Verwaltungsrecht

Voraussetzungen einer Wahlanfechtung

Aktenzeichen  W 2 K 18.843

Datum:
19.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34658
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GLKrWG Art. 50 Abs. 3, § 51, § 51a
VwGO § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

Ein hinreichend konkretisierter Wahlanfechtungsgrund setzt voraus, dass nach den vorgetragenen Tatsachen Wahlvorschriften verletzt sind und und ohne sie das Wahlergebnis möglicherweise anders ausgefallen wäre; Wahrscheinlichkeitserwägungen genügen insoweit nicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) zu tragen.
III. Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage, über die gemäß § 84 Abs. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden werden konnte, bleibt ohne Erfolg.
1. Sie ist aufgrund fehlender Klagebefugnis bereits unzulässig, § 42 Abs. 2 VwGO.
Nach Art. 51a des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz – GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl S. 834), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. März 2018 (GVBl. S. 145), ist klagebefugt, wer geltend machen kann, durch die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde über eine Wahlanfechtung in seinen Rechten verletzt zu sein (Nr. 1), oder eine andere Person, die die Wahl angefochten hat, wenn ihrer Klage mindestens fünf im Wahlkreis wahlberechtigte Personen beitreten (Nr. 2).
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Eine Klagebefugnis wegen eigener Betroffenheit als Gewählter oder unterlegener Bewerber im Sinne von Art. 51a Nr. 1 GLKrWG scheidet aus, da der Kläger nicht zu den Kandidaten der Bürgermeisterwahl gehörte. Eine Klagebefugnis des Klägers gem. Art. 51a Nr. 2 GLKrWG kommt ebenfalls nicht in Betracht, da der Klage weder bis zum Ende der Klagefrist noch bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mindestens fünf im Wahlkreis wahlberechtigte Personen beigetreten sind.
2. Abgesehen davon wäre die Klage auch unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamts A. vom 11. Juli 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gem. Art. 51 Satz 1, 2 i.V.m. Art. 50 GLKrWG auf Verpflichtung des Landratsamts zur Ungültigerklärung der Wahl (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für das Begehren des Klägers ist Art. 51 GLKrWG. Danach kann u.a. jede im Wahlkreis wahlberechtigte Person innerhalb von 14 Tagen nach Verkündung des Wahlergebnisses die Wahl durch schriftliche Erklärung wegen der Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften bei der Rechtsaufsichtsbehörde anfechten (Art. 51 Satz 1 GLKrWG). Gemäß Art. 51 Satz 2 GLKrWG gilt für die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde Art. 50 GLKrWG entsprechend.
Nach ständiger Rechtsprechung besteht bei der Erhebung von Wahlrügen ein Substantiierungsgebot. Eine erfolgreiche Wahlanfechtung setzt demnach voraus, dass innerhalb der Anfechtungsfrist hinreichend substantiiert dargelegt wird, welcher wahlrechtliche Verstoß gerügt wird, und dass auch die dessen Prüfung ermöglichenden Tatsachen innerhalb dieser Frist ausreichend dargelegt werden (BayVGH, B.v, 14.9.2015 – 4 ZB 15.639 – juris; BVerfG, B.v. 24.8.1993 – BvR 1858/92 – juris). Das Substantiierungsgebot dient der raschen und verbindlichen Klärung der ordnungsgemäßen Besetzung der gewählten Vertretungsorgane. Es ist ein wesentliches Element der Wahlprüfung und soll sicherstellen, dass ein festgestelltes Wahlergebnis nicht vorschnell in Frage gestellt wird und dadurch lediglich pauschal Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit geweckt werden. Wahlbeanstandungen, die über nicht belegte Vermutungen oder die bloße Andeutung der Möglichkeit von Wahlfehlern nicht hinausgehen und einen konkreten, der Überprüfung zugänglichen Tatsachenvortrag nicht enthalten, dürfen deshalb als unsubstantiiert zurückgewiesen werden (BVerfG, B.v. 12.12.1991 – 2 BvR 562.91 – juris; BayVGH, B.v. 24.6.1998 – 4 ZB 97.2164 – juris; VGH Mannheim, U.v. 27.02.1996 – 1 S 2570/95 – juris).
Maßgeblich ist ein innerhalb der Präklusionsfrist vorgetragener und hinreichend konkretisierter Anfechtungsgrund jedoch nur dann, wenn die vorgetragenen Tatsachen zutreffen, Wahlvorschriften verletzen und ohne sie das Wahlergebnis möglicherweise anders ausgefallen wäre, Art. 51 Satz 2 GLKrWG i.V.m. Art. 50 Abs. 3 GLKrWG. Bei der Prüfung, ob ein festgestellter Verstoß gegen Wahlvorschriften derart zu einer Verdunkelung des Wahlergebnisses führt, dürfen keine Wahrscheinlichkeitserwägungen angestellt werden. Es kommt nur darauf an, ob die Möglichkeit bestand, dass ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre, wenn die Wahlbestimmungen eingehalten worden wären. Die Möglichkeit des Zustandekommens eines anderen Wahlergebnisses muss dabei gerade als spezielle und unmittelbare Folge des gerügten und festgestellten Verstoßes gegen die Wahlvorschriften erscheinen (vgl. BayVGH, U.v. 30.11.1962 – 81 IV 60 – juris). D.h. es darf sich nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handeln, erforderlich ist vielmehr die nach allgemeiner Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fernliegende Möglichkeit des Einflusses des Rechtsverstoßes auf das Wahlergebnis (vgl. BVerfG, B.v. 6.10.1970 – 2 BvR 225/70 – juris; B.v. 20.10.1993 – 2 BvC 2/91 – juris). Dieser Grundsatz der Wahlerheblichkeit findet seine sachliche Rechtfertigung letztlich in dem zu den fundamentalen Prinzipien der Demokratie gehörenden Mehrheitsprinzip; ein Wahlfehler kann den in einer Wahl zum Ausdruck gebrachten Wählerwillen nur verletzen, wenn sich ohne ihn eine andere, über das maßgebliche Wahlergebnis entscheidende Mehrheit ergeben würde (vgl. BVerfGE, B.v. 6.10.1970 – 2 BvR 225/70 – juris).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Wahlanfechtung unbegründet.
Die vom Kläger gerügte Zurückweisung von zwei Abstimmenden begründet keinen Wahlfehler. Da die beiden Abstimmenden bereits einen Stimmabgabevermerk im Wählerverzeichnis hatten und keinen Nachweis dafür erbrachten, noch nicht abgestimmt zu haben, war ihre Zurückweisung rechtmäßig, § 61 Abs. 1 Nr. 3 der Gemeinde- und Landkreiswahlordnung (GLKrWO) vom 7. November 2006 (GVBl. S. 852) zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2019 (GVBl. S. 342).
Wahlrechtsverstöße liegen dagegen vor, soweit bei zwei Abstimmenden, die nachweisen konnten, noch nicht abgestimmt zu haben, ein Stimmabgabevermerk im Wählerverzeichnis eingetragen war und ein Abstimmender entgegen § 60a Abs. 1 Nr. 1 GLKrWO nicht zurückgewiesen wurde, obwohl die Voraussetzungen dafür vorlagen, was zu drei überzähligen Stimmzetteln führte. Jedoch sind diese Wahlfehler nicht beachtlich, da sie angesichts der Stimmenverhältnisse keinen Einfluss auf das Wahlergebnis haben konnten, Art. 50 Abs. 3 GLKrWG.
Weitere Wahlfehler hat der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Soweit er rügt, dass nicht auszuschließen sei, dass es infolge von weiteren Fehlern beim Eintragen der Stimmabgabevermerke zu Mehrfachwahlen gekommen sei, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die dem Substantiierungsgebot nicht genügt. Die Mutmaßung des Klägers ist mit keinen stichhaltigen Tatsachen belegt, die einer konkreten Nachprüfung zugänglich wären. Dass zwei fehlerhafte Stimmabgabevermerke in das Wählerverzeichnis eingetragen und ein nicht im Stimmbezirk wahlberechtigter Abstimmender nicht zurückgewiesen wurde, reicht für die gesicherte Annahme, dass es zu weiteren Fehlern gekommen ist, die sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt hätten, nicht aus. Ein hinreichend konkreter Anfechtungsgrund ergibt sich auch nicht aus dem vom Kläger vorgelegten WhatsApp-Chat, insbesondere der darin von einem ehemaligen Wahlhelfer getroffenen Äußerung „Sowas (wie die hier unterlaufenen Fehler) passiere bei jeder Wahl“. Auch war es rechtlich nicht geboten, die Wahlberechtigungen einzusammeln. § 60 Abs. 3 Satz GLKrWO verlangt nur deren Vorlage bzw., sofern eine Vorlage nicht möglich ist, eine Ausweiskontrolle.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene zu 1) einen Antrag gestellt und sich somit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, dem Kläger auch die Erstattung der Kosten des Beigeladenen zu 1) aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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