit einer Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung – im Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. Januar 2016 anzuordnen.
Der Antragsteller trägt – in weitgehender Wiederholung seiner erstinstanzlichen Ausführungen – vor, er sei Vater eines volljährigen Sohnes mit deutscher Staatsangehörigkeit, mit dem er zusammenwohne und eine Lebensgemeinschaft im Sinne von Art. 6 GG bilde. Durch die Entscheidung der Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichtes werde der Antragsteller schlechter gestellt als ein Ausländer ohne Familienbindung zu deutschen Staatsangehörigen. Es liege eine Inländerdiskriminierung vor, weil der Antragsteller schlechter gestellt werde als die Personengruppe des § 25b AufenthG.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob dem Antragsteller ein Anspruch auf die Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels zusteht, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, B.v. 2.12.2014 – 1 B 21/14 – juris Rn. 6).
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass dem Antragsteller aufgrund der Volljährigkeit seines Sohnes kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zukommt; eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG kommt mangels Ausbildung des Sohnes nicht in Betracht.
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lägen sowohl hinsichtlich § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als auch hinsichtlich § 28 Abs. 2 AufenthG nicht vor, ist nicht zu beanstanden. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dem Ausländer eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Dahin stehen kann, ob der Antragsteller drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG war, da jedenfalls aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung wegen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu 15 Euro durch Urteil vom 9. Februar 2015 ein der Erteilung der Niederlassungserlaubnis entgegen stehendes Ausweisungsinteresse besteht (§ 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG). Die vom Antragsteller begangenen vorsätzlichen Straftaten durch mehrfaches Anmieten von Fahrzeugen und Überlassung der Fahrzeuge an den Sohn, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis ist, sind weder als vereinzelt noch als geringfügig im Sinne von § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG anzusehen. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich nicht als geringfügig anzusehen (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23/03 – juris Rn. 19 ff.). Das im Urteil des Amtsgerichts ausgesprochene Strafmaß von 50 Tagessätzen zu 15 Euro sowie die fortgesetzte Begehungsweise sprechen gegen vereinzelte und geringfügige Straftaten. Die Bejahung eines „Ausweisungsinteresses“ setzt auch nach der entsprechenden Begriffsänderung u.a. in der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.7.2015 (BGBl. I., S. 1386) nicht voraus, dass im konkreten Fall eine Ausweisung rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte (vgl. VGH BW, B.v. 25.8.2015 – 11 S 1500/15 – juris). Trotz des unterschiedlichen Gewichts der in § 54 AufenthG genannten Ausweisungsinteressen wird für die Regelerteilungsvoraussetzung des fehlenden Ausweisungsinteresses (zunächst) nicht weiter unterschieden oder gar eine Ausweisungsabwägung gemäß § 53 Abs. 1, 2 AufenthG getroffen (vgl. zum Parallelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG: Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 5 Rn. 47). Nachdem die Prüfung von Ausweisungsinteressen bei Erteilung eines Aufenthaltstitels dem Zweck dient, aktuell zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. §§ 53 ff. AufenthG abzuwenden (vgl. Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, AufenthG § 5 Rn. 55), kommt es für die Frage, ob im Zeitpunkt der Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Ausweisungsinteresse aktuell besteht, auf Art und Inhalt des jeweiligen Ausweisungsinteresses an (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 9/2015, § 5 Rn. 31 b). Die Bandbreite der schwerwiegenden Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 AufenthG, die von vorsätzlichen Straftaten mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) bis zu nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstößen gegen Rechtsvorschriften (§ 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 AufenthG) reicht, erfordert insoweit eine differenzierte Betrachtungsweise bei der Anwendung des Regel-Ausnahme-Systems (vgl. Hailbronner, AuslR, Stand 9/2015, § 5 Rn. 31).
Vorliegend fällt zwar die strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers mit 50 Tagessätzen zu 15 Euro gegenüber den sonstigen schwerwiegenden Ausweisungsinteressen des § 54 Abs. 2 AufenthG ab. Jedoch ist unter Berücksichtigung der fortgesetzten Begehungsweise auch nach bereits erfolgter Ahndung eines gleichartigen Delikts mit Strafbefehl vom 3. September 2014 von aktuell zu befürchtenden Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland, vom Nichtvorliegen eine Ausnahmefalls und somit von einem der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegen stehenden, beachtlichen Ausweisungsinteresse auszugehen.
Abgesehen davon fehlt es im Hinblick auf die seit September 2012 bestehende Volljährigkeit des Sohnes mangels konkreter Anhaltspunkte für eine besondere Beistandsgemeinschaft am Fortbestand einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die nach Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft im Sinne von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 2 AufenthG schützt die Familie in erster Linie als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Eine Familie als verantwortliche Elternschaft wird von der prinzipiellen Schutzbedürftigkeit des heranwachsenden Kindes bestimmt. Mit wachsender Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Kindes treten Verantwortlichkeit und Sorgerecht der Eltern zurück. Die Lebensgemeinschaft kann dadurch zur bloßen Haus- bzw. Begegnungsgemeinschaft werden, die Gemeinsamkeiten des Zusammenwohnens wahrt, jedem Mitglied der Familie im Übrigen aber die unabhängige Gestaltung seines Lebens überlässt (vgl. BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – juris). Volljährige Kinder lösen sich in der Regel mehr oder minder rasch aus dem elterlichen Haushalt. Sie leben häufig mit den Eltern nur dann noch eine gewisse Zeit zusammen, wenn sie auf diese aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen angewiesen sind. Maßgebend für die Schutzwürdigkeit des Zusammenlebens von erwachsenen Familienangehörigen in einem Haushalt ist vor allem das Maß des Angewiesenseins auf die Lebenshilfe, die durch die Familie ihrer Funktion gemäß gewährt wird (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.1982 – 1 C 29/81 – NJW 1982, 1958; BVerfG, B.v. 18.4.1989 – 2 BvR 1169/84 – NJW 1989, 2195). Bei einer Hausgemeinschaft zwischen erwachsenen Familienangehörigen ergeben sich daher nur dann weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 Abs. 1 GG, wenn ein Familienmitglied auf wesentliche Lebenshilfe angewiesen ist und ein anderes Familienmitglied diese Hilfe im Sinne einer besonderen Beistandsgemeinschaft tatsächlich regelmäßig erbringt ( vgl. OVG Berlin-Bbg., U.v. 21.5.2012 – OVG 2 B 8.11 – juris Rn. 29; BVerfG, B.v. 14.12.1989 – 2 BvR 377/88 -, InfAuslR 1990, 74, 75). Das Fortbestehen einer schützenswerten familiären Lebensgemeinschaft ist nur dann anzunehmen, wenn die Fortführung der Lebensgemeinschaft im Sinne einer Beistands- und Betreuungsgemeinschaft ernsthaft beabsichtigt ist und die beteiligten Familienmitglieder erkennbar in einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung weiterhin zusammen leben wollen (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 2/2017, AufenthG § 28 Rn. 31, beck-online). Erwachsene Kinder und Eltern sind in aller Regel nicht in besonderer Weise auf gegenseitigen Beistand angewiesen (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2015 – 19 ZB 15.558 – juris Rn. 20). Nur im Falle einer besonderen Lebenshilfe zwischen erwachsenen Familienangehörigen im Sinne einer Beistandsgemeinschaft ist die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern aufenthaltsrechtlich ähnlich zu bewerten wie die Ehe eines deutsch verheirateten Ausländers (BVerfG, B.v. 25.10.1995 – 2 BvR 201/95 -, juris Rn. 8; SächsOVG, B.v. 17.6.2013 – 3 B 316/12 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 -, juris Rn. 43; VGH BW; B.v. 9.2.2004 – 11 S 1131/03 -, juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 8.9.2010 – 2 M 91/10 -, juris Rn. 22). Die Tatsache allein, dass die erwachsenen Familienmitglieder in einer Hausgemeinschaft leben, begründet für sich genommen noch keinen ausreichenden Grad der Abhängigkeit.
Vorliegend sind Anhaltspunkte für eine fortwährende, besondere Beistandsgemeinschaft des Antragstellers zwischen ihm und seinem erwachsenen, gesunden Sohn weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Zusammenleben des Antragstellers mit seinem erwachsenen Sohn stellt sich vielmehr als bloße Hausgemeinschaft dar, der nicht gleichermaßen Schutzwürdigkeit zuzumessen ist wie der familiären Lebensgemeinschaft mit minderjährigen Kindern. Als ausländisches Elternteil eines volljährigen Deutschen ist der Antragsteller somit als sonstiger Familienangehöriger im Sinne von § 28 Abs. 4 AufenthG anzusehen; Anhaltspunkte für die Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG liegen insoweit ebenfalls nicht vor.
Offen bleiben kann, ob das Aufenthaltsrecht eines personensorgeberechtigten Elternteils deutscher Kinder im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nach einer dreijährigen familiären Lebensgemeinschaft mit den Kindern aufgrund der Verweisung in § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auf § 31 AufenthG zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht erstarken kann (so VGH BW, B.v. 2.12.2015 – 11 S 2155/15 – juris; HessVGH, B.v. 10.7.2014 – 3 B 730/14 – juris; VG Berlin, B.v. 6.12.2016 – VG L 283.16 – InfAuslR 2017, 146; Dienelt in Bergmann/Dienelt, a.a.O., § 28 Rn. 56 ff.). Da die Lebensgemeinschaft des Antragstellers mit seinem Sohn erst ab dem 1. April 2010 begründet wurde und bis zur Volljährigkeit seines Sohnes im September 2012 nur einen Zeitraum von zwei Jahren umfasste, bestand die schützenswerte familiäre Lebensgemeinschaft – unabhängig von der Dauer der erteilten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG – jedenfalls nicht für den seit dem 1. Juli 2011 (G.v. 23.6.2011, BGBl I S. 1266) erforderlichen Zeitraum von mindestens drei Jahren, so dass – die entsprechende Anwendung von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auf die familiäre Lebensgemeinschaft mit Kindern ausdrücklich offen lassend – die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegen.
Auch das nicht näher substantiierte Beschwerdevorbringen einer „Inländerdiskriminierung“ bzw. einer Diskriminierung gegenüber der Personengruppe nach § 25b AufenthG vermag der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25b AufenthG bereits daran scheitert, dass der Antragsteller weder im Besitz einer Duldung ist, noch in seiner Person Duldungsgründe gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG vorliegen.
Gemäß § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich – was die Vorschrift im Weiteren definiert – nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Nach der gesetzlichen Intention sollte durch diese Regelung im Interesse der Vermeidung von Kettenduldungen eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung geschaffen werden, um damit eine gesetzliche Lücke für sonstige Ausländer mit anerkennenswerten Integrationsleistungen, die nicht als qualifizierte Geduldete von § 18a AufenthG oder als Jugendliche oder Heranwachsende von § 25a AufenthG begünstigt werden, zu schließen (vgl. BT-Drs. 17/13424, S. 1 ff., 9 ff.). Ausländer, die bereits einen Aufenthaltstitel besitzen und sich deshalb in keiner ungesicherten Position (mehr) befinden, gehören nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht zu dem nach § 25b Abs. 1 AufenthG begünstigten Personenkreis (vgl. Zühlcke, HTK-AuslR, Stand 3/2017, § 25b AufenthG, Rn. 39). Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG setzt – entsprechend der gesetzgeberischen Intention, langjährig geduldeten Personen eine dauerhaft rechtlich abgesicherte Lebensperspektive in Deutschland zu eröffnen – eine bestehende Duldung, zumindest aber das Vorliegen von Duldungsgründen im Sinne von § 60a Abs. 2 AufenthG voraus. Dass bei den in § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG bestimmten Mindestaufenthaltszeiten auch Zeiten einer Aufenthaltsgestattung oder einer Aufenthaltserlaubnis anrechenbar sind, dient ausschließlich dazu, bei Personen mit gegenwärtig ungesichertem Aufenthalt zur Vermeidung von Härtefällen auch Zeiten anrechnen zu können, in denen ihnen vorübergehend ein Aufenthaltsrecht zugestanden hat (vgl. zu § 104a AufenthG OVG NRW, B.v. 30.7.2008 – 18 B 602/08 – juris Rn. 1; NdsOVG, B.v.24.6.2009 – 8 LA 81/09 – juris Rn. 3). Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs von § 25b AufenthG auf Ausländer, bei denen keine Duldungsgründe vorliegen, widerspräche insoweit der gesetzgeberischen Konzeption. Begünstigt werden nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur ausreisepflichtige Ausländer, deren letzter Rechtsstatus eine Duldung bildete, oder die zumindest die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung erfüllten. Ebenso wie die stichtagsgebundene Altfallregelung des § 104a Abs. 1 AufenthG dient § 25b AufenthG dazu, unter bestimmten Voraussetzungen Ausländern, die sonst weiterhin zu dulden wären, eine Aufenthaltserlaubnis zu vermitteln. Dies bedeutet, dass es aus gesetzessystematischen Gründen unzulässig ist, die Regelung in erweiternder Auslegung auf Ausländer anzuwenden, denen aus humanitären oder anderen Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist und die sich nach deren Auslaufen auf materielle Duldungsgründe nicht berufen können (vgl. für § 104a AufenthG BayVGH, B.v. 28.6.2011 – 10 ZB 10.705 -; B.v. 16.12.2009 – 10 CS 09.2134 – juris; VGH BW, B.v. 30.9.2008 – 11 S 2088/08 – juris; OVG NRW, B.v. 30.7.2008 – 18 B 602/08 – juris; so auch Hailbronner, AuslR, Stand 10/2015, § 25b Rn. 10). Die Auffassung, im Hinblick auf die (wegen ihrer indiziellen Bedeutung für eine Integration anrechenbaren) Zeiten, die nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG auch Aufenthaltszeiten mit Aufenthaltstiteln umfassen, müsse das Gesetz so gelesen werden, dass es „mindestens“ eine Duldung voraussetzt mit der Folge, dass auch Inhaber von (nach anderen Vorschriften erteilten) Aufenthaltstiteln antragsberechtigt sein können (vgl. Kluth in Kluth/Heusch, a.a.O., AufenthG, § 25b Rn. 6; Fränkel in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 25b Rn. 5), geht bereits deshalb fehl, weil der vom Gesetz geforderte Status (die Duldung) fortbestehen muss, ein auslaufender Aufenthaltstitel aber dieses Fortbestehenserfordernis nicht erfüllt (im Ergebnis ebenso Samel in Bergmann/Dienelt, a.a.O., AufenthG, § 25b, Rn. 9).
Ein Ausländer hält sich demzufolge immer dann i.S.d. § 25b Abs. 1 AufenthG geduldet im Bundesgebiet auf, wenn materielle Duldungsgründe i.S.d. § 60a Abs. 2 AufenthG vorliegen. Eine rein verfahrensbezogene Duldung (sog. Verfahrensduldung), die einen vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet nur für die Dauer eines Verfahrens ermöglichen soll, in dem es um die Frage geht, ob dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht oder zumindest ein (materieller) Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung (Duldung) zusteht, führt nicht zu einem geduldeten Aufenthalt i.S.d § 25b Abs. 1 AufenthG (offen gelassen von OVG RhPf, B.v. 14.9.2015 – 7 B 10780/15 – juris Rn. 9; zu § 25a AufenthG vgl. OVG NRW, B.v. 17.8.2016 – 18 B 696/16 – juris; NdsOVG, U.v. 19.3.2012 – 8 LB 5/11 – juris).
Bei dem Antragsteller ist die zuletzt erteilte, befristete Aufenthaltserlaubnis am 12. Juli 2014 abgelaufen und mit der Versagung der am 18. Juni 2014 beantragten Verlängerung durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 26. Januar 2016 auch die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entfallen. Anhaltspunkte für das Vorliegen materieller Duldungsgründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Der Antragsteller erfüllt damit nicht die Voraussetzungen des § 25b AufenthG. Der Verweis auf eine nicht näher dargelegte „Inländerdiskriminierung“ ist insoweit unbehelflich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG, wobei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der sogenannte Auffangstreitwert halbiert wird.
Mangels Erfolgsaussicht des Rechtsmittels war der Antrag auf Prozesskostenbeihilfe und Anwaltsbeiordnung für das Beschwerdeverfahren abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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