Verwaltungsrecht

Verwerfung einer Berufung als unzulässig durch Beschluss, Verspätete Berufungsbegründung, Keine Wiedereinsetzung

Aktenzeichen  24 B 20.1982

Datum:
28.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16859
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124a Abs. 3, Abs. 6
VwGO § 125 Abs. 2
VwGO § 60 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 17 K 17.2207 2017-12-14 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Berufung wird verworfen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 178,61 Euro festgesetzt.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 1. September 2020 (14 ZB 18.279), der der Beklagten am 8. September 2020 zugestellt wurde, wurde die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.
Mit Schreiben vom 12. Oktober 2020 wies der zuvor zuständige Senat darauf hin, dass die Frist für die Berufungsbegründung abgelaufen sei, ohne dass eine Berufungsbegründung oder ein Antrag auf Fristverlängerung eingegangen sei. Der Senat beabsichtige, gemäß § 125 Abs. 2 VwGO die Berufung ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen; es werde Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
Die Beklagte trug mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2020 vor, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Zudem werde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Den Zulassungsbeschluss habe die Beklagte ausweislich des Empfangsbekenntnisses mit einer Kostenrechnung erhalten. Die Person, die den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt habe, sowie zwei weitere routinierte Personen seien nicht mehr mit der Klagebearbeitung betraut. Eine zeitnahe Nachbesetzung habe sich wegen der Corona-Pandemie als schwierig herausgestellt. Es sei am 16. September 2020 lediglich eine erst seit April mit der Klagebearbeitung betraute Person und eine in Teilzeit arbeitende Person verblieben. Die Beschäftigten der Beklagten hätten wegen der Corona-Pandemie im Homeoffice gearbeitet, die Post sei aber in regelmäßigen Abständen durchgesehen und bearbeitet worden. Es sei zu einem hohen Arbeitsaufkommen bei den Klagesachbearbeitern gekommen. Die Kostenrechnung sei am 16. September 2020 von der äußerst zuverlässigen, aber erst seit Ende April mit der Klagebearbeitung betrauten Person nebst zahlreichen anderen Verfahren bearbeitet worden. Diese habe aufgrund von Unerfahrenheit und Arbeitsüberlastung übersehen, dass mit dem beiliegenden Beschluss die Frist zur Begründung der Berufung beginne. Normalerweise würden bei der Beklagten, die den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt habe, Fristsachen auf einen entsprechend gekennzeichneten Platz gelegt, von der Sachbereichsleitung priorisiert und die Dauer der Frist über ein Post-IT oder über eine farbliche Hervorhebung kenntlich gemacht und von der Sachbereichsleitung dem jeweiligen Bearbeiter zugeordnet. Statt auf den Fristenstapel gelegt, sei der Beschluss gemeinsam mit der Kostenrechnung abgelegt worden. Daher sei er nicht von der Person zur Kenntnis genommen worden, die für die Einreichung der Berufungsbegründung sonst zuständig gewesen sei. Es sei daher nach den Grundsätzen vom Empfangsfehler von einer Unkenntnis der Beklagten vom Fristbeginn auszugehen, jedenfalls liege kein Verschulden der Behörde vor. Die eingesetzte Person sei zwar erst seit Ende April mit der Klagebearbeitung betraut, aber höchst zuverlässig und sei auch bezüglich der Behandlung von Fristsachen entsprechend instruiert. Zudem bedürfe es in diesem Fall keiner separaten Begründung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Berufung (§ 124a Abs. 6 VwGO) war abzulehnen, da die Wiedereinsetzungsgründe nicht glaubhaft gemacht wurden.
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).
Die Beklagte hat erst nach Anhörung der Beteiligten nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Die Wiedereinsetzungsgründe müssen dargelegt und nach § 294 ZPO glaubhaft gemacht werden (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 60 Rn. 33 f.). Glaubhaftmachung erfordert, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ihres Vorliegens darzutun; nicht erforderlich ist – im Gegensatz zum Beweis – eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Es sind alle Beweismittel (Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Augenschein, Parteivernehmung und – vor allem – Versicherung an Eides statt) zugelassen, sofern die Beweisaufnahme unmittelbar erfolgen kann.
Der Antrag war abzulehnen, da dem Vortrag jegliche Mittel der Glaubhaftmachung fehlen. Die Umstände, die zur Fristversäumnis führten, werden vielmehr lediglich von der Unterzeichnerin des Schriftsatzes behauptet. Es wurde weder der Name der Person, die die Kostenrechnung bearbeitet hat mit ladungsfähiger Anschrift angegeben noch eine eidesstattliche Versicherung o.ä. vorgelegt. Auch die sonstigen Beschäftigten der Beklagten, die im Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 erwähnt wurden, werden nicht mit Namen genannt. Dies genügt für eine Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe nicht.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 14. Dezember 2017 ist gemäß § 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 5 und § 125 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO begründet worden ist. Die Beteiligten wurden hierzu angehört (§ 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. September 2020, mit dem die Berufung in dem vorliegenden Verfahren zugelassen worden ist, wurde der Beklagten laut Empfangsbekenntnis am 8. September 2020 zugestellt. Dem Beschluss war eine Belehrung über die Notwendigkeit der Berufungsbegründung, deren Frist und sonstige Modalitäten beigefügt.
Die Frist von einem Monat für die Begründung der zugelassenen Berufung (§ 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO) lief damit am 8. Oktober 2020 ab, ohne dass eine Begründung oder ein Antrag auf Verlängerung der Frist (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 3 VwGO) eingegangen ist.
Die Beklagte bringt vor, das Berufungsbegehren, der Umfang und die Gründe ergäben sich bereits aus dem Antrag auf Zulassung der Berufung. Sie habe durch Zahlung der Kostenrechnung konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie an der Berufung festhalte. Der Zweck der Begründungspflicht bestehe darin, dass der Berufungskläger eindeutig klarstelle, dass er die Berufung durchführen wolle und weshalb er sie für begründet halte, was hier bereits mit dem Zulassungsantrag erfüllt sei. Die Berufung sei wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen worden, daher stelle § 124 a Abs. 6 VwGO eine ihres Sinnes beraubte Formvorschrift dar, die dazu führen würde, dass ein unrichtiges Urteil bestehen bliebe.
Das Vorbringen der Beklagten überzeugt nicht, vielmehr hätte sie nach der Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen müssen. Diese Anforderung ist unverzichtbar, es genügt nicht, dass die Anträge und die Begründung der Berufung schon im Antrag auf Zulassung der Berufung enthalten waren. Das Erfordernis einer fristgebundenen, nach Zulassung der Berufung einzureichenden Berufungsbegründung gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist kein bloßer Formalismus. Es dient in erster Linie der Klarstellung durch den Berufungsführer, ob, in welchem Umfang und weshalb er an der Durchführung des Berufungsverfahrens ggf. auch unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen festhalten will. Da bei einem erfolgreichen Zulassungsantrag das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt wird und es keiner Einlegung der Berufung bedarf (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO), hat das durch das 6. VwGO-Änderungsgesetz in den Rang einer Zulässigkeitsvoraussetzung erhobene Erfordernis der Berufungsbegründung an Bedeutung gewonnen. Mit dem Berufungsbegründungsschriftsatz dokumentiert der Berufungskläger nach Erlass des Zulassungsbeschlusses, dass er an dem Berufungsverfahren ggf. auch bei nur teilweise zugelassener Berufung noch interessiert ist. Unzumutbares wird ihm damit nicht abverlangt. Soweit er im Zulassungsantrag bereits erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt und seine Berufungsanträge formuliert (§ 124a Abs. 6 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 VwGO). Es wird von ihm daher in solchen Fällen gerade nicht verlangt, eine völlig gleichlautende Berufungsbegründungsschrift (nochmals) einzureichen. Die Notwendigkeit eines gesonderten fristgebundenen Schriftsatzes nach Erlass des Zulassungsbeschlusses dient (auch) der Verwirklichung des Beschleunigungsgedankens, denn es entlastet das Berufungsgericht beim Ausbleiben der Berufungsbegründung von der häufig aufwendigen Sichtung und Prüfung, ob schon die Begründung des Zulassungsantrags die erforderlichen Elemente einer Berufungsbegründung enthält. Andernfalls träten an die Stelle klarer prozessualer Kriterien Elemente wertender Würdigung (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, B.v. 18.9.2013 – 4 B 41.13 – juris Rn. 5 ff.; BVerwG, U.v. 7.1.2008 – 1 C 27.06 – juris Rn. 11 ff., jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2021 – 10 B 21.522 – juris Rn. 11; ferner Roth in Posser/Wolf, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2021, § 124a Rn. 94ff.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 98 f.; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 124a Rn. 148).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 3 GKG.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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