Aktenzeichen B 6 S 17.800
AufenthG § 3, § 46, § 48, § 95 Abs. 1 Nr. 5
AufenthV , § 56 Abs. 1 Nr. 2
VwVfG Art. 28 Abs. 1, Art. 44 Abs. 2 Nr. 4,Art. 45 Abs. 1 Nr. 3
AsylG § 15
Leitsatz
Tenor
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, äthiopischer Staatsangehöriger, reiste am … in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am … einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom … als offensichtlich unbegründet ablehnte, verbunden mit einer Abschiebungsandrohung nach Äthiopien unter Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 06.12.2016, rechtskräftig seit 23.01.2017, ab, nachdem mit Beschluss vom 19.04.2016 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung angeordnet worden war.
Mit Schreiben vom 23.12.2016 teilte die Ausländerbehörde dem Antragsteller mit, dass er verpflichtet sei, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Bis zu seiner Ausreise bzw. während seiner Ausbildung zum Bäcker werde sein Aufenthalt nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG geduldet. Um aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen zu können und seine Passpflicht zu erfüllen, benötige er als äthiopischer Staatsangehöriger einen Reisepass der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien. Ein solcher sei baldmöglichst, spätestens bis zum 31.01.2017 vorzulegen. Beantragen könne er den Reisepass beim Generalkonsulat der Demokratischen Bundesrepublik Äthiopien, … Er werde um Beachtung gebeten, dass er als geduldeter Ausländer nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG der Passpflicht unterliege und ein Aufenthalt ohne gültigen Reisepass in der Bundesrepublik Deutschland eine Straftat darstelle (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Im Übrigen sei er bereits bei der Beantragung einer Erlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung auf seine Mitwirkungspflichten bei seiner Identitätsfeststellung hingewiesen worden.
Mit Schreiben vom 21.04.2017 teilte das bfz … der Ausländerbehörde mit, Herr …, der den Antragsteller ehrenamtlich begleite, habe zur Identitätsklärung einen Rechtsanwalt in Äthiopien (* …*) beauftragt. Nach der bisherigen Rückmeldung übernehme der Anwalt die Aufgabe.
Am 16.05.2017 wurde dem Antragsteller von der Ausländerbehörde eine Belehrung über die Mitwirkungspflichten nach § 15 AsylG, die Passpflicht nach § 3 AufenthG, die Verpflichtung zu wahren Angaben zur Identitätsklärung, § 49 Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 3 AufenthG ausgehändigt.
Mit Schreiben vom 06.07.2017 an die Ausländerbehörde zeigten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers dessen Vertretung im Verwaltungsverfahren an und trugen vor, der Antragsteller habe bei seiner letzten Vorsprache bei der Ausländerbehörde seine Bereitschaft mitgeteilt, bei der äthiopischen Botschaft vorzusprechen. Die Ausländerbehörde habe erwidert, dass dies nicht nötig sei, und ihm die Adresse eines Vertrauensanwalts ausgehändigt, den der Antragsteller einschalten solle. Aufgrund der Tatsache, dass der Antragsteller lediglich über eine Ausbildungsvergütung von monatlich 450,00 EUR verfüge, sei es ihm zum jetzigen Zeitpunkt aus finanziellen Gründen nicht möglich, einen Anwalt in Äthiopien einzuschalten, da diese Vorschuss in Höhe von 500,00 EUR verlangten.
Auf den mit Schreiben vom 06.07.2017 gestellten Antrag auf Akteneinsicht durch Übersendung der Akten in die Kanzlei oder an die Ausländerbehörde der Stadt …erwiderte die … eine Akteneinsicht sei in ihren Behördenräumen möglich. Ein Verbleib der Originalakte im Haus sei notwendig, um die Erfüllung der laufenden Aufgaben der Behörde nicht zu beeinträchtigen. Die kostenpflichtige Zusendung von Kopien aus der Akte an die Kanzlei sei jederzeit möglich.
Darauf erwiderten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schreiben vom 31.08.2017, es sei ihnen nicht möglich, wegen einer Akteneinsicht nach … zu kommen. Der Antragsteller habe bereits versucht, sich mit seinem Onkel in Äthiopien in Verbindung zu setzen, damit dieser ihm dabei behilflich sei, eine Geburtsurkunde zu beschaffen, die wiederum für die Ausstellung eines äthiopischen Reisepasses erforderlich sei. Leider sei es ihm bisher nicht gelungen, seinen Onkel telefonisch zu erreichen. Aufgrund dieser Tatsache sei der Antragsteller sehr wohl bereit, einen Vertrauensanwalt einzuschalten. Da er jedoch lediglich eine Ausbildungsvergütung von 385,00 EUR erhalte, könne er den Honorarvorschuss nicht begleichen. Aufgrund dessen seien die Kosten für die Ausstellung eines Reisepasses über das Sozialamt zu finanzieren.
Mit Schreiben vom 07.09.2017 übermittelte die … den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers eine Liste der Vertrauensanwälte in Äthiopien.
Mit Bescheid der ZAB vom 14.09.2017 wurde
1.der Antragsteller verpflichtet, bis zum 31.05.2018 einen gültigen äthiopischen Reisepass bei der Zentralen Ausländerbehörde … vorzulegen,
2.für den Fall der nicht fristgemäßen Erfüllung der unter Ziffer 1 festgelegten Verpflichtung ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht,
3.die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 dieses Bescheides angeordnet.
In den Gründen wird ausgeführt, die Anordnung unter Ziffer 1 (Passverfügung) stütze sich auf § 46 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 3 Satz 1, § 49 Abs. 2 AufenthG, § 56 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AufenthV. Der Antragsteller sei nach bestandskräftiger Ablehnung des Asylantrages und Ablauf der Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig und eigenen Angaben zufolge nicht im Besitz eines Passes. Daraus resultiere unter Berücksichtigung der in § 3 Abs. 1 AufenthG normierten Passpflicht die Verpflichtung, unverzüglich einen Pass bei der Vertretung seines Heimatlandes zu beantragen. Die vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen finanziellen Schwierigkeiten in Verbindung mit der Passbeschaffung könnten nicht als Grund dafür dienen, der Passpflicht nicht zu genügen. Der Antragsteller sei gesetzlich verpflichtet, im Besitz eines gültigen Reisepasses zu sein; die Beschaffung finanzieller Mittel hierfür liege allein in seinem Verantwortungsbereich. Auch eine etwaige Kostenübernahme durch das Sozialamt sei von ihm abzuklären. Die Verpflichtung zur Vorlage des erlangten Reisepasses stütze sich auf § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die Einbehaltung des Dokuments sei zur Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz notwendig, da der Antragsteller durch sein Verhalten in der Vergangenheit gezeigt habe, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht freiwillig nachkommen wolle. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass er weder seine Passpflicht freiwillig erfülle, noch in der ihm gewährten Ausreisefrist ausgereist sei. Die Passverfügung entspreche pflichtgemäßem Ermessen, da das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Ausreisepflicht – sowie der Beschaffung eines Reisedokuments als Voraussetzung hierfür – die privaten Interessen des Antragstellers überwiege. Gegen die Verpflichtung zur Passbeantragung sprechende Gründe seien nicht ersichtlich. Insbesondere könne dem Antragsteller die Kontaktaufnahme mit seiner Auslandsvertretung zugemutet werden, da eine politische Verfolgung durch staatliche Organe seines Heimatlandes im Bundesamtsbescheid verneint worden sei. Eine Gefährdung der Person des Antragstellers durch die Verpflichtung zur Passbeantragung sei daher nicht erkennbar. Das öffentliche Interesse an dieser Maßnahme liege insbesondere in der Durchsetzung der Passpflicht und somit der Unterbindung eines fortwährend rechtswidrigen sowie strafbaren Verhaltens. Nur so könne ein rechtmäßiger Zustand erreicht werden. Unter Abwägung beider Interessenlagen überwiege das öffentliche Interesse an der Herstellung eines rechtmäßigen Zustandes – Erfüllung der Passpflicht und Durchsetzung der Ausreisepflicht – das Interesse des Antragstellers, keine Heimreisedokumente zu beantragen und somit seinen passlosen Aufenthalt in Deutschland fortzusetzen. Die sofortige Vollziehung werde angeordnet, da ein besonderes öffentliches Interesse daran bestehe, welches das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiege. Ziel des Gesetzgebers sei es, bei vollziehbar ausreisepflichtigen Personen den Aufenthalt im Bundesgebiet unter Berücksichtigung aller Umstände unverzüglich zu beenden.*Zu für den Staat nicht hinnehmbaren Folgen komme es, wenn aufgrund von Vorenthaltung von Reisedokumenten, Verschleierung der Identität und Herkunft durch unvollständige bzw. falsche Angaben oder Nichtmitwirkung im Passausstellungsverfahren ausreisepflichtige Ausländer ihren Aufenthalt im Bundesgebiet verlängern oder möglicherweise auf Dauer gestalten würden. Die Vorschriften des geltenden Ausländerrechts würden unterlaufen. Zudem ergäben sich hieraus zusätzliche Umstände, wie zum Beispiel die finanzielle Belastung des Staatshaushaltes durch Gewährung von Leistungen nach den Sozialgesetzen, die im Sinne eines sozialen Rechtsstaates nicht hinnehmbar seien. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Antragsteller bereits seit ca. acht Monaten zur Ausreise aus dem Bundesgebiet und somit auch zur (selbständigen) Beantragung eines Reisepasses verpflichtet sei, könne es deshalb nicht hingenommen werden, dass dieser rechtswidrige Zustand durch Erhebung einer Klage gegen diesen Bescheid bis zu einer zeitlich noch nicht absehbaren gerichtlichen Entscheidung fortdauere. Besonders schwer wiege in diesem Fall, dass es sich bei dem passlosen Aufenthalt des Antragstellers nicht nur um einen schlicht rechtswidrigen Zustand handele, sondern um die fortwährende Erfüllung eines Straftatbestandes, welcher durch diesen Bescheid beseitigt werden solle. Hieraus ergebe sich eine besondere Eilbedürftigkeit im Vollzug dieses Bescheides. Ein Interesse des Antragstellers, welches über das generelle Interesse an der aufschiebenden Wirkung einer Klage hinausgehe, sei nicht ersichtlich. Angesichts des vorstehend erläuterten, besonders schwerwiegenden Interesses an der sofortigen Vollziehung des Bescheides sei nach pflichtgemäßem Ermessen, d.h. unter Abwägung aller maßgeblichen Belange, entschieden worden, die sofortige Vollziehung anzuordnen.
Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 09.10.2017, beim Verwaltungsgericht Bayreuth an diesem Tag auch eingegangen, hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 14.09.2017 Klage erhoben und außerdem beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Ziffer 1 anzuordnen.
Ferner hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …,
beantragt.
Zur Begründung wird geltend gemacht, die aufschiebende Wirkung der Klage sei anzuordnen, da die Begründung hinsichtlich des Sofortvollzuges nicht stichhaltig sei und auch nicht überzeuge. Der Bescheid des Antragsgegners sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Rechten, zumal es sich um einen belastenden Verwaltungsakt handele und zumal vor dem Erlass dieses Verwaltungsakts keine Anhörung stattgefunden habe. Eine solche Anhörung sei Grundvoraussetzung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts. Die vorherige Korrespondenz des Antragsgegners mit dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mache eine vorherige Anhörung nicht entbehrlich. Insbesondere müsse an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bisher in rechtswidriger Art und Weise Akteneinsicht verwehrt worden sei, da die Akte weder in die Kanzlei noch an die Ausländerbehörde der Stadt* …verschickt worden sei mit der Begründung, Akteneinsicht könne nur im Hause des Antragsgegners genommen werden, da die Originalakte dort verbleiben müsse. Dies sei unzulässig, da es nicht hinnehmbar sei, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wegen einer Akteneinsicht 2 mal 40 km zurücklegen müsse. Andere Behörden übersendeten problemlos die Akten in die Kanzlei bzw. an die Ausländerbehörde der Stadt …, wo der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dann Akteneinsicht nehme. Da beides abgelehnt worden sei, habe sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers in dieser Angelegenheit auch nicht umfassen äußern können.
Mit Schriftsatz vom 25.10.2017 legte der Antragsgegner die Ausländerakte vor, welche mit Schreiben des Gerichts vom 26.10.2017 den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zur Akteneinsicht übermittelt wurde. Zusammen mit dem Empfangsbekenntnis vom 02.11.2017 ging die Ausländerakte am 09.11.2017 wieder bei Gericht ein.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten B 6 S 17.800 und B 6 K 17.801 und der beigezogenen Ausländerakte Bezug genommen.
II.
1. Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehend dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Infolgedessen scheidet auch die Beiordnung eines Rechtsanwaltes gemäß § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO aus.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 ist zulässig, aber nicht begründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen.
2.1 Ein Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO liegt vor, weil der Antragsgegner in Ziffer 3 die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 besonders angeordnet hat. Damit ist die aufschiebende Wirkung der gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 erhobenen Anfechtungsklage (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfallen mit der Folge, dass ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft ist.
2.2 Dieser Antrag ist unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell und materiell rechtmäßig ist.
2.2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 ist formell rechtmäßig, insbesondere genügt sie dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere (öffentliche, vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen ist. An die Begründung der Anordnung sind keine übermäßig hohen Anforderungen zu stellen, nicht ausreichend sind aber nicht auf den konkreten Einzelfall abstellende, formelhafte Begründungen. Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses besondere öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden. Bei gleichartigen Tatbeständen können diesem Erfordernis auch gleiche oder „gruppentypisierte“ Begründungen genügen (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rn. 85).
Die diesbezüglichen Ausführungen in den Gründen des Bescheides vom 14.09.2017 (II. Ziffer 4 der Gründe) entsprechen diesen Anforderungen. Die Herleitung eines besonderen öffentlichen Interesses daran, die Passverfügung unabhängig vom rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens gegebenenfalls nach erfolglosem Fristablauf sofort vollstrecken zu können (vgl. Art. 19 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 VwZVG), aus dem Umstand, dass die Erfüllung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers und deren Durchsetzung im Wege der Abschiebung die Erfüllung der Passpflicht voraussetzen und dass die dem Antragsteller gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise bereits abgelaufen ist, sodass er die Bundesrepublik Deutschland eigentlich schon verlassen haben müsste, ist nicht formelhaft und berücksichtigt die Umstände des konkreten Einzelfalles. Auch mit der Frage, ob demgegenüber ein überwiegendes Interesse des Antragstellers daran besteht, zunächst – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – keinen Pass beschaffen zu müssen, setzt sich die Begründung der Sofortvollzugsanordnung auseinander.
2.2.2 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 ist auch materiell rechtmäßig, weil die gebotene Abwägung aller betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu dem Ergebnis führt, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht, den Antragsteller, wenn er die auferlegte Verpflichtung nicht rechtzeitig erfüllt, sofort durch das angedrohte Zwangsgeld zur Erfüllung anzuhalten (Art. 19, Art. 29 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 1 VwZVG).
2.2.2.1 Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 14.09.2017 könnte anzunehmen sein, wenn die Klage Aussicht auf Erfolg hätte. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage wird die Passverfügung jedoch aller Voraussicht nach nicht aufgehoben werden, weil sie rechtmäßig und der Antragsteller dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Wegen der geltend gemachten formellen Rechtswidrigkeit – Verstoß gegen das Anhörungserfordernis gemäß Art. 28 Abs. 1 VwVfG – wird die Passverfügung nicht aufgehoben werden, unabhängig davon, ob beispielsweise im Schreiben der Ausländerbehörde vom 23.12.2016 eine entsprechende Anhörung zu sehen ist oder nicht. Denn gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, und gemäß Art. 45 Abs. 2 VwVfG können Handlungen nach Art. 45 Abs. 1 VwVfG bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Zudem kann gemäß Art. 46 VwVfG die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So verhält es sich bei der Passverfügung vom 14.09.2017, die erst nach diesbezüglichem Schriftwechsel mit dem Antragsteller bzw. seinem Prozessbevollmächtigten erlassen wurde. Auch wenn darin keine „förmliche“ Anhörung im Sinne des Art. 28 Abs. 1 VwVfG zu sehen sein sollte, hatte der Antragsteller Gelegenheit, sich zu den für die Passvorlageentscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, und nahm diese Gelegenheit auch wahr.
Die Passverfügung ist materiell rechtmäßig. § 46 Abs. 1 AufenthG ermächtigt die Ausländerbehörde, nach pflichtgemäßem Ermessen („kann“) gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise zu treffen. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verpflichtet einen Ausländer ganz konkret, seinen Pass auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist.
Der Antragsteller ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG vollziehbar ausreisepflichtig, seit die Entscheidung des Bundesamtes vom 31.03.2016 am 23.01.2017 unanfechtbar geworden ist. Ferner stellt die Verpflichtung des Antragstellers zur Vorlage eines Reisepasses zweifelsfrei eine Maßnahme zur Förderung der Ausreise dar und ist zur Sicherung von Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung erforderlich, weil der Antragsteller ohne Pass weder freiwillig ausreisen noch abgeschoben werden kann.
Aus dem Umstand, dass der Antragsteller aktuell keinen Pass besitzt, ergibt sich keine Nichtigkeit und damit Unwirksamkeit der Passverfügung gemäß Art. 43 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG, wonach ein Verwaltungsakt nichtig ist, den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Antragsteller die auferlegte Passvorlageverpflichtung erfüllen kann, wenn er seinen ausweisrechtlichen Pflichten, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, nachkommt. So dürfen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG Ausländer nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen. Die Ausnahmen von diesem Grundsatz – Befreiung von der Passpflicht durch Rechtsverordnung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) oder Erfüllung der Passpflicht durch den Besitz eines Ausweisersatzes (§ 3 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 AufenthG) – liegen beim Antragsteller unstreitig nicht vor. Den besonderen Stellenwert der Passpflicht unterstreicht § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, wonach der Aufenthalt im Bundesgebiet entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 AufenthG einen Straftatbestand erfüllt. Dementsprechend ist ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken. § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV verpflichtet einen Ausländer, der sich im Bundesgebiet aufhält und keinen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzt, ganz konkret, unverzüglich die Neuausstellung eines Passes oder Passersatzes zu beantragen. Ist dem Ausländer der bisherige Pass oder Passersatz abhandengekommen, ergibt sich die Verpflichtung zur unverzüglichen Beantragung eines neuen Passes oder Passersatzes aus § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV. Ferner ist gemäß § 49 Abs. 2 AufenthG jeder Ausländer verpflichtet, die von der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, geforderten und mit dem deutschen Recht in Einklang stehenden Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Demnach ist der Antragsteller – ohne dass es hierfür eines gesonderten Verwaltungsaktes bedarf – kraft Gesetzes verpflichtet, alle Handlungen vorzunehmen, die ihm letztendlich die Erfüllung der Passvorlageverpflichtung ermöglichen.
Der Erlass der Passverfügung entspricht auch einer pflichtgemäßen Ermessensausübung. Ein berechtigtes Interesse des Antragstellers daran, der Ausländerbehörde keinen Pass vorzulegen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere entbindet der mit einer Passbeschaffung verbundene finanzielle Aufwand den Antragsteller nicht von seinen ausweisrechtlichen Pflichten. Demgegenüber besteht ein öffentliches Interesse an der Passvorlage. Insoweit folgt das Gericht der zutreffenden Begründung des Bescheides vom 14.09.2017 (II. Ziffer 2 der Gründe) und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
2.2.2.2 Auf Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage lässt sich somit ein überwiegendes Interesse des Antragstellers daran, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Vollstreckung der Passverfügung verschont zu bleiben, nicht stützen. Andere berechtigte Interessen des Antragstellers, die gegen die sofortige Vollziehung der Passverfügung sprechen würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Demgegenüber besteht ein besonderes öffentliches Interesse daran, den Antragsteller, wenn er die auferlegte Verpflichtung nicht rechtzeitig erfüllt, sofort durch das angedrohte Zwangsgeld zur Erfüllung anzuhalten. Das Gericht folgt zunächst der zutreffenden Sofortvollzugsbegründung des Bescheides vom 14.09.2017 (II. Ziffer 4 der Gründe) und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab. Ergänzend wird angemerkt, dass die Erteilung einer Ausbildungsduldung für die Dauer der Berufsausbildung zum Bäcker gemäß § 60a Abs. 2 Sätze 4 und 5 AufenthG dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Passverfügung nicht entgegensteht. Insbesondere ist ein Pass nicht nur erforderlich, um den Aufenthalt des unverändert vollziehbar ausreisepflichtigen Antragstellers im Bundesgebiet zeitnah beenden zu können, falls die Ausbildungsduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 9 AufenthG erlöschen sollte, weil die Ausbildung nicht mehr betrieben oder abgebrochen wird. Auch wenn die Ausbildungsduldung nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Beschäftigung gemäß § 18a Abs. 1a AufenthG münden soll, muss die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG – Erfüllung der Passpflicht nach § 3 AufenthG – vorliegen.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Antragsteller als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abgelehnt. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).