Verwaltungsrecht

Vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung sowie einer entsprechenden Beschäftigungserlaubnis

Aktenzeichen  10 CE 18.2159

Datum:
20.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32438
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4 Abs. 2 S. 3, § 60a Abs. 2 S. 4

 

Leitsatz

1 Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (BayVGH BeckRS 2018, 24977; BeckRS 2018, 3047).  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Sind mehrere unabhängige Behörden an der Passbeschaffung beteiligt, so ist bereits in dem Ersuchen der Ausländerbehörde an die für die Passbeschaffung zuständige Zentrale Ausländerbehörde/Zentrale Passbeschaffung Bayern ein „erster Schritt“ zur Durchführung der Abschiebung zu sehen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 E 18.1512 2018-09-24 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. September 2018 wird der Antrag auf einstweilige Anordnung abgewiesen.
II. Der Antragssteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 24. September 2018 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die (vorläufige) Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG sowie einer entsprechenden Beschäftigungserlaubnis.
Der Antragsteller ist ein afghanischer Staatsangehöriger, der nach Durchführung seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist und seit dem 18. Dezember 2017 geduldet wird. Mit Schreiben vom 19. Juni 2018 übersandte die für ihn zuständige Zentrale Ausländerbehörde Schwaben der Regierung von Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern einen Antrag auf Ausstellung eines „Transit Pass for Returning to Afghanistan“ (TPR), den diese am 23. August 2018 beim afghanischen Generalkonsulat einreichte.
Am 8. Juni 2018 erfuhr die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben, dass der Antragsteller im Besitz eines gültigen afghanischen Nationalpasses war, und forderte ihn mit Schreiben vom 14. Juni 2018 auf, den Pass bis spätestens 22. Juni 2018 vorzulegen. Der Antragsteller händigte den Pass am 27. Juni 2018 aus; die Ausländerbehörde leitet diesen am 3. Juli 2018 zur Echtheitsprüfung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Am 17. August 2018 beantragte der Antragsteller bei der Zentralen Ausländerbehörde Schwaben die Erlaubnis für eine am 1. September 2018 beginnende Berufsausbildung zum Verkäufer im Lebensmitteleinzelhandel bei einem Betrieb in Obergünzburg; am 22. August 2018 beantragte sein Bevollmächtigter zusätzlich eine Ausbildungsduldung für diese Ausbildung. Mit Bescheid vom 27. August 2018 lehnte der Antragsgegner die Anträge auf Beschäftigungserlaubnis und Ausbildungsduldung ab und begründete dies im Wesentlichen damit, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstünden.
Das Verwaltungsgericht verpflichtete mit dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung, dem Antragsteller einstweilen eine Ausbildungsduldung zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung zum Verkäufer im Lebensmitteleinzelhandel in Obergünzburg zu erteilen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners; er beantragt, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen. Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antraggegners ist begründet. Aufgrund der dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, ist der angefochtene Beschluss abzuändern und der Antrag auf einstweilige Anordnung abzulehnen.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 dieser Vorschrift nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
Im vorliegenden Fall ist allein die Tatbestandsvoraussetzung, dass konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen, strittig. Mit dieser Bestimmung sollen die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird. Die Gesetzesbegründung selbst führt insoweit die Beantragung eines Pass(ersatz) papiers, die Terminierung der Abschiebung oder den Lauf eines Verfahrens zur Dublin-Überstellung als Beispiele an (BT-Drs. 18/9090 S. 25; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.7.2017 – 19 CE 17.1079 – juris Rn. 8; B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19; NdsOVG, B.v. 30.8.2018 – 13 ME 298/18 – juris Rn. 10). In den Fällen, in denen die Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung „absehbar“ ist, soll daher der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden (BT-Drs. 18/9090 S. 25). Die Gesetzesformulierung „Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ ist bewusst weiter gefasst als die eigentliche Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung, Zurückschiebung oder Überstellung; andernfalls hätte die Verwendung des Begriffs Aufenthaltsbeendigung als gemeinsamer Oberbegriff genügt (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19). Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, sobald die für den jeweiligen Ausländer zuständige Ausländerbehörde erstmals zielgerichtet und konkret tätig geworden ist, um die grundsätzlich mögliche Abschiebung einzuleiten, ohne dass bereits ein bestimmter Zeitpunkt für die Abschiebung feststehen muss (BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 10 CE 18.1800 – Rn. 7), bzw. wenn sie die Abschiebung „auf den Weg gebracht“ hat (BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 19 CE 16.2025 – juris Rn. 19).
Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 10 CE 18.1800 – Rn. 4; BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 18).
In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht im Rahmen des summarischen Verfahrens nach § 123 VwGO zu Unrecht entschieden, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung (17. August 2018) im Fall des Antragstellers keine konkreten Maßnahmen zur Beendigung seines Aufenthalts bevorstanden.
Im Gegensatz zur Meinung des Verwaltungsgerichts ist in dem an die (damalige) Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern gerichteten Ersuchen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten im Schreiben vom 25. Juni 2018 ein „erster Schritt“ zur Durchführung der Abschiebung zu sehen. Denn soweit der Ausländerbehörde kein gültiger Nationalpass des Ausländers vorliegt, ist die Ausstellung eines zur Rückführung berechtigenden Passersatzpapiers die erste Voraussetzung, um eine Abschiebung vollziehen zu können, und die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern war zum damaligen Zeitpunkt die für die Beschaffung von Heimreisedokumenten zuständige Stelle (§ 3 Abs. 3 ZustVAuslR i.d.F.v. 9.12.2014). Es handelt sich mithin nicht nur um eine „rein interne Vorbereitung“, sondern um einen notwendigen Schritt in einem formellen Verfahren unter zwei voneinander unabhängigen Behörden (BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 10 CE 18.1800 – Rn. 7; BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 5). Es ist daher unschädlich, dass der Antrag auf einen „Transit Pass for Returning to Afghanistan“ (TPR) beim afghanischen Generalkonsulat durch die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern / Zentrale Passbeschaffung Bayern erst am 23. August 2018, also erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt, eingereicht wurde.
Es trifft auch nicht zu, dass die Beschaffung eines Heimreisedokuments nicht mehr erforderlich gewesen wäre, weil der Zentralen Ausländerbehörde Schwaben der Nationalpass des Antragstellers bereits vorlag. Der Antragsteller hat der Ausländerbehörde seinen afghanischen Reisepass am 27. Juni 2018, mehrere Tage nach der eigentlich hierfür bestimmten Frist, übergeben. Solange der Ausländerbehörde der Nationalpass nicht vorliegt und seine Echtheit nicht bestätigt ist, ist es der Ausländerbehörde jedenfalls nicht verwehrt, parallel dazu (vorsorglich) die Ausstellung eines die Rückführung ermöglichenden Passersatzpapiers in die Wege zu leiten. Aus diesem Grund sind auch die Aufforderung an den Antragsteller, seinen Reisepass der Ausländerbehörde vorzulegen, im Schreiben vom 14. Juni 2018, die Einbehaltung des vorgelegten Passes am 27. Juni 2018 und die Weiterleitung des Passes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Echtheitsprüfung am 3. Juli 2018 als konkrete Maßnahmen zu Aufenthaltsbeendigung anzusehen, die ebenfalls vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Erlaubnis der Ausbildung am 17. August 2018 lagen.
Daher konnte der Antragsteller keinen zu sichernden Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung zur Aufnahme einer Berufsausbildung zum Verkäufer im Lebensmitteleinzelhandel (und einer außerdem notwendigen Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG) im Rahmen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO hinreichend glaubhaft machen; der Antrag auf einstweilige Anordnung war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung unter Abänderung des erstinstanzlich festgesetzten Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes (vgl. etwa VGH BW, B.v. 16.7.2018 – 11 S 1298/18 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 31; a.A. OVG NW, B.v. 23.04.2018 – 18 B 110/18 – juris) und nicht nur des hälftigen Auffangwertes (vgl. Nr. 8.3 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: „Abschiebung“). Eine Reduzierung des Auffangwerts (vgl. Nr. 1.5 Streitwertkatalogs) war im vorliegenden Fall wegen der angestrebten Vorwegnahme der Hauptsache nicht veranlasst (anders BayVGH, B.v. 22.1.2018 – 19 CE 18.51 – juris Rn. 31; SächsOVG, B.v. 10.4.2018 – 3 B 8/18 – juris Rn. 10). In der vorliegenden Konstellation geht der Senat zudem davon aus, dass dem Antrag auf Erteilung einer (vorläufigen) Beschäftigungserlaubnis neben der beantragten Ausbildungsduldung kein eigenständiger wirtschaftlicher Wert in Sinn von § 39 Abs. 1 GKG zukommt (BayVGH, B.v. 24.9.2018 – 10 CE 18.1825 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 3.9.2018 – 10 CE 18.1800 – Rn. 16; VGH BW, B.v. 9.7.2017 – 11 S 2090/17 – juris Rn. 16).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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