Verwaltungsrecht

Verwirkung der Klagebefugnis gegen dienstliche Beurteilung

Aktenzeichen  M 5 K 14.5768

Datum:
1.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 242

 

Leitsatz

Die Verwirkung des Klagerechts gegen eine dienstliche Beurteilung tritt ein, wenn der Beamte während eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt wurde, er werde gegen die Beurteilung nichts mehr unternehmen. Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ein Zeitraum von 29 Monaten zwischen Eröffnung der Beurteilung und Klageerhebung spricht für die Verwirkung.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist abzuweisen, da sie unzulässig ist.
1. Der Kläger hat das Recht auf gerichtliche Überprüfung der Beurteilung vom … Juli 2011 verwirkt.
a) Die Verwirkung als Hauptanwendungsfall des venire contra factum proprium (Verbot widersprüchlichen Verhaltens) bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches/BGB analog) erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BVerwG, Urteil vom 7.2.1974 – III C 115.71 – juris Rn. 18; BayVGH, Urteil vom 7.8.2001 – 8 A 01.40004 – VGHE 54, 130 m. w. N. – juris Rn. 21).
Die Verwirkung sowohl eines materiellen Rechts als auch des prozessualen Klagerechts kann im Beamtenrecht hinsichtlich einer dienstlichen Beurteilung eintreten, wenn der beurteilte Beamte während eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich des Anspruchs nichts mehr unternehmen. Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (OVG NRW, Beschluss vom 25.1.2012 – 6 A 681/11 – juris Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 13.11.1975 – 2 C 16.72 – BVerwGE 49, 351 – juris Rn. 34; BayVGH, Beschluss vom 22.5.2014 – 3 ZB 14.284; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23.1.2014 – 1 L 138/13 – juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 20.12.2013 – 1 B 1329/13 – juris Rn. 15; NdsOVG, Beschluss vom 6.12.2012 – 5 ME 258/12 – ZBR 2013, 209 – juris Rn. 6; VGH BW, Beschluss vom 13.10.2010 – 4 S 213/09 – NVwZ-RR 2009, 967 – juris Rn. 9).
Der Zeitraum der Untätigkeit, um von einer Verwirkung ausgehen zu können, ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Da es sich bei einer dienstlichen Beurteilung nicht um einen Verwaltungsakt handelt, ist die für die Anfechtung eines Verwaltungsaktes geltende Jahresfrist nach §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht anwendbar (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 32). Eine schematische Anwendung eines anderen Zeitraums – etwa den der Beurteilungsperiode (so: VGH BW, a. a. O.; OVG Sachsen-Anhalt, a. a. O.) – verbietet sich. Es kommt vielmehr neben einem längeren Zeitraum zusätzlich auf die während dieser Zeit hinzugetretenen Umstände an (BayVGH vom 22.5.2014, a. a. O. – juris Rn. 9; Zängl in Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2015, Art. 54 LlbG Rn. 17).
Dabei ist zu beachten, dass das Beamtenverhältnis als besonderes Dienst- und Treueverhältnis Ausstrahlungswirkung auf das auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhende Rechtsinstitut der Verwirkung hat, gerade auch hinsichtlich der Ausübung des Rechts, eine dienstliche Beurteilung einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Hinzu kommt, dass eine Nachprüfung einer dienstlichen Beurteilung umso schwieriger wird, je länger der seit deren Eröffnung verstrichene Zeitraum ist. Auch um Klarheit für beide Seiten zu schaffen, ist für den Regelfall zu fordern, dass die Anfechtung der dienstlichen Beurteilung alsbald erfolgt (so ausdrücklich: BVerwG, Urteil vom. 13.11.1975 – 2 C 16.72 – BVerwGE 49, 351 – juris Rn. 36; VG München, Urteil vom 27.05.2014, M 5 K 13.2058 – juris Rn. 15).
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger sein Klagerecht gegen die ihm am … Juli 2012 eröffnete dienstliche Beurteilung vom … Juli 2011 für den Beurteilungszeitraum 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2010 verwirkt, da er erst am 29. Dezember 2014 hiergegen Klage erhoben hat.
Zwischen Eröffnung der dienstlichen Beurteilung und Klageerhebung liegt ein Zeitraum von mehr als 29 Monaten. Bei einer derart langen Zeitspanne sind für eine Verwirkung an die hinzutretenden Umstände keine erhöhten Anforderungen zu stellen.
Während dieses langen Zeitraums unternahm der Kläger nichts, um die Beurteilung einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen. Seine bloße Ankündigung, er werde gegen die Beurteilung vorgehen, falls er aufgrund dieser Nachteile in Bewerbungsverfahren erleide, genügt nicht. Er blieb damit nach den Umständen des vorliegenden Falls unter Verhältnissen untätig, unter denen er vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts hätte unternehmen müssen. Ihm hätte jederzeit die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, die Beurteilung einer förmlichen Überprüfung zu unterziehen, sei es im Wege des Widerspruchs- oder Gerichtsverfahrens. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Anforderungen für die Auslösung einer rechtlichen Überprüfung einer dienstlichen Beurteilung gering sind und – jedenfalls nach dem im bayerischem Landesrecht statthaften Widerspruchsverfahren in beamtenrechtlichen Angelegenheiten (Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 des Ausführungsgesetzes zur Verwaltungsgerichtsordnung/AGVwGO) -der Beamte sich dabei keinerlei Kostenrisiko aussetzen muss. Das gilt auch für das ebenfalls kostenfreie Einwendungsverfahren. Stattdessen verwendete der Kläger die dienstliche Beurteilung in mehreren Bewerbungsverfahren, unter anderem für die Stelle, die der Beamte derzeit innehat. Dieses Verhalten erfüllt neben dem Zeitmoment auch das Umstandsmoment der Verwirkung.
Es stellt ein für das Institut der Verwirkung maßgebliches widersprüchliches Verhalten dar, wenn der Kläger einerseits nach außen hin die dienstliche Beurteilung als zutreffend akzeptiert und bei Bewerbungen verwendet, gleichwohl über Jahre hinweg keine rechtliche Prüfung einleitet. Die Landeshauptstadt durfte vielmehr davon ausgehen, dass der Kläger nach gut zweieinhalb Jahren und mehreren Bewerbungen die Beurteilung akzeptiert und nicht mehr anfechten werde.
2. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1, 2 des Gerichtskostengesetzes.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.


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